Bertelsmann-Zahlen:Sadomaso gegen schwere Zeiten

Es sieht nicht gut aus für den Gütersloher Medienkonzern Bertelsmann, die Renditen bröckeln auf breiter Front. Aber da ist ja noch ein Erotik-Bestseller aus den USA, "Fifty Shades of Grey". Und der sorgt für enorme Zuwächse.

Hans-Jürgen Jakobs und Caspar Schlenk

Die alte Branchenregel besagt: "Sex sells", Sex verkauft. Das gilt nicht immer im Mediengeschäft, aber oft wirkt es - auch bei dem, was in den USA "Mommy Porn" genannt wird: erotische Literatur für die Frau ab 30. Jedenfalls feiert das Gütersloher Medienhaus Bertelsmann, das in seinen Anfängen vor mehr als 175 Jahren die Bibel und andere Kirchenwerke verlegte, derzeit die geradezu sensationell anmutenden Zuwächse durch den Mommy-Porn-Bestseller der Saison. Das ist "Geheimes Verlangen", der erste Band der Romantrilogie "Fifty Shades" der Autorin E. L. James.

Bertelsmann - 'Shades of Grey'

Sex sells: Im Fall von "Fifty Shades of Grey" stimmt das definitiv. Der Gütersloher Medienkonzern Bertelsmann feiert derzeit geradezu sensationell anmutenden Zuwächse durch den Mommy-Porn-Bestseller der Saison. 

(Foto: dpa)

Vor allem dadurch wuchs die New Yorker Konzerntochter Random House wie noch nie: Im ersten Halbjahr explodierte der Umsatz von 787 Millionen Euro auf nunmehr 947 Millionen. Plus 20 Prozent, ein Rekordwert. Ein "spektakulärer Erfolg", kommentiert Random-House-Chef Markus Dohle. Insbesondere als E-Book, also in der digitalen Variante, verbreiteten sich die Erotik-Erlebnisse einer Frau, die ihre sexuelle Abhängigkeit von einem Millionär ("kein Mann hat je eine solche Wirkung auf mich ausgeübt") als fesselnde Erlebnisreise schildert. Fast ein Viertel des Umsatzes stammt bei Random House inzwischen von E-Books - die Schilderungen der E. L. James haben katapultartig dieses Geschäft befördert.

Wie ein Sonneneinfall im grauen Alltag

Allein die englischsprachigen Verlage von Bertelsmann verkauften von "Geheimes Verlangen" zwischen Mai und Juni rund 30 Millionen Exemplare. In Deutschland wurden bisher mehr als 1,2 Millionen Stück davon verkauft.

Das Glück mit "Shades of Grey" kommt in Gütersloh an wie ein Sonneneinfall im grauen Alltag. "Wir bewegen uns in einem zunehmend schwierigen Marktumfeld", sagt Vorstandschef Thomas Rabe, 47. Die aktuelle Unsicherheit durch die Euro-Krise mache es schwer, die konjunkturelle Entwicklung zu prognostizieren. Vor allem vom Werbegeschäft hängt Bertelsmann ab, und da schlagen die Euro-Irritationen voll durch. Das ist eine schwere Hypothek für Rabe und seinen am Donnerstag gewählten künftigen Aufsichtsratschef Christoph Mohn von der Eigentümerfamilie. Beide wollen den Konzern umbauen, hin zu mehr Wachstum.

602 Seiten voller Peitschen als ökonomische Stimulanz

Doch ein Blick auf die Zahlen fürs erste Halbjahr verdeutlicht, wie schwer diese Expedition hin zu neuen Höhen wird. Die Schulden steigen wieder an, um 11,4 Prozent auf knapp 5,5 Milliarden Euro. Das liegt an höheren Pensionsrückstellungen, und die waren aufgrund der Niedrigzinsen nötig geworden.

Zwar ist der Konzernumsatz leicht auf 7,572 Milliarden Euro gewachsen (plus fünf Prozent), doch das Betriebsergebnis stagniert. Unter dem Strich kam ein gutes Ergebnis nur zustande, weil Investitionen gedrosselt wurden und weniger Sonderlasten anfielen. Insgesamt aber sank die Rendite klar unter die Zehn-Prozent-Marke. Und die ist der Zielwert.

Da ist es misslich, dass die RTL Group - der größte Gewinnbringer - schwächelt. Und dass die Rendite der Zeitschriftentochter Gruner + Jahr (Stern, Geo) von 11,1 auf 7,7 Prozent des Umsatzes schrumpfte. G + J-Chef Bernd Buchholz gab bereits den Vorstandsposten bei Bertelsmann auf, über seine Demission als Verlagschef soll offenbar bald final verhandelt werden.

Geheimes Verlangen nach viel Wachstum

Die Personalie werde "im ruhigen Kreis" besprochen, so Bertelsmann-Chef Rabe; das gelte auch für nächste Schritte der Digitalisierung. Sicher sei: "Das Gruner + Jahr-Geschäft wird in Hamburg geführt, das ist so, das bleibt so." Der Topmanager sprach von der "guten Zusammenarbeit" mit Buchholz, er bedaure dessen Entscheidung, "gleichzeitig respektiere* ich sie". Rabes Stimme wirkte nicht immer sicher.

Um das geheime Verlangen nach viel Wachstum endlich zu stillen, plant das Management Investitionen in Brasilien, Indien und China. In diesen Ländern ist Europas größter Medienkonzern noch schwach vertreten. Unbedingt sollen Musikrechte gekauft werden, man verhandle rund um die britische Firma EMI, bestätigt Rabe.

Blockbuster-Wunder

Das sind die Mühen der Ebene. Mehr Chancen, aber auch mehr Risiken gibt es etwa im Filmgeschäft. Ein "Blockbuster", ein großer Kino-Hit, hellt jede Bilanz auf. In Hollywood sind die weltweit größten Medienkonzerne präsent, Bertelsmann allerdings scheute diesen Schritt. Nun genießt man jedoch ein ähnliches Blockbuster-Wunder, den Siegeszug von "Shades of Grey".

Die 602 Seiten voller Peitschen wirken wie ökonomische Stimulanz. Dabei hatte man sich gedanklich schon von diesem Geschäft der "Old Economy" leicht verabschiedet: Angestrebte Partner - die Rede ist von Penguin Books oder Harper Collins - sollen Anteile an Random House übernehmen.

Die nächsten zwei Bände der deftigen Sadomaso-Druckwerke dürften noch viel Geld einbringen.

*Anmerkung der Redaktion: Herr Rabe sagte über Buchholz' Entscheidung nicht "gleichzeitig reflektiere ich sie", wie es in einer früheren Version des Textes hieß, sondern "gleichzeitig respektiere ich sie".

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