Bertelsmann: Mohn schließt Lycos:Ende der Gütersloher Hundejahre

Projekt Selbstzerstörung bei Bertelsmann: Lycos Europe, der Stolz des Unternehmersohns Christoph Mohn, ist am Ende.

Hans-Jürgen Jakobs

Er ist auffallend höflich und bescheiden. So bescheiden, dass er am Anfang seiner unternehmerischen Karriere gerne in einem kleinen Container saß; seine Mitarbeiten duzen ihn. Und doch fehlt Christoph Mohn etwas, ohne das es in seiner Position nicht lange gutgeht: Erfolg. Das verzeihen sie nicht in Gütersloh, dem Standort des Medienkonzerns Bertelsmann.

Bertelsmann: Mohn schließt Lycos: Schluss, aus, vorbei: Lycos Europe steht mit dem Rücken zur Wand.

Schluss, aus, vorbei: Lycos Europe steht mit dem Rücken zur Wand.

(Foto: Foto: ddp)

So werden nun vermutlich Kübel voller Kritik über den 43-Jährigen ausgeleert, den Sohn der Firmendirigentin Liz Mohn, 67, und ihres Mannes Reinhard Mohn, 87, der Bertelsmann nach dem Krieg wiederaufgebaut hat und Bücher mit Titeln wie "Menschlichkeit gewinnt" veröffentlicht. Der menschliche Christoph Mohn aber hat nach elf Jahren die Firma Lycos Europe an die Wand gefahren: Totalschaden. Die offiziell im niederländischen Haarlem residierende Internetfirma löst sich auf, 500 der 700 Mitarbeiter verlieren ihren Job.

Der faktische Hauptsitz Gütersloh ist am stärksten betroffen. Das verlustreiche Geschäft mit dem Internetportal und dem Webhosting wird geschlossen; die Stlllegung betrifft nach eigenen Angaben ein Drittel des Umsatzes. Das Domaingeschäft, das Shoppinggeschäft und das dänische Portal werden hingegen verkauft. Das beschlossen Vorstand und Aufsichtsrat.

Die Überprüfung der Strageie habe ergeben, "dass ein vollständiger Verkauf des Unternehmens keine vertretbaren Perspektiven bietet", sagt Vorstandschef Christoph Mohn.

Am Dienstag hat der Aufsichtsrat das Projekt Selbstzerstörung beschlossen. Das Schöne für die Eigentümer ist dabei, dass vom Börsengang im März 2000 - trotz jahrelanger Verluste - noch rund 130 Millionen Euro übrig sind. 50 Millionen werden an die Aktionäre verteilt. Auf Mohn junior, den Gründer und Vorstandschef, entfallen gemäß seines Kapitalanteils von rund zwölf Prozent somit rund fünf Millionen Euro. Auch Bertelsmann (Anteil: 20 Prozent) hat etwas von der finalen Aktion.

Schlechte Stimmung in der Zentrale

In der Zentrale des Medienkonzerns sind manche sauer auf Christoph Mohn. Er habe versagt und seine Position ohnehin nur den Eltern zu verdanken. Jetzt werde die mangelhafte Leistung auch noch mit einer großen Geldsumme versüßt. Insbesondere Aufsichtsratschef Gunter Thielen, ein Vertrauter Liz Mohns, gilt als Kritiker des Filius, der einst als Aspirant auf einen Bertelsmann-Vorstandsposten galt. Zuweilen stellt Christoph Mohn im Aufsichtsrat unbequeme Fragen.

Mit der Auflösung von Lycos wird endgültig eine Epoche bei Bertelsmann abgewickelt. Als in Gütersloh im Jahr 1997 mit Christoph Mohn das neue Unternehmen Lycos Europe angeschoben wurde, stieg bei Bertelsmann gerade Thomas Middelhoff auf. Er setzte auf das Internet, auf glitzernde Namen wie AOL Europe, BOL und Pixelpark, deren virtuelle Werte er am Kapitalmarkt zu realem Geld machen wollte. Im aufgeheizten Spekulationsfieber der New Economy schaffte es der Dealmaker im März 2000 tatsächlich, Lycos Europe an die Börse zu bringen. Die AG wurde im Vorfeld mit sagenhaften fünf Milliarden Euro bewertet, der Verkauf von 20 Prozent erbrachte dann nur 650 Millionen.

Danach brach der Boom zusammen. Middelhoff selbst hielt sich bis zum Sommer 2002 im Amt. Die Party war vorbei.

Lesen Sie weiter, was von der großen Strategie übrig blieb.

Ende der Gütersloher Hundejahre

Bei Lycos Europe versuchte Christoph Mohn alles, um sein Ziel zu erreichen, "das meistbesuchte Online-Netzwerk in Europa zu werden". Mit Suchmaschine, Informationsportal und Diskussionsforen wollte er auf Vaters Spuren zum Patron der digitalen Ära werden und verkündete: "Ich habe den Ehrgeiz zu zeigen, dass es geht."

Bertelsmann: Mohn schließt Lycos: Christoph Mohn

Christoph Mohn

(Foto: Foto: dpa)

Zuvor hatte er sich auf westfälische Art bewährt: Wehrdienst bei einer örtlichen Panzerkompanie, Studium der Betriebswirtschaft in Münster, danach Lehrjahre bei der Bertelsmann Music Group in New York, wo er seine Frau Shobhna kennenlernte, sowie zwei Beraterjahre bei McKinsey, einem treuen Begleiter Bertelsmanns.

Kurze Zeit war Mohn junior tatsächlich, gemessen an Reichweite, der Größte in Europa. Er hatte quer durch die Lande munter dazugekauft. Doch die Konkurrenz - Yahoo, Google, United Internet und viele andere - eroberten das Feld. Da nutzte auch das putzige Lycos-Maskottchen, ein schwarzer Labrador, nichts.

Angesichts der Mohn'schen Hundejahre blieb nur die Strategie, das eingesammelte Börsengeld nicht zu verbrennen. Ein neuer Aufsichtsrat mit dem Ex-Springer-Chef Jürgen Richter an der Spitze wachte über den Kurs; Tochterfirmen wie Spray wurden verkauft. Phasenweise machte Lycos Europe operativ sogar Gewinn. Doch den Markt eroberte Mohn nicht.

Kümmerlicher Umsatz, massiver Verlust

Im dritten Quartal 2008 zeigte sich wieder mal das ganze Problem von Lycos Europe: Bei einem kümmerlichen Umsatz von 13,6 Millionen Euro machte die Firma 7,4 Millionen Verlust. Solche Werte wurden in Gütersloh nur noch resignativ registriert. Manche Bertelsmann-Mitarbeiter hatten 2000, im Vertrauen auf den guten Namen Mohn, Aktien zum Ausgabekurs von 24 Euro gekauft. Inzwischen notiert das Papier bei rund 20 Cent.

Im Gesellschafterkreis stänkerte vor allem der Telefonkonzern Telefonica (Anteil per 31. Dezember 2007: 32,02 Prozent) gegen den Gütersloher Generalstab. Die stolzen Spanier waren einst vom Großstrategen Middelhoff mit Aussicht auf weitreichende Kooperationen geködert worden, aus denen jedoch nichts wurde. Vor der Unternehmenskammer des Berufungsgerichts Amsterdam beantragten die düpierten Telefonica-Manager in diesem Frühjahr, die Geschäfte von Lycos zu untersuchen. Kurz darauf wurde öffentlich bekannt, dass Telefonica und Bertelsmann einen Käufer für die Firma suchen.

Liquide Mittel brüderlich geteilt

Doch in der derzeitigen Finanzkrise ließ sich kein Deal machen - jedenfalls kein lohnender. Da beschlossen die Eigner, sich lieber die verbliebenen liquiden Mittel brüderlich zu teilen. Auch die Bertelsmann-Tocher Gruner + Jahr sowie die Hamburger Verlegerfamilie Jahr, die dank Middelhoffs Werben an Lycos Europe beteiligt sind, können sich in schwerer Zeit über eine Sonderzuweisung erfreuen.

Den vielen arbeitslos werdenden Lycos-Mitarbeitern sollen nun Jobs auf der internen Bertelsmann-Stellenbörse angeboten werden. Den Ärger wird das kaum beilegen - zumal nicht sicher ist, ob hier Menschlichkeit wirklich gewinnt.

Und Christoph Mohn? Er wird sich dem Vernehmen nach weiter mit Venture-Capital und Start-ups beschäftigen. Im Medienkonzern Bertelsmann hat, nach dem Lycos-Intermezzo, seine Schwester Brigitte die große Zukunft vor sich.

Sie wurde bereits in Reinhard Mohns jüngstem Buch ("Von der Welt lernen") auffällig gelobt. "Während sich unser Sohn Christoph durch große Eigenständigkeit auszeichnet, teilt Brigitte in ihrer zielgerichteten und verantwortungsvollen Art meine Auffassung, dass jedermann mit seiner Arbeit auch einen Beitrag für die Gemeinschaft zu erbringen hat", heißt es da.

Der derart weggelobte Lycos-Gründer hatte vergeblich gehofft, dass sich sein Langmut auszahlt. "Im privaten Rundfunk hat es schließlich auch 15 Jahre gedauert, bis anständige Renditen erwirtschaftet wurden", machte er sich noch 2002 für seine Internet-Aktivitäten Mut.

Nun bleiben von den Gütersloher Träumen nur Ruinen.

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