Bericht zur deutschen Einheit:Unsichtbare Mauer

Solidaritätszuschlag laut Gericht verfassungswidrig

Kurz nach der Jahrtausendwende: eine Schallschutzmauer in Magdeburg

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Bundesregierung sichtet mal wieder den Aufschwung in Ostdeutschland - und verkündet lauter gute Nachrichten. Doch die Strukturprobleme lassen sich kaum beheben, der Wirtschaft fehlt es an Innovationskraft. Das Einzige, was im Osten zunehmen wird, ist die Vergreisung.

Von Steffen Uhlmann, Berlin

Der Erhebung nach müsste Lutz Trümper ein Meckerkopp sein. Schließlich ist der Sozialdemokrat Oberbürgermeister von Magdeburg, der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt. Und dem hat das Institut für Demoskopie Allensbach im "Glücksatlas 2013" jüngst wieder miese Noten erteilt. In Sachen gefühlte Lebensqualität und Lebenszufriedenheit liegen die Sachsen-Anhalter ganz am Ende der Statistik, übrigens zusammen mit den Bewohnern aller anderen ostdeutschen Länder.

Trümper aber gibt sich optimistisch und betont gern, dass Magdeburg im Städtevergleich der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) von 2012 als die dynamischste Stadt Deutschlands ausgewiesen wurde. Sinkende Arbeitslosigkeit, engere Verknüpfung von Wissenschaft und Wirtschaft, wachsende Familienfreundlichkeit und Geburtenzahlen sowie mehr Zu- als Wegzüge seit 2004 konstatiert der OB für seine Stadt. Magdeburg sei attraktiv für viele geworden, freut er sich.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kommen solche Kommentare gerade recht. An diesem Mittwoch hat er den Bericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit vorgestellt. Und der enthält zunächst lauter gute Nachrichten: Die Arbeitslosigkeit ist mit 10,7 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 1991 gefallen und hat sich seit 2005 nahezu halbiert. "Beeindruckend" sei die Reindustrialisierung Ostdeutschlands, heißt es in dem 158-seitigen Konvolut. Demnach stieg der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung in den neuen Ländern (ohne Berlin) von 11,2 Prozent (1995) auf nun knapp 18 Prozent. Der Abstand zu den alten Bundesländern (24 Prozent) habe sich somit deutlich verringert.

Die Angleichung an westliches Wirtschaftsniveau lässt auf sich warten

Wichtiger noch für die Autoren des Berichts: Aus der einstigen Planwirtschaft sei eine "wissensbasierte Industrieregion mit zunehmend wettbewerbsfähigen Unternehmen" geworden. Der wohl am meisten für den Osten Mut machende Fakt betrifft die Abwanderung. Im vergangenen Jahr sei der Exodus aus Ostdeutschland weitgehend gestoppt worden. Erstmalig seit der Wiedervereinigung zogen 2012 "nahezu" so viele Menschen von Ost- nach Westdeutschland wie umgekehrt. Auch bei der Geburtenrate sei man endlich auf "Westniveau" angelangt.

Indes, das verschweigt der Einheitsbericht nicht, die Angleichung an das Wirtschaftsniveau des Westens lässt auf sich warten. 2012 lag das Bruttoinlandsprodukt bei 71 Prozent des Westniveaus. Zwei Jahre zuvor waren es schon mal 73 Prozent gewesen. Dies wird mit der noch besseren Entwicklung im Westen begründet. Nicht etwa mit den im Osten vorhandenen Strukturproblemen, die sich auch künftig kaum beheben lassen, weil es der vorwiegend kleinteiligen Wirtschaft bei allen Fortschritten an Innovations- und Investitionskraft fehlt.

Und das betrifft auch die Einkommensentwicklung. Beim durchschnittlichen Verdienst seiner Bürger dümpelt der Osten nun schon seit Jahren bei mageren 80 Prozent im Vergleich zum Bürger West. So räumt denn auch der immer noch amtierende Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Bergner (CDU), Defizite in der Entwicklung Ostdeutschlands bei Beschäftigung und Entlohnung ein.

Das Einzige, was im Osten zunehmen wird, ist die Vergreisung

Auch das aufstrebende Magdeburg hat Handlungsbedarf. Trotz zwischenzeitlichen Aufschwungs wird die Stadt in den nächsten zehn Jahren wieder schrumpfen - um bis zu 5000 Einwohner. Die Landeshauptstadt, die nach der Wende mehr als 60.000 Bewohner verloren hat, kann sich trotz aufsteigender Industrie in Wachstumsbranchen wie alternative Energien, trotz einer wiedererstarkten Universität mit inzwischen 18.000 Studenten nicht vom Negativtrend des Landes abkoppeln.

Die Lage ist schwierig: Keine Region in Europa schrumpft in den nächsten Jahrzehnten so stark wie Sachsen-Anhalt. Auch der gesamte Osten, der seit der Wende mehr als zwei Millionen Einwohner verloren hat, magert weiter ab. Das Einzige, was im Osten real zunehmen wird, ist die Vergreisung.

Aber da gibt es doch auch noch Leipzig, das sich berufen fühlt, Berlin als Hauptstadt der jungen Kreativen abzulösen. Und Dresden mit seiner Halbleiterindustrie, die trotz Rückschlägen die Wirtschaftsleistung der Stadt und Sachsens voranbringt. Oder Erfurt und Jena, die Kraftzentren Thüringens, die nach dem Willen der Landesregierung nicht nur geografisch zum Mittelpunkt Deutschlands aufsteigen sollen. Und natürlich der Großraum Berlin/Potsdam mit seinen Netzwerken aus Forschung, Produktion und Politik, der schon jetzt zu den großen Wanderungsgewinnern Deutschlands gehört und zumindest Immobilien-Investoren mehr und mehr anzieht. Entsprechend deftig steigen Mieten und Kaufpreise.

Blühende Landschaften, verödete Regionen

Der Osten ist nicht gleich der Osten. Das ist mehr als 20 Jahre nach der deutschen Einheit eine Binsenweisheit. Trotzdem streiten Politik und Wissenschaft mit- und untereinander um die Deutungshoheit der gelieferten Daten, die, wenn man sich nur auf den Durchschnittswert besinnt, mittlerweile ohne Aussagekraft sind. Einige "blühende Landschaften" hier, viele verödete Regionen dort. Der Maßstab kann sich aber nicht am Durchschnitt orientieren, sondern muss mehr und mehr "sowohl als auch" heißen.

Lob etwa gibt es für die meisten neuen Länder, weil sie nun endlich ihre Haushalte in den Griff bekommen und künftig nicht mehr über ihre Verhältnisse leben wollen. Erste Überschüsse werden eingefahren und sogar bisweilen die Schuldentilgung aufgenommen - weit vor der 2020 einsetzenden Schuldenbremse. Nur vergisst man darüber gern, dass die ostdeutschen Länder ihre Ausgaben nur zur Hälfte (exakt: 56 Prozent) aus eigenen Einnahmen decken können. Der "Rest" kommt aus innerdeutschen und europäischen Transferleistungen.

Und keiner kann seriös voraussagen, wie diese Lücke bis zum Auslaufen des Solidarpakts Ende 2019 geschlossen werden kann. Der Pakt spült bis dahin - seit 1995 - mehr als 250 Milliarden Euro in die ostdeutschen Länderkassen.

Für den Ost-Experten Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut Dresden bleibt auch der neue Einheitsbericht überaus fragwürdig. Die Zahlen seien bestimmt richtig, erklärt er. Ihre Interpretation dagegen sei eher falsch.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: