beraten & verkauft (I):Ich geh' zu McKinsey!

Wie ist der Eintritt in eine Branche, die zwar viel von sich reden macht, gleichzeitig aber zu den verschwiegensten überhaupt zählt? Ein Erfahrungsbericht.

Im Folgenden geben wir einen Auszug aus dem neu erschienenen Buch "beraten & verkauft" wieder, das derzeit zu den meistverkauften Büchern bei Amazon zählt.

beraten & verkauft (I): McKinsey - ein Name steht für eine ganze Branche. Er hat sogar schon für ein Theaterstück gereicht.

McKinsey - ein Name steht für eine ganze Branche. Er hat sogar schon für ein Theaterstück gereicht.

(Foto: Foto: dpa)

Der Autor Thomas Leif nähert sich darin einer unnahbaren Branche an: Den Unternehmensberatern. Bestandteil des Buches ist auch ein Erfahrungsbericht von Julia Friedrichs über den Recruiting-Prozess bei McKinsey, den Sie hier im Rahmen einer kleinen Serie bei sueddeutsche.de nachlesen können.

Dies ist die Geschichte eines Flirts, aus dem zuletzt fast mehr wurde. Manche nennen solche Flirts Undercover-Recherche.

Mir ist dieser Begriff zu gewaltig, zu spionagefilmmäßig. Was zwischen den großen Beratungsfirmen und mir lief, war eher ein neugieriges Kennenlernen, ein manchmal befremdliches, aber spannendes Herantasten, ein Flirt eben.

Es begann im Sommer 2005. Ich war Journalistikstudentin, hatte nebenbei gearbeitet, und mein Konto war schon seit sechs Monaten nicht mehr überzogen.

Ich kann mich also nicht darauf zurückziehen, es nur wegen des Geldes getan zu haben. Dass ich Kontakt zu McKinsey und Boston Consulting aufgenommen, dass ich mich schließlich sogar dort beworben habe, lag einfach daran, dass ich neugierig auf die Berater war, dass ich herausfinden wollte, wer diese neuen Mächtigen sind.

Aber wie das Ganze genau abläuft, erzählen sie nie, verschwiegen und diskret, wie sie sind. Also schickte ich ihnen meinen Lebenslauf und schrieb dazu, dass ich mich sehr für das Beratergeschäft interessierte, obwohl ich bislang niemals irgendetwas damit zu tun gehabt hätte.

Vor allem aber wollte ich wissen, wie man einer oder eine von ihnen werden kann und wie das Auswahlverfahren aussieht.

Im Grunde ist es ganz einfach: Die Berater nehmen alle, nicht nur Wirtschaftsstudenten, sondern auch Soziologen oder Sportler. Mit ihrem aufwendigen Recruiting-Verfahren fischen sie aus jedem Jahrgang die Besten, die Elite raus, sagen sie.

Meine Unwissenheit schreckte die Angeschriebenen nicht ab: McKinsey lud mich zu einem großen internationalen Rekrutierungstreffen nach Griechenland ein. Meine Leidenschaft für die Beratung hatte sie offenbar überzeugt.

Mit McKinsey in Griechenland - Tag eins

"Passion wanted" Berlin: 4.30 Uhr, der Wecker klingelt. Mein Leben als Consultant - so muss es wohl beginnen.

Achtzig-Stunden-Wochen wollen erarbeitet werden. "Der erste Monat schmerzt", wird Pat aus Irland am Abend sagen. "Egal, was ihr vorher gemacht habt, McKinsey wird härter sein."

Und dann wird er aufzählen, wohin ihn seine Consultant-Tätigkeit in dieser halben Woche schon gebracht hat: London, Naher Osten, Johannesburg.

Brüssel, Madrid, Kopenhagen, Amsterdam, Paris, wird Jacques aus Belgien kontern. Aber das wird erst am Abend passieren, in Kap Sounio bei Athen, zu Füßen des Poseidontempels.

Ich geh' zu McKinsey!

"Passion wanted for a New Europe" heißt der Slogan der EuroAcademy, die McKinsey hier veranstaltet.

beraten & verkauft (I): beraten & verkauft - McKinsey & Co - der große Bluff der Unternehmensberater Verlag C. Bertels- mann, 2006, 448 Seiten, 19,95 Euro,  ISBN 3-570-00925-4

beraten & verkauft - McKinsey & Co - der große Bluff der Unternehmensberater Verlag C. Bertels- mann, 2006, 448 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 3-570-00925-4

Die Berater locken mit Freiflügen, einem Luxushotel und Segeljachten. 2500 junge Europäer haben sich beworben. 120 High Potentials, wie McKinsey schreibt, wurden eingeladen. Sie kommen aus den EU-Ländern, aber auch aus Russland und der Türkei.

Ich musste mich aufwendig bewerben. McKinsey wollte nicht nur einen Lebenslauf, ein Foto und Zeugnisse.

Ich musste über außeruniversitäres Engagement berichten und schrieb von meiner Zeit beim Uniradio.

Ich sollte meine Hobbys erläutern und erklären, warum ich besonders vielseitig veranlagt sei. Ich mag Musik und meinen Kicker, genauso wie Politik und meine Tageszeitung.

Das habe ich McKinsey nach langem Nachdenken mitgeteilt. Schließlich musste ich in einer Art Besinnungsaufsatz über meine Leidenschaft für Europa schreiben.

Ich habe den Beratern von meiner WG in Brüssel erzählt, von dem eitlen Spanier, der dramatisch-nymphomanischen Französin und der pragmatischen Belgierin.

"You have been selected"

Mit ihnen habe ich Europa erlebt wie viele andere Erasmus-Studenten auch. Alles in allem war meine Bewerbung also wenig visionär.

Der große Glanzpunkt meines Lebenslaufs lag ja auch schon sechs Jahre zurück: Mein Abitur war sehr gut.

"Congratulations! You have been selected", schreibt mir McKinsey sechs Wochen später. Man wolle mir die Möglichkeit geben, andere Studenten von führenden Universitäten Europas zu treffen.

Ich bin überrascht und verwirrt. ENA und Sorbonne, Cambridge und Oxford, München und Dortmund - ein Name passt nicht in die Reihe.

Die Universität Dortmund, an der ich studiere, hat es noch nie, nicht einmal annähernd, in den Kreis der europäischen Eliteuniversitäten geschafft.

Es ist das erste Mal, dass ich mich in einem solch exquisiten Zirkel wiederfinde. McKinsey hat mir gleich jede Menge Arbeit mitgeschickt. Ich soll einen 19-seitigen Fragebogen ausfüllen - zu meiner Identität, zu Europa, zur Wettbewerbsfähigkeit der EU.

"Maximising economic growth should be a primary objective of the EU."

Ob ich dieser Aussage zustimme, will McKinsey wissen. Eher nicht.

Ob hohe Arbeitskosten und staatliche Regulierung die Arbeit europäischer Unternehmen unzulässig behinderten, fragen die Berater. Auch eher nicht, antworte ich.

Später in Kap Sounio werden die Antworten aller Studenten in einer Kuchengrafik aufgelöst werden. Ich werde mich in einem besonders kleinen Eckchen wiederfinden - als relativ einsame Verfechterin eines starken Staates.

Doch noch bin ich in Berlin. Um kurz vor sechs steige ich am Flughafen aus dem Bus. Mein Rollkoffer reiht sich in die lange Reihe des Businessgepäcks ein.

Nicht schlecht, denke ich, auch wenn ich mich für die Beulen im Koffer ein wenig schäme. Ich halte Ausschau, suche Leute mit Polohemden, Kleidersäcken, dicken Uhren.

Stattdessen sehe ich jemanden mit meinen Schuhen, meinen Lieblings-Sneakers. Goldgelb sind sie und nicht wirklich businesslike.

Ich trage meine jeden Tag, habe sie heute aber zu Hause gelassen und mich stattdessen in die Stiefel meiner Mitbewohnerin gezwängt.

Kein Consultant wird Sportschuhe tragen, hatte ich gedacht. Die Sneakers gehören Johanna. Sie ist aus Flensburg, hat in Berlin und Chile Medizin studiert und würde gern an der Uniklinik in der Gynäkologie arbeiten.

Wenn sie davon erzählt, dass man sicher bald mit neuen Methoden und neuen Medikamenten Brustkrebspatientinnen viel besser helfen könne, klingt sie sehr idealistisch.

Unglaubliche viertausend Euro im Monat

Aber Johanna stört, dass im Krankenhaus oft nur der Mangel verwaltet wird, dass vieles schlecht organisiert ist, dass sie im OP häufig angeschrien und wie der letzte Dreck behandelt wird, dass sie endlos lange Schichten schiebt, in ihrem Traumjob in der Gynäkologie allerdings nur 1800 Euro brutto verdienen würde, trotz sehr guter Noten, eines aufwendigen Studiums und ihrer Promotion.

Deshalb überlegt Johanna jetzt, Consultant zu werden. Ein Angebot für ein Praktikum hat sie schon: Unglaubliche viertausend Euro würde sie pro Monat verdienen, mehr als doppelt so viel wie im Krankenhaus. "Und das viele Arbeiten schockt mich nicht", sagt sie.

Das mach ich in der Klinik ja auch. Nur halt, ohne viel Geld dafür zu bekommen. " Das klingt alles sehr logisch, sehr überlegt. Ich bin verwirrt, hatte ich doch nicht erwartet, hier Menschen wie Johanna zu begegnen. Lufthansa, Businessclass.

Ein paar Reihen vor uns sitzt Veronica Ferres mit ihrer Tochter. Haben sie die auch gebucht, um das Consultant-Leben glamourös scheinen zu lassen?

Es gibt Fisch, dicke Ledersitze und Beinfreiheit wie noch nie. Freundlich werden mir die neuesten Zeitungen präsentiert. Ich strecke mich aus und schaue aus dem Fenster auf die Alpen. So richtig schlecht geht es mir gerade nicht.

Ich zucke zusammen. Bin ich käuflich? Ein bisschen Wichtigkeit, und schon schmelze ich dahin.

Ich geh' zu McKinsey!

15 Uhr: Ankunft in Athen. "Where are you from? What are you studying? " Ein dicker Belgier läuft neben uns her. Er ist noch jung, steht aber in voller Geschäftsmannmontur am Flughafen: schwarzer Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Er macht Witze über seine Glatze. Dann erzählt er mehrmals, dass er seinen Job liebt.

Im Moment mache er was mit Transport und Logistik, berichtet er. Vielleicht ist er Möbelwagenfahrer. Wohl kaum. Gerade fasst er sich an seine unübersehbare Tissot-Uhr. Hat er vielleicht ein Speditionsunternehmen geerbt?

Und was macht er dann hier? Ein Erbe, der Berater werden will? Auch eher unwahrscheinlich.

Dann kommt das, was ich in den nächsten Tagen gefühlte tausend Mal hören werde: "Ich bin bei McKinsey. Und ich liebe es. Sie haben mich hierher geschickt, um genau das zu erzählen", erklärt uns der Belgier unverblümt.

Zu erzählen, wie toll das Unternehmen ist. Ich sitze im Bus und sehe Buchten, Palmen und Bauruinen. Ich bin in Griechenland. Mir fallen die Augen zu. "Where are you from?", fragt sich der Belgier unermüdlich durch den Bus. Hinten sitzen acht Portugiesen.

Alles Ingenieure, alle gerade zwanzig. Die Portugiesen haben sich schon vorher einmal in Lissabon mit den McKinsey-Leuten zum Essen getroffen.

Sie kennen sich, und da sie mit dem Belgier nicht wirklich reden wollen, kommen sie jetzt zu uns und fragen auch: "Where are you from?" - "Where from Germany?" - "What are you studying?" Es ist ein bisschen wie auf einer Jugendfreizeit.

Eine letzte Bucht noch, ein letztes "from Berlin", und wir sind da. Die Hotelanlage liegt direkt am Meer, die kleinen Bungalows aus sandfarbenem Stein sind an den Hang gebaut.

Großzügig umrahmen sie den Mittelbau im Tempelstil. Dazwischen sehe ich kleine und große türkisfarbene Kleckse, das sind die Swimmingpools.

Mir wird ein Drink gereicht, strahlende Jungberaterinnen drücken mir einen "Passion wanted"-Rucksack in die Hand. Darin finde ich ein Begrüßungsschreiben, mein Namensschildchen, kurze Porträts aller Teilnehmer, ein McKinsey-Polohemd und eine McKinsey-Kappe.

"Ihr seid brillant"

Corporate Identity wird hier wohl groß geschrieben. "Der Rucksack hat 'ne gute Form", kommentiert Johanna. "Wenn man sich Mühe gibt, kann man den Aufdruck sicher abkriegen." Wir sitzen in einem Caddy-Car, das von Kostas gelenkt wird. Kostas fährt mich und meinen Rollkoffer in die 217, meinen Bungalow.

Er zeigt mir, wie man die Tür öffnet, hebt mein Gepäck auf die Kofferablage. Das alles ist mir unangenehm. Ich kann meine Sachen selbst tragen, denke ich. Doch bevor ich entschieden habe, ob ich Kostas das sagen kann, ist er schon wieder weg und holt die nächste Ladung Mittzwanziger, um sie in ihre Luxusbungalows zu fahren.

Als ich den McKinsey-Rucksack leere, entdecke ich noch einen blassgelben Notizblock: "For your eyes only" steht auf jedem Blatt.

Dahinter das McKinsey-Motto: "Sealed lips, clean desk, guarded doors, safe script, safe screen." In einem Buch habe ich gelesen, dass dieser Block in der gesamten McKinsey-Welt identisch ist.

Die Piktogramme und das Motto am oberen Rand warnen vor zu vielen Worten.

McKinsey-Mitarbeiter sollen, hieß es in dem Buch, "viel denken, nicht aber unbedingt viel reden - schon gar nicht über Interna".

Ist das Unternehmen etwa ein elitärer Geheimbund? Ich bin gespannt.

17.00 Uhr. Wir sind gerade zu Carmina-Burana-Klängen in den großen Konferenzsaal eingezogen. Überall stehen Fähnchen, um die Studenten aus zwanzig Ländern zu begrüßen.

Hauke aus dem Büro Düsseldorf und Fanny aus dem Büro Paris heißen uns willkommen. "Hello, hello, hello", ruft Hauke.

Er übernimmt den Part des Komikers, Fanny den der hübschen, charmanten Assistentin. Ihr Auftritt erinnert mich an die Moderatoren beim Grand Prix d'Eurovision.

"Ihr wollt wissen, warum ihr hier seid?", fragt Hauke. "Ihr seid brillant in dem, was ihr tut. Deshalb haben wir euch hierher eingeladen. Wir glauben, es ist interessant, mit euch zu sprechen."

Wir alle hätten es in der Schule oder an der Uni zu echtem Leadership gebracht. Ich schaue die Reihen entlang und sehe, dass die meisten sehr zufrieden zuhören.

Es ist das erste Mal, dass mich jemand als Elite bezeichnet, und ich bin irritiert. Natürlich schmeichelt es mir, aber es gefällt mir nicht. Nach Hauke spricht Pat.

Er ist Direktor im Londoner McKinsey-Büro und hat sich auf die Beratung von Banken und Versicherungen spezialisiert.

Pat ist ein drahtiger kleiner Ire, aus seinem "Passion wanted"- Polohemd quellen rote Brusthaare. Er erzählt, dass er ursprünglich nur zwei Jahre bei McKinsey bleiben wollte, dass daraus aber mittlerweile elf geworden seien.

Alle zwei Jahre, sagt Pat, würde er sich fragen, ob er seinen Beruf noch genießen und ob er immer noch lernen würde, sich also weiterentwickeln könne.

Bislang habe er diese Fragen immer mit Ja beantwortet. McKinsey sei ein ganz toller Arbeitgeber, jeder könne seinen eigenen Weg gehen, könne sein eigenes McKinsey für sich entdecken.

Deshalb würde man hier mit Leidenschaft arbeiten - "true passion ", wie Pat sagt -, und würde gar nicht merken, dass man oft weit über die Siebzig-Stunden-Woche hinauskomme. "Und ich schaffe es trotzdem", protzt Pat, "bis zu sechsmal pro Woche Sport zu machen. Und meine Kinder sehe ich auch fast jedes Wochenende."

Was sein größter Erfolg gewesen sei, will einer wissen. Pat erzählt, dass er 1990 die Beratung einer kleinen, unbedeutenden Regionalbank übernommen habe. Heute sei dies die fünftgrößte Bank der Welt. Im Raum herrscht andächtiges Schweigen.

Deshalb würden die allermeisten Kunden McKinsey ja auch immer wieder buchen, legt Pat nach.

Das wirkt: Kaum einer wird in den kommenden Tagen in Frage stellen, ob es für ein Unternehmen sinnvoll ist, Millionen Euro in Berater zu investieren.

Die nächste Frage aus dem Plenum lautet: "Was unterscheidet McKinsey von den Konkurrenten auf dem Markt?" - "Wir haben keine Konkurrenten ", erwidert Pat knapp und fügt dann hinzu: "Nein, im Ernst, über unsere Mitbewerber reden wir einfach nicht."

Worüber Pat, Hauke und Fanny auch nicht reden wollen, ist, wie hoch die Tagessätze eines Beraters sind. Man bekomme den Marktpreis, sagt Pat.

Und Hauke fügt hinzu: "Wir wollen immer zehnmal mehr für unsere Kunden herausholen, als wir kosten." Damit ist das Thema Geld beendet.

Immerhin bleibt ja unter dem Strich genug übrig, um das alles hier zu bezahlen, denke ich, als wir zum Dinner gehen.

Dort begrüßt uns eine Direktorin aus dem Frankfurter Büro. Sie ist 38 und das beste Beispiel für die schnellen Karrieren, die McKinsey verspricht.

Entweder man steigt rasch auf, oder man scheidet aus. "Up or out. Grow or go", nennt McKinsey das.

Es ist unübersehbar, dass dieser Gedanke viele hier anfixt. Vor allem für Frauen sei das super, wird mir später eine Beraterin erzählen. Da könne man richtig Gas geben, bevor es ans Kinderkriegen gehe.

Ich geh' zu McKinsey!

Zielgruppenspezifische Werbung nennt man das. Ein Prinzip, das, wie ich bald begreife, bei diesem Event ganz groß geschrieben wird. Auch die Frankfurter Direktorin sieht in uns "true leaders".

Noch muss ich jedes Mal schlucken. Doch schon an diesem Abend wird mir klar, dass "Leadership" hier neben "Passion" ein absolutes Schlüsselwort ist. In der Dokumentation zur Akademie 2004 hatte Tore Myrholt, Direktor im Büro Oslo, geschrieben, man wolle in Athen heutige mit künftigen Leadern zusammenbringen.

Beim Essen fällt mir auf, dass man die Leute im Raum in zwei Teams einteilen kann. Die meisten haben rote Bänder mit Namensschildern um den Hals, das sind wir, die Studenten. Die anderen, die Meckies, haben blaue Bänder.

Und im Moment fühle ich mich von den Blauen ein wenig verfolgt. Erst sitzt Jacques aus Belgien neben mir. Als er hört, dass ich Journalismus studiere, erzählt er mir von einer, wie er findet, tollen und innovativen Idee aus Südkorea.

Dort würden die Journalisten vor allem davon leben, dass sie für ihre Texte, die sie ins Internet setzen, von den Lesern eine Art Trinkgeld bekämen. "Damit kannst du mehrere tausend Euro machen", sagt Jacques.

An meiner anderen Seite sitzt Guido aus dem Mailänder Büro. Er saniert gerade eine große italienische Fluggesellschaft. Auch er schwärmt von seinem Job, von den tollen Leuten, die er trifft. Ob er auch Angestellte feuern müsse, frage ich. Ja, das komme vor und sei natürlich nicht schön, erwidert Guido. Wichtig sei, es gut zu machen.

Resistente Verlierer

Es gebe eben Gewinner und Verlierer im Leben, und vor allem Letztere seien geradezu resistent gegen Veränderung. Denen müsse man helfen einzusehen, dass sie am falschen Platz seien. Für viele würde sich das Ausscheiden aus dem aktuellen Job auf lange Sicht aber auch als positiv erweisen.

Ich will wissen, ob die Einteilung in Gewinner und Verlierer nicht deswegen so angenehm sei, weil man selbst zu den Gewinnern gehöre.

"Provokante Frage", freut sich Guido. Aber was könne er dafür, dass er ein Gewinner sei? Er habe hart gearbeitet, viel investiert und sich seine Position verdient. Man brauche solche Gewinner: "You need true leaders."

Ein ernsthaftes Problem gebe es aber doch, fügt Guido hinzu: Man gewöhne sich sehr schnell an das angenehme Luxusleben, das einem McKinsey biete.

"Wie schnell?", will ich wissen. Ich habe mal gelesen, dass man von Kokain auch schon beim ersten Mal abhängig wird, und mache mir Sorgen um mich. "Tolle Frage", sagt Guido. "Ich denke drüber nach." Dann geht er. Dafür sitzt kurz darauf Pat neben mir.

Er wirkt müde. Der Trip über den Nahen Osten und Johannesburg war wohl doch ein wenig anstrengend. Trotzdem rafft er sich noch zu einer kurzen Rede über Deutschland auf. Unser Sozialstaat sei viel zu teuer, zu lähmend und stehe ohnehin kurz vor dem Kollaps.

"Noch wehrt ihr euch in Deutschland", sagt mir Pat. Aber bald werde die Vernunft siegen. Ob man auch als Anhänger möglichst umfangreicher und solidarischer Sicherungssysteme bei McKinsey anfangen könne, frage ich. "Das wird kaum gehen", antwortet Pat. Er hat ganz kleine Augen und wird auch in dieser Nacht nicht viel Schlaf bekommen, da er am nächsten Morgen einen der ersten Flieger nehmen muss.

In diesem Moment wünsche ich Pat die 38,5-Stunden-Woche. Ich brauche etwas frische Luft. Auf dem Weg zur Terrasse komme ich am McKinsey-Tisch vorbei. Dort speist ein anderer Pat, Pat Cox, umrahmt von McKinsey-Hierarchen. Pat Cox war bis Mitte 2004 Präsident des Europäischen Parlaments. Er ist nicht der einzige Prominente, der uns und vor allem McKinsey in den folgenden Tagen beehren wird.

Auf der Terrasse treffe ich Ion. Er ist 25, so alt wie ich, und Sohn rumänischer Einwanderer. Ion scheint auch mal frische Luft zu brauchen. Im Vergleich zu den meisten anderen, die sich drinnen auf dem edlen Parkett sehr souverän bewegen, wirkt er eher schüchtern. Seine Eltern haben sich in Heidelberg ein Reihenhaus erspart.

Im obersten Stock wohnt Ion zusammen mit seiner Frau. Ich frage ihn, ob er sich vorstellen könne, Consultant zu sein. "Es ist so schön hier", sagt er. Die Arbeit sei bestimmt sehr, sehr abwechslungsreich und spannend. "Aber mehr als ein Praktikum kann ich mir nicht vorstellen. Da ist Carl dagegen."

Ich erfahre, dass Carl drei Monate alt ist und gerade lernt, den Kopf zu heben. "Der würde ganz schön gucken, wenn er hier wäre", sagt Ion. Mittlerweile hat die "Drinking Session" - auch ein Witz von Hauke - an der Hotelbar begonnen. McKinsey schenkt Wein und Bier aus. Ich treffe Max und Alexander. "Coole Leute hier", findet Max. "Alle locker und ehrlich."

Max studiert in Zürich Politik, sagt aber fast entschuldigend, dass er schon eher rechts sei für einen Politologen. Auch er findet, dass der Staat noch viel zu viel für die soziale Sicherung ausgebe. Deutschland sei da die absolute Katastrophe. Viele Menschen seien schlicht verwöhnt und faul.

Was man bräuchte, sei eine deutsche Maggie Merkel, die mal so richtig durchfegt, meint Max. Ich erwähne Hartz IV, sage, dass ich 345 Euro nicht zu viel fände und dass man ja auch niemanden verhungern lassen könne.

"Wie viel man da genau bekommt, weiß ich jetzt auch nicht", erwidert Max. - "Das wird dort bestimmt eine neoliberale Gehirnwäsche werden", hatte mich mein Freund vor meiner Abreise gewarnt.

Es erleichtert McKinsey die Arbeit, dass das bei den meisten nicht mehr nötig ist. Während ich Max zuhöre, schaue ich immer wieder zu Alexander hinüber, der mit einem Münchener Mädchen zusammen steht. Vorher hatte er mir erzählt, dass er an der European Business School in Oestrich- Winkel studiere.

Viele seiner Kommilitonen würden nach der Uni zu einem der großen Consultingunternehmen wechseln. Es gebe ein eigenes Karrierebüro in Oestrich-Winkel, das bei den Bewerbungen helfe. "Irgendwo muss das Geld ja hingehen", sagt Alexander. Fünftausend Euro zahle sein Vater pro Semester, damit der Sohn auf einem Schloss studieren kann.

Ich habe immer mehr das Gefühl, hier nicht hinzugehören. Das erzähle ich kurz darauf auch Heino Fassbender, einem ehemaligen Direktor im Frankfurter Büro.

Er gibt hier den Kumpel, nimmt mich schunkelnd in den Arm, als ich erzähle, dass ich mal ein Zimmer in Köln- Nippes hatte. Ich rücke etwas ab und sage ihm, was ich loswerden will: "Ich habe kaum Ahnung von BWL", erzähle ich, "und mit Unternehmen hatte ich bisher hauptsächlich beim Shoppen zu tun.

Warum ist McKinsey an jemandem wie mir interessiert?" - "Fachwissen ist uns überhaupt nicht wichtig", tröstet mich Fassbender. "Alles, was ihr wissen müsst, bringen wir euch bei.

Es ist sowieso besser, wenn ihr die Methoden direkt bei uns lernt. Wir brauchen einfach nur kluge Leute, die Besten. Denen müssen wir zeigen, dass McKinsey für sie der ideale Platz ist. Was meinst du", fragt er, "warum wir das hier sonst alles machen?"

(Tag zwei folgt in Kürze ...)

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