Bei uns in Tokio:Die spinnen, die Japaner

Sie haben wenig Freunde, ihre hierarchisierte Sprache macht das Kennenlernen schwierig. Ein Mangel ist allerdings stets auch eine Chance. So gibt es in Tokio Hostessenbars - und Frauen, die Männern gegen Bezahlung zuhören.

Von Christoph Neidhart

Die Japaner haben wenig Freunde, oft nur ehemalige Klassenkameraden und Arbeitskollegen. Ihre hierarchisierte Sprache macht das Kennenlernen schwierig. Außerdem haben die meisten dafür kaum Platz in ihrem Leben, sowohl räumlich als auch zeitlich nicht.

Ein Mangel ist allerdings stets auch eine Chance. Schließlich gilt es in Japan als Makel, keine Freunde zu haben oder sogar keine Familie. Schauspielagenturen vermitteln deshalb für Hochzeiten - in Japan eine ziemlich steife Angelegenheit - Leihmütter, Leihväter oder Leihtanten.

Natürlich verkaufen junge Frauen Männern auch in Japan Sex. Aber dazu oft auch recht harmlose Dienste: Sie reinigen ihnen beispielsweise die Ohren, das entspannt. Oder ein "Joshi-Kosei-Sampo" - einen Spaziergang mit einem Schulmädchen. Der kostet etwa 100 Euro für zwei Stunden. In der Annonce steht dann ausdrücklich: "Wir sind keine Sexindustrie." In den Hostessenbars hören Frauen gegen Bezahlung Männern primär einmal zu. Das leisteten einst auch die Geishas, die vor allem Konversation und Musik machten. Alles Übrige war Privatsache. Und ist es bis heute.

Wer übrigens lieber ein Date mit einem Haustier hat, geht in ein Pet-Café. Dort warten Kaninchen, Katzen, Papageien und sogar Eulen auf zahlende Kunden, die sie streicheln wollen.

In Tokio gibt es aber nicht nur Hostessenbars, sondern auch solche, in denen Männer Frauen gegen Bezahlung zuhören. Findige Geschäftsleute haben das jüngst weiterentwickelt und zu dieser Idee gleich eine Internetseite. Schon gibt es eine Firma mehr. Der 46-jährige Takanobu Nishimoto zum Beispiel startete sein Unternehmen "Ossan Rental". Dabei bietet er sich und seine Mittvierziger-Freunde für 1000 Yen pro Stunde (etwa acht Euro) als Konversationspartner an. Oder Hiroki Terai: Der junge Mann nimmt umgerechnet 65 Euro pro Stunde - fürs bezahlte Weinen. Für traurige Anlässe, beispielsweise für eine Scheidungsfeier. Selbst so etwas wird als Dienstleistung angeboten. Frau kann sich mit Terai oder einem seiner Partner von "Ikemeso Danshi", den "netten heulenden Boys", aber auch einfach mal vor den Fernseher setzen.

Die meisten Japaner haben von diesen Geschäften allerdings noch nie etwas gehört, obwohl es die Leiheltern beispielsweise bereits seit Jahren gibt. Die ausländischen Medien dagegen lieben solche Geschichten für ihre Rubrik "Die spinnen, die Japaner". Und weil die Ideen, wenn sie in eine schmucke Website gegossen sind, ziemlich professionell aussehen, wird daraus schnell ein scheinbarer Trend. Ein gutes Geschäft dagegen längst nicht immer.

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