Bei uns in Rio:Waschen beim Nachbarn

Das Schöne am brasilianischen Alltag ist ja, dass er am Ende trotzdem funktioniert. Umso beglückender ist es dann etwa, wenn doch noch der Tag kommt, an dem eine längst gekaufte Waschmaschine erstmals Wäsche wäscht.

Von Boris Herrmann

Das Schöne am brasilianischen Alltag ist ja, dass es am Ende trotzdem funktioniert. Der beschwerliche Weg zum Happy End macht indes die besondere Note dieses Alltags aus. Man ist dabei oft den Tränen nahe, man hört sich fluchen wie ein Altberliner Busfahrer, man ertappt sich bei schauerlichen Mordphantasien. Umso beglückender ist es dann, wenn, nur mal so als Beispiel, irgendwann doch noch der Tag kommt, an dem eine längst gekaufte Waschmaschine erstmals Wäsche wäscht.

Brasilianische Waschmaschinen gibt es, wie in fast allen mehr oder weniger entwickelten Staaten, im Elektrounterhaltungsmarkt. Zwischen flimmernden Großbildfernsehern und lustlosen Verkäufern, wo es Normalsterbliche nicht länger als zehn Minuten aushalten. Man sucht sich also in aller Eile ein Gerät aus, bezahlt und tritt die Flucht an. Bis dahin alles ganz normal, wie bei Saturn oder Media-Markt. Die Besonderheiten von "Casas Bahia" in Rio beginnen bei der Abschiedsfrage: "Wo ist denn hier die Warenausgabe?" - "Wie jetzt? - "Wo bekomme ich meine Maschine?" - "Die bekommen Sie sobald wie möglich."

Was man bei Casas Bahia kauft und größer als ein Fön ist, wird grundsätzlich ausgeliefert. Da kann man nichts mitnehmen. Auch nicht, wenn sich zu Hause bereits die Schmutzwäsche türmt. Die Liefer- und Anschlussgebühren kommen dann natürlich noch dazu. Lieferfrist: Etwa zwei Wochen, im Regelfall. Derzeit dauert es leider etwas länger, die vielen Feiertage.

In den nun folgenden Wartewochen bietet sich dem Käufer die Gelegenheit, seine Nachbarn besser kennen zu lernen. Die lassen einen gerne mitwaschen. Auch regelmäßig. Erkundigt man sich zwischenzeitlich bei der Casas-Bahia-Hotline nach dem Verbleib des bezahlten Produktes, so erhält man nach fünf Minuten Warteschleife eine Vorgangsnummer. Dann ertönt eine Casas-Bahia-Werbemelodie, bevor die Leitung plötzlich unterbrochen ist. Jeder Anruf generiert eine neue neunstellige Zahlenkombination. Mit der Zeit kommt auf diese Weise eine recht beeindruckende Vorgangsnummernsammlung zusammen.

Irgendwann stellen dann tatsächlich zwei freundliche Männer eine Waschmaschine im Flur ab. Dem Einwand, dass man, wenn man schon eine obligatorische Liefer- und Anschlussgebühr bezahlt hat, gerne auch den Anschlussservice in Anspruch nehmen würde, begegnen sie mit einem Achselzucken. Sie seien nur für die Lieferung zuständig, für den Anschluss müsse ein Termin über die Anschlusshotline vereinbart werden. Damit lässt sich die Vorgangsnummernsammlung noch einmal problemlos verdoppeln, bis eines Tages dieselben Männer wiederkommen und den Anschluss legen. Die Nachbarn finden das bis heute schade, sie hätten sich über die Waschbesuche immer sehr gefreut, sagen sie.

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