Bei uns in Rio:Gefühlsausbrüche beim Geldwechseln

Brasilianer sind gelassen und lebensfroh. Nur eins mögen sie nicht: Wenn man es beim Zahlen nicht passend hat.

Von Boris Herrmann

Ein Fläschchen Wasser am Flughafen von Rio kostet vier Reais. Weil die Erfahrung lehrt, dass die Brasilianer ein besonderes Verhältnis zu ihrem Kleingeld pflegen, freut man sich, wenn man in der Hosentasche einen Fünf-Reais-Schein findet. Trotzdem guckt der Wasserfläschchen-Verkäufer so entgeistert, als habe man ihn mit einem Fleischermesser bedroht. Er fragt: "Haben Sie es nicht kleiner?"

Fünf Reais, nach dem aktuellen Wechselkurs entspricht das 1,23 Euro. Viel kleiner geht es nicht bei einem Warenwert von umgerechnet 91 Cent. In Rio kann es passieren, dass sich aus dieser Differenz eine längere Debatte entspinnt, bei der mehrere Wasserfläschchen-Fachverkäufer-Kollegen zu Rate gezogen werden. Der Gütevorschlag lautet schließlich: "Zahlen Sie doch einfach mit Karte!" Wenn man aber an dieser Stelle beschließt, das komplexe Geschäft mit dem Mineralwasser höflich abzubrechen, dann sind auch alle zufrieden. Abgesehen vom durstigen Kunden.

Brasilianer sind in der Regel überaus fröhliche und zuvorkommende Menschen. Es ist schwer, sie aus ihrer beneidenswerten Gemütsruhe zu bringen. Es sei denn, man zahlt mit einem größeren Schein.

Was heißt hier groß? Die wertvollsten Banknoten, die umherkreisen, sind die blauen Hunderter (22,89 Euro). Wer einmal das Schauspiel erleben möchte, wie eine brasilianische Supermarktkassiererin einen Schwächeanfall mimt, der muss nur bei einen 75-Reais-Einkauf einen Blauen zücken. Taxifahrer sind schon bei den gelben Zwanzigern den Tränen nahe, wenn lediglich 16,32 Reais auf der Uhr stehen. Es passiert nicht selten, dass sie dann lieber einen violetten Fünfer herausgeben und sagen: "Behalt den Rest."

Es heißt oft, die Berührungsängste mit dem Kleingeld hingen mit traumatischen Erfahrungen aus der Hyperinflation vor gut 20 Jahren zusammen. Aber das erklärt ja nicht, weshalb sich niemand von den ohnehin wertlosen Münzen trennen will. Man kann sich in diesem Land Einkäufe aller Art (Trinkwasser, Blumensträuße, Aspirin) ohne Aufpreis nach Hause liefern lassen - unter einer Bedingung: "Tem troco?", "Haben Sie es passend?"

Es passend zu haben, ist aber gar nicht so einfach. Die Produktion der Ein-Centavo-Münze wurde 2005 eingestellt. Viele Läden zeichnen ihre Preise trotzdem so aus: 4,99/12,89/19,99. Oft ist es mathematisch unmöglich, das Restgeld exakt herauszugeben. Es wird dann einfach einbehalten. Eine perfide Geschäftsstrategie, wie Brasiliens Verbraucherschutzbehörde unlängst beklagte. Sie fordert, dass die Endbeträge im Zweifelsfall abgerundet werden müssten. Auch sei es unzulässig, das Wechselgeld in Form von Bonbons oder Kaugummis auszubezahlen.

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