Bei uns in New York:Die Armut wohnt nebenan

Kakerlaken, giftiges Blei, "ekliger Staub": Der Zustand vieler Sozialwohnungen in New York ist entsetzlich, zahlreiche Kinder wurden dadurch krank. Die Stadt ignorierte und vertuschte das Problem jahrelang.

Von Kathrin Werner

In jedem einzelnen Zimmer der Wohnung lebten Kakerlaken. Aber das war noch nicht einmal das Problem. Das Problem war das Blei, das in der alten Farbe steckte, die von den Zimmerwänden blätterte. In zwei Zimmern waren riesige Löcher in den Wänden, aus denen "ekliger Staub" austrat, wie die Gesundheitsbehörde protokollierte, als sie endlich in der Wohnung vorbeischaute. Ein vierjähriges Kind, das in der Wohnung lebte, hatte einen Blei-Anteil von zwölf Mikrogramm pro Deziliter im Blut, ein enorm hoher Wert, der lebenslange Schäden verursachen kann.

Wer es sich leisten kann, macht einen weiten Bogen um die Sozialwohnungsblöcke in New York. Aber rund 400 000 Menschen können es sich nicht leisten, ein Viertel von ihnen sind Kinder. Sie leben in den maroden Backstein-Bauten so wie das Kind mit dem Blei in Blut im Ortsteil Red Hook in Brooklyn. Red Hook ist ein Stadtteil, der gerade einen Aufschwung erlebt, es gibt mehr und mehr hübsche Coffee Shops und Neubauten mit schicken Eigentumswohnungen. Die Mietpreise steigen. Die Armut wohnt nebenan.

Der Zustand der New Yorker Sozialwohnungen ist so miserabel, dass die Bundesstaatsanwaltschaft eine Untersuchung gestartet hat. Mit schockierenden Ergebnissen: 19 Kinder hatten zwischen 2010 und 2016 erhöhte Bleiwerte im Blut, die ihre Entwicklung verlangsamte. Es könnten noch Tausende mehr sein. Sie lebten in Wohnungen, die von der Stadt zuvor als Blei-frei einstuft wurden. Die Ermittler fanden heraus, dass die Stadt den desaströsen Zustand vieler Wohnungen heruntergeredet, ignoriert und vertuscht hat. Statt sich für die Blei-Werte, die die Behörde in Red Hook maß, zu entschuldigen und das Problem zu beseitigen, startete die Sozialwohnungsbehörde ihre eigene Untersuchung und kam zu ganz anderen Ergebnissen. Natürlich mit niedrigerer Blei-Belastung.

Ein paar Zahlen zur Einordnung: Seit 1937 unterstützt die US-Bundesregierung Bundesstaaten und Kommunen mit Geld für Sozialwohnungen, in diesem Jahr mit rund 7,3 Milliarden Dollar. 1,2 Millionen Familien leben in solchen Sozialwohnungen, die laut Gesetz "anständig, sicher und sauber" sein sollen. New York ist der größte Empfänger. Die Stadt hat ein Budget für Sozialwohnungen von rund 2,3 Milliarden Dollar. Das Geld hat nie gereicht.

Die Untersuchung der Staatsanwaltschaft wird zu keinem Gerichtsprozess führen, die Stadt hat sich mit dem Bund geeinigt. Noch mehr Milliarden sollen in Reparaturen fließen. Für das Kind in Red Hook kommen die zu spät.

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