Bauwirtschaft:Sie bauen und bauen

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Die Bauwirtschaft erwartet den höchsten Umsatz seit 20 Jahren - dank niedriger Zinsen und hoher Zuwanderung. Die Unternehmen finden nicht genug Fachkräfte für ihre vielen Aufträge. Experten gehen davon aus, dass der Boom noch weitergeht.

Von Benedikt Müller, München

Wer zuletzt mal einen Handwerker gebraucht hat, der hat es wahrscheinlich schon gemerkt: Es herrscht Hochkonjunktur auf Deutschlands Baustellen, dank niedriger Zinsen und hoher Zuwanderung. Die Auftragsbücher der Baufirmen und Handwerker sind so voll wie seit 20 Jahren nicht, Kunden müssen vielerorts länger warten oder mehr Geld bezahlen - und das wird auch so bleiben, prognostiziert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seiner neuen Bauvolumensrechnung.

Demnach haben Privatleute, Firmen und der Staat im vergangenen Jahr etwa 350 Milliarden Euro für den Bau und die Planung neuer Gebäude, neuer Straßen sowie für deren Reparatur ausgegeben. Das sind 2,5 Prozent mehr als 2015 - und zwar real, also nach Abzug von Preissteigerungen. Das DIW erwartet, dass die Bauinvestitionen in 2017 und 2018 weiter steigen werden, real um 1,6 und 2,4 Prozent. Die Forscher gewinnen ihre Prognose aus Daten zu Genehmigungen, Aufträgen und Kreditvergabe, im Auftrag des Bundesbauministeriums.

Zwar trägt der Bau-Boom zum Wachstum der gesamten Wirtschaft bei. Allerdings stoßen viele Bauunternehmen, Architekten und Handwerker an die Grenze ihrer Kapazitäten. Die Baufirmen sind heute noch stärker ausgelastet als in den Boom-Jahren nach der Wiedervereinigung. "Offensichtlich haben sie derzeit Schwierigkeiten, eingehende Aufträge abzuarbeiten", sagt Claus Michelsen vom DIW. "Aktionismus bei der staatlichen Förderung von Bauinvestitionen ist daher fehl am Platze", warnt der Ökonom: Sollte der Staat künftig Immobilienkäufern einen Zuschuss geben, dürfte das vor allem dazu führen, dass die Preise für Grundstücke, Bauten und Handwerker noch schneller steigen.

Damit distanziert sich das DIW von Vorschlägen aus der Bundesregierung, Familien beim Immobilienkauf stärker zu unterstützen: Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) regt an, der Staat sollte Käufern in den Ballungsgebieten künftig Eigenkapital-Zuschüsse geben, je nach Anzahl der Kinder; Unionspolitiker sprechen sich für ein Bau-Kindergeld oder Befreiungen von der Grunderwerbsteuer aus. Das DIW empfiehlt hingegen, die Bauwirtschaft könnte anhaltend gestärkt werden, wenn der Staat stetig mehr Geld für Straßen, Brücken und Schulgebäude ausgeben würde.

Zwar erwarten die Bauindustrie und das Baugewerbe in diesem Jahr den höchsten Umsatz seit 1995. Die Unternehmen finden aber immer weniger Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt. Die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter sei im vergangenen Jahr auf einen historischen Tiefstand gesunken, sagt Peter Hübner, Chef des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB). "Die Arbeitskräftereserven auf dem deutschen Baumarkt sind weitgehend ausgeschöpft." Bundesweit arbeiten etwa 780 000 Menschen in der Branche.

Größter Treiber des Booms ist, dass mehr neue Häuser und Wohnungen gebaut werden. Dank niedriger Zinsen und der guten Lage am Arbeitsmarkt legen viele Menschen Geld in Immobilien an. Zudem sind in den vergangenen Jahren deutlich mehr junge Menschen aus dem In- und Ausland in die Großstädte gezogen, als erwartet wurde. Daher entstehen nun vor allem neue Mehrfamilienhäuser in den Ballungsräumen. Von Januar bis Oktober 2016 wurden 23 Prozent mehr neue Wohnungen genehmigt als im Vorjahreszeitraum, berichtet das Statistische Bundesamt. Zudem erwartet das DIW, dass Hausbesitzer in den kommenden Jahren mehr Geld für neue Dämmungen, sparsame Heizungen oder moderne Fenster ausgeben werden. Seitdem die Öl- und Gaspreise wieder steigen, lohnen sich solche energetische Sanierungen eher.

Neben privaten Bauherren vergeben auch Bund, Länder und Gemeinden mehr Aufträge an Baufirmen, beispielsweise den Bau neuer Kindertagesstätten oder neuer Straßen. Das DIW erwartet, dass dieser öffentliche Bau im Jahr 2017 um gut vier Prozent wachsen wird. "Gleichwohl ist der jährliche Verschleiß an den Bauwerken immer noch höher als die Investitionen", sagt Ökonom Michelsen. Deutlich machten dies die vielen kaputten Brücken in Deutschland. Die Unternehmen hingegen geben von Jahr zu Jahr weniger Geld für neue Gebäude aus: Anstehende Wahlen, die politische Krise in Italien und der drohende Austritt Großbritanniens aus der Euro-Zone verunsichern die Firmen.

Die Bauwirtschaft dagegen blickt dermaßen zuversichtlich in die nächsten Monate, dass sie selbst einem Brexit etwas abgewinnen kann: "Viele Polen werden in Großbritannien frei", schätzt Verbandschef Hübner. "Die können wir gerne hier aufnehmen."

© SZ vom 11.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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