Bauernproteste:Milch, Wut und Böller

Farmers protest ahead of EU agriculture crisis talks

Zorn der Bauern: 8000 demonstrierten in Brüssel gegen ruinöse Milchpreise.

(Foto: Laurent Dubrule/dpa)
  • In Brüssel eskaliert der Protest europäischer Milchbauern.
  • Seit April gibt es in Europa keine Milchquote mehr, jeder darf so viel produzieren wie er will. Seitdem fallen die Preise für Molkereiprodukte.
  • Politiker und Bauernvertreter streiten nun darum, wie richtig auf die Gefahr für die Höfe reagiert werden soll.
  • Die EU-Kommission will neben einer Nothilfe auch die Direktzahlungen an Bauern ausweiten und Exporthindernisse für ihre Erzeugnisse abbauen.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Die belgische Hauptstadt kennt das Szenario: Landwirte, die aus allen Teilen Europas mit ihren Traktoren vor die europäischen Institutionen rollen und mit enormer Dezibelstärke Rabatz machen. Brüssel weiß trotz des üblichen Verkehrschaos routiniert damit umzugehen. Diesmal aber, kündigte ein französischer Bauernvertreter am Montagmorgen an, diesmal sei die Krise auf dem europäischen Milchmarkt so groß, "dass wir zu Maßnahmen greifen, die es noch nie gab". Am Ende blieb es hauptsächlich bei Eierwürfen, Böllern und Hupkonzerten, die den EU-Beamten aus wenigen Metern Entfernung direkt in die Ohren fuhren. Weil aber einige Bauern doch zu Gewalt griffen und Straßensperren demolierten, setzte die Polizei auch Tränengas ein. Viele der etwa 6000 Demonstranten kamen aus Deutschland.

Anlass der Proteste war ein Sondertreffen der europäischen Agrarminister. Das Treffen, das am Nachmittag begann und erst am späten Montagabend zu Ende ging, hatte zum Ziel, die unmittelbare Not von Europas Milchbauern zu lindern und den Markt zu stabilisieren. Denn dass es ein ernstes Problem gibt, darin sind sich Landwirte und Politiker einig. 34 Jahre lang hat den Milchbauern eine Quote vorgeschrieben, wie viel sie höchstens produzieren durften. Wer mehr melkte, musste Strafen zahlen. Das ist seit dem 1. April vorbei. Jetzt herrscht der freie Markt, und die Preise sind drastisch gefallen. Statt 40 bis 50 Cent, die ein Bauer für ein Kilogramm Milch erhalten müsste, um einigermaßen über die Runden zu kommen, liegen sie seit Monaten bei 27 Cent und weniger, in Teilen Osteuropas sogar nur bei 21 Cent.

Der Weltmarkt tut nicht, was er soll

Die Gründe für den Preisverfall liegen auf der Hand: Viele große Höfe haben die Produktion erhöht, weil sie ihr Heil nun, wie von der Politik und auch vom Deutschen Bauernverband (DBV) gewünscht, stärker auf dem Weltmarkt suchen. Doch die Ware findet keinen Absatz, seit Mitte 2014, also weit vor Ende der Quote, sinken die Preise überall: weil die Weltwirtschaft schwächelt und insbesondere China und Indien weniger abnehmen und die eigene Produktion verstärken; vor allem aber wegen des im vergangenen August erlassenen russischen Embargos für westliche Agrarprodukte.

Nach zähen Verhandlungen billigten die Landwirtschaftsminister ein Maßnahmenpaket der EU-Kommission, das unter anderem Soforthilfen in Höhe von 500 Millionen Euro vorsieht. Die Kommission will unter anderem den Milchsektor gezielt unterstützen, Direktzahlungen an Bauern vorzeitig zahlen, neue Märkte erschließen, zinsgünstige Darlehen gewähren und finanzielle Instrumente fördern, mit denen sich die Preise stabilisieren ließen. Solche finanziellen Soforthilfen und eine europäische Exportoffensive hatte der Deutsche Bauernverband gefordert. Auch Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) begrüßte die Maßnahmen als "wirksame Mittel zur Bekämpfung der Krisensituation". Ein Sprecher des Ministers sagte der SZ, die 500 Millionen Euro stammten aus der Abgabe, die Milchbauern zahlen mussten, wenn sie die abgeschaffte Quote überschritten. Insofern bleibe das Geld bei den Landwirten. Der europäische Bauernverband Copa Cogeca hingegen kritisierte das EU-Paket als nicht ausreichend. Auch die meisten Demonstranten in Brüssel sprachen sich bereits im Vorfeld gegen das Paket aus. Sie sehen sich als Vertreter einer nachhaltigen Landwirtschaft, die auch "im Sinne der Verbraucher" sei, wie der Bauer Johannes Pfaller aus dem bayerischen Landkreis Roth sagte. Es sei alle paar Jahre dasselbe Problem: Es werde zu viel produziert, und das verderbe die Preise. "Wir brauchen ein System, mit dem die Mengen gekürzt werden." Das European Milk Board, ein Dachverband der Milchbauern, empfiehlt, in Krisensituationen Höfe zu bestrafen, die mehr produzieren, und jene zu belohnen, die freiwillig drosseln. Das System käme langfristig ohne staatliches Geld aus, die Politik müsste nur den Rahmen setzen. Auch Frankreich zeigte sich unzufrieden mit dem Ergebnis und pocht nach wie vor auf staatliche Interventionen, um die Preise zu stützen. Viele Staaten wie Deutschland sind da aber skeptisch. Die Debatte wird weitergehen: beim nächsten Treffen der EU-Agrarminister in der kommenden Woche.

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