Banken in Italien:Es geschah in Siena

Banken in Italien: Im Jahr 1550, also nach Gründung der Monte dei Paschi, verewigte der Maler Vincenzo Rustici die zentrale Piazza del Campo in Siena.

Im Jahr 1550, also nach Gründung der Monte dei Paschi, verewigte der Maler Vincenzo Rustici die zentrale Piazza del Campo in Siena.

(Foto: oh)

Welche Rolle die Bank Monte dei Paschi für Italien spielt, lässt sich mithilfe ihrer Heimat Siena erklären - eine Stadt, die den Glauben ans Land zurückgeben kann.

Von Thomas Steinfeld

Vergangenen Spätsommer beschenkte Matteo Renzi, damals noch Ministerpräsident, die italienische Jugend: Wer zwischen September 2016 und Dezember 2017 18 Jahre alt werde, solle einen Gutschein über 500 Euro bekommen, einzulösen bei Museen, Theatern, Konzerthallen oder Nationalparks. Weil in Italien gut eine halbe Million Menschen in diesem Alter ist, musste der Staat für dieses Geschenk 290 Millionen Euro bereitstellen. Das ist viel Geld für eine Nation, in der mehr als 40 Prozent der Jugendlichen ohne Arbeit sind und geringe Aussichten haben, je eine Stelle zu erhalten. Entsprechend wurde vermutet, die Gutscheine seien ein Versuch, die Jugend vor dem Referendum vom 4. Dezember auf die Seite Matteo Renzis zu ziehen - als ob die jungen Leute nichts lieber täten, als ins Museum zu gehen.

Man muss die Botschaft umkehren, um sie zu verstehen: Das Geld, erklärte die italienische Regierung, sei dazu da, die Jugend aufs Neue "mit dem kulturellen Erbe unseres Landes" zu verbinden. Denn was bleibt, wenn die Auflösung der italienischen Industrie mit hoher Geschwindigkeit voranschreitet, wenn von den 125 000 Arbeitern, die Fiat noch in den frühen Neunzigern in Italiens Fabriken beschäftigte, noch 25 000 geblieben sind, wenn Jobs allenfalls noch in "sweat shops" entstehen, die unter chinesischer Regie in leer stehenden Hallen eingerichtet werden? Was bleibt, sind die alten Städte, die Kunstschätze, die Schönheit einer Landschaft, die seit Tausenden von Jahren bewirtschaftet wird. Die Gutscheine sind also keine Wahlgeschenke, sondern ein Versuch, die Jugend auf Italiens ästhetische und moralische Größe zu verpflichten, auch und gerade wenn es keine anderen Gründe für einen solchen Glauben gibt.

Die muschelförmige Piazza ist Symbol für Gemeinsinn, Lebensfreude und Geselligkeit

Eine solche alte Stadt ist Siena, ein kleines Gemeinwesen von 60 000 Einwohnern, das spätestens seit dem Mittelalter auf der Kuppe eines Hügels in der Mitte der Toskana liegt. Von Ferne schon ist der Dom mit seiner schwarz-weiß gestreiften marmornen Fassade zu erkennen, das höchste Gebäude der Stadt, und nicht weit davon ragt der Torre del Mangia zwischen den Ziegeldächern hervor. Darunter, das weiß man, liegen der Palazzo Publico mit seinen Fresken, in denen die "gute Regierung" verherrlicht wird, sowie die muschelförmige Piazza, die wie kein anderer Platz in Italien ein Symbol von Gemeinsinn, Lebensfreude und Geselligkeit zu sein scheint. Und ein paar Schritte von dieser Piazza entfernt residiert, im Palazzo Salimbeni, einem trutzigen Gebäude aus dem 13. Jahrhundert, die Hauptverwaltung der Bank Monte dei Paschi di Siena. Seit seiner Gründung im Jahr 1472 ist das Unternehmen, gegenwärtig noch das drittgrößte Finanzhaus Italiens, in diesen Räumen zu Hause.

Die Bank befindet sich zurzeit in so großen Schwierigkeiten, dass der italienische Staat nun etwas tut, was er nach den jüngsten Regeln der Europäischen Union eigentlich nicht mehr tun darf. In seinen Büchern standen schon im vergangenen Sommer Kredite in Höhe von mehr als 45 Milliarden Euro, bei denen der Schuldendienst zu einer fragwürdigen Sache geworden war. Und weil die Bank es zuletzt nicht mehr schaffte, aus eigener Kraft das Geld für eine weitere Kapitalerhöhung zu beschaffen, sieht es nun so aus, als werde der italienische Staat für die Sicherheiten sorgen. Das tut er weniger, damit Privatanleger ihr Geld nicht verlieren. Sondern er tut es vor allem, um die Kontrolle über die nationale Finanzwirtschaft zu behalten. Die Bank aus Siena mag in größeren Schwierigkeiten stecken als andere wichtige italienische Banken. Ein Problem mit gefährdeten oder gar wertlos gewordenen Krediten haben jedoch alle.

Die Monte dei Paschi hatte im 15. Jahrhundert als Pfandleihe ("Monte di Pietà") begonnen, als wohltätige Einrichtung der Kommune, die den Armen kleine Kredite gewährte. Solche Institute wendeten sich gegen die "Wucherer", meist jüdische oder lombardische Geldverleiher. Eine Bank, die ihre Geschäfte in der ganzen Toskana betrieb, wurde das Institut jedoch schon wenige Jahrzehnte später, nachdem Siena die Konkurrenz gegen Florenz längst verloren hatte. Großherzog Ferdinand II., der vorletzte Medici, sorgte 1624 für die Sicherheiten, in Gestalt der Weiden ("Paschi") der Maremma, auf denen das Vieh der Stadt Siena gehalten wurde. Im 19. Jahrhundert wurde die Bank, obzwar noch immer in Siena zu Hause, zu einer nationalen Bank, unter anderem mit der Vergabe von Krediten für die Einigung der Nation. Und es dauerte auch danach noch lange, bis die Bank die Bindung an die Stadt preisgab, nämlich bis ins frühe 21. Jahrhundert, und es geschah nur aus Not und unter Zwang. Ganz verschwunden ist die Bindung immer noch nicht, wenngleich längst von mehr Bitterkeit als Stolz getragen.

2012 hat der Staat die Bank zum ersten Mal gerettet. Jetzt macht er es wieder

Italiens Bankwesen ist, an internationalen Maßstäben gemessen, nach wie vor eher klein. Gründe dafür gibt es viele: dass ein großer Teil der italienischen Wirtschaft aus kleineren Betrieben im Familienbesitz besteht zum Beispiel, oder dass in der Folge nur eine Minderheit der Firmen an der Börse notiert sind (etwa 300, verglichen mit mehr als 800 Unternehmen in Deutschland) oder dass Investmentbanking für sie eine minder prominente Rolle spielt. Als das italienische Bankwesen in den frühen Neunzigern auf eine neue Grundlage gestellt wurde, vor allem der Anpassung an die Finanzwirtschaft der Europäischen Union wegen, hatte es sich seit den Dreißigern kaum verändert: Es wurde beherrscht von regional operierenden Unternehmen, die oft in kommunaler Regie betrieben wurden, und das bedeutet auch: mit engen Beziehungen zwischen Bank, Wirtschaft und Politik. Dann aber wurde, in schnellen Schritten, das Bankwesen dereguliert, zunächst mit Erfolg: Die großen italienischen Banken gewannen mit der Kreditwürdigkeit, die der Euro verlieh, eine Macht, die sie zu europäischen Akteuren werden ließ. Es war dieses plötzliche Wachstum, das die Monte dei Paschi in die Lage versetzte, nach dem Jahr 2000 mehrere italienische Regionalbanken zu kaufen, zu teils außerordentlichen Preisen - woraufhin das Finanzhaus im Jahr 2012 zum ersten Mal vom Staat gerettet werden musste.

Dabei hatten die italienischen Banken die Finanzkrise zunächst relativ gut überstanden, nicht zuletzt, weil sie noch immer im Kern als Kreditinstitute für die heimische Wirtschaft ausgelegt waren. Wenn das heute anders aussieht, so liegt das weniger daran, dass man im Palazzo Salimbeni und in den anderen Zentralen des italienischen Bankwesens falsch spekuliert hätte. Sondern es liegt an den Folgen einer nunmehr seit acht Jahren währenden Krise, in deren Verlauf die italienische Wirtschaft kontinuierlich um etwa fünf Prozent pro Jahr schrumpft. Die kleinen und mittleren Unternehmen, von denen Italien lebt, erweisen sich als nicht mehr konkurrenzfähig, als sich in der Krise und durch die Krise der direkte Vergleich zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen europäischen Staaten verschärft. Und als die Monte dei Paschi Ende 2016 dort ankommt, wo die Hypo Real Estate oder die Commerzbank im Jahr 2008 waren, nämlich kurz vor dem Bankrott, finden sich, seit einem knappen Jahr, die Regeln für die Rettung von Banken geändert.

Selbstverständlich sieht man sich deswegen in Italien betrogen, von "Wucherern", die wiederum von außen kommen. Es gebe einen politischen Grund für die Fixierung auf die gefährdeten Kredite, erklärt zum Beispiel Roberto Napoletano, der Herausgeber der Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore: Bald würden die französischen Banken die nunmehr so billig gewordenen italienischen Kreditinstitute kaufen, die großen italienischen Marken erwerben und vielleicht sogar Generali, dem größten italienischen Versicherer, an die Gurgel gehen. Tatsächlich gehe es den italienischen Banken gar nicht so schlecht. Denn zum einen gebe es zumindest für einen großen Teil der gefährdeten Kredite noch Sicherheiten. Zum anderen frage er sich, warum eigentlich keiner mehr von den " level 3 assets" rede, den absolut wertlosen Vermögenspapieren, die sich etwa in den Büchern spanischer Banken (und auch bei der Deutschen Bank) versteckten. Italien, ruft Roberto Napoletano, müsse die Füße wieder fest auf den heimischen Boden setzen.

In den besten Zeiten der Bank, in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends, trug sie, die damals noch größtenteils einer kommunalen Stiftung gehörte, mit bis zu 200 Millionen Euro jährlich zum Budget der Stadt bei. Sie förderte das Krankenhaus, die Verkehrsbetriebe, das Museum und den Palio, das Pferderennen auf der Piazza del Campo. Das Geld gibt es nicht mehr, zum Kummer der Bürger Siena und zur Schadenfreude aller Nachbarn. Die Stadt aber steht noch, so wie sie es seit vielen hundert Jahren tut, und so, wie sie es wahrscheinlich noch lange tun wird.

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