Banken:Ein Geldhaus zum Zusammenbauen

Eine neue EU-Richtlinie sprengt das Datenmonopol der Kreditinstitute - sie könnten in Bedrängnis geraten.

Von Nils Wischmeyer

Die Bank der Zukunft ist überall. Sie ist bei Amazon, bei Vergleichsportalen, bei Stromanbietern, bei der Deutschen Bahn, in Apps, online. Die Finanzierung für den Fernseher? Gibt es bei Amazon. Das Festgeld anlegen? Kann man direkt im Vergleichsportal. Der Weg zur Bank entfällt. Sie kommt zum Kunden, ist immer da, wo er auch ist. Und doch wird sie zusehends unsichtbar. Was ungewöhnlich klingt, ist das, was Jörg Howein, Produktchef der Solarisbank, seit einigen Jahren predigt.

Wer verstehen will, was er meint, sollte die Webseite des Start-ups aufrufen. Dort stapeln sich orangefarbene Klötze neben dem Werbespruch: "Bauen Sie Ihr eigenes Produkt mit unseren Banking-Bausteinen". Unternehmen, Webseiten und Apps werden so zum Anbieter von Krediten, Dispozinsen oder Überweisungen - und damit quasi zu kleinen Banken.

Diese neue Art des Bankings wird schon bald alltäglich sein. Eine neue EU-Richtlinie macht's möglich. Sie schreibt vor, dass die Banken die Kontoinformationen der Kunden an Drittanbieter wie Finanz-Start-ups weitergeben müssen. Vorausgesetzt, der Kunde erlaubt es.

Supermärkte wie Rewe könnten mithilfe der Daten Kunden künftig zum Beispiel per Mitteilung auf dem Handy auf ihre Lieblingsprodukte aufmerksam machen. Amazon könnte die Finanzierung zum gerade gekauften Sessel gleich mitanbieten. "Das Banking der Zukunft wird in ganz viele Lebensbereiche vordringen - und wird für den Kunden immer öfter unsichtbar", sagt Howein von der Solarisbank.

Auch wenn die Firma es im Namen hat, sieht Howein das Finanz-Start-up nicht als Bank, sondern als Technologieanbieter mit Banklizenz. Das Institut funktioniert als Plattform im Hintergrund, die viele Services anbietet. Firmen können sich über eine Schnittstelle anschließen und die Dienste nutzen, als wären es ihre eigenen.

Ein Beispiel: Wer ein Auto bei Autoscout24 kauft, kriegt auch eine Finanzierung angeboten. Diese ist in die App des Online-Marktplatzes für Autos integriert, wird aber von der Solarisbank bereitgestellt. Alles läuft digital und vollautomatisch. Der Kunde wird kaum wahrnehmen, woher der Kredit kommt. "Normale Bankdienstleistungen werden völlig von der Bank entkoppelt und komplett in den Alltag integriert", sagt Howein.

Das ist aber nur der eine Teil der Entwicklung. Der andere Teil ist ein Kampf um die Plattform im Vordergrund, dort wo eigentlich Banken und Kunden aufeinandertreffen. Eigentlich. Denn wer sagt, dass der Kunde seine alltäglichen Bankgeschäfte künftig über die App oder den Online-Auftritt einer Bank abwickeln muss? Dank der neuen Richtlinie kann er seine Kontodaten auch an Drittanbieter weitergeben. Über die App oder Plattform von Amazon, Verivox oder einem Finanz-Start-up könnte er seine Konten an einem Ort bündeln, dort die Kontostände checken, Geld von A nach B schicken und quasi alles tun, was er bisher bei seiner Hausbank gemacht hat.

Apps schlagen Kunden den Kauf einer Bahncard vor, wenn diese viel reisen

Für den Kunden heißt das: mehr Auswahl, mehr Komfort. Für ihn wird alles rund ums Konto einfacher. Die Konkurrenz ist groß und wird sich mit neuen Angeboten überbieten. Schon heute gibt es davon ein paar Dutzend. Die App "Finanzguru" von Dwins etwa prüft über das Konto, ob der Verbraucher zu hohe Strom- oder Versicherungstarife zahlt und macht Alternativvorschläge. Die App Savedroid von Wirecard erkennt, wenn man zu viel Geld auf dem Konto hat und verschiebt es auf Sparkonten. Künftig könnten die Apps der Anbieter auch die Steuererklärung machen oder den Kauf einer Bahncard vorschlagen, wenn ein Kunde viel reist.

Mit der neuen Richtlinie bricht eine neue Ära des Bankings an. Die Kreditinstitute hingegen stehen unter Zugzwang. Zum einen werden Unternehmen typische Bankdienstleistungen in ihren Service integrieren. Zum anderen werden Vergleichsportale und Finanz-Start-ups mit Lösungen wie Multi-Banking offensiv den Kundenkontakt suchen und sich so zwischen Bank und Kunden drängen wollen.

Für die Geldhäuser ist das hart. Denn mit dem Konto verdienten die Banken und Sparkassen der Republik fast nie Geld. Den Umsatz machten die Bankberater, wenn langjährige Kunden einen Kredit, Investmentfonds oder eine Baufinanzierung brauchten. Denn dann, immer dann, gingen sie zu ihrer Hausbank.

Wer jetzt auf die App eines Fintechs oder von Amazon klickt, um zu erfahren, wie es um sein Konto steht und Kredite direkt auf Plattformen wie Check24 beantragt, wird kaum noch wahrnehmen, wo eigentlich sein Bankkonto ist. Das Konto wird zur E-Mail-Adresse: Obwohl jeder ein paar hat, ist ihm eigentlich egal wo.

Eben das bereitet den Banken große Sorgen. Denn ohne Kundenkontakt verlieren sie ihr Geschäftsmodell. Jetzt müssten sie sich entscheiden, was sie sein wollen, sagt Markus Pertlwieser, Digitalchef der Deutschen Bank. "Es wird zwei Arten von Unternehmen geben: Firmen, die Produkte anbieten, und solche, die als Plattformen im Vordergrund arbeiten", sagt er.

Anbieter der Produktseite wäre dann etwa die Solarisbank. Die Deutsche Bank sieht sich auf der anderen Seite. Sie will den Kundenkontakt nicht verlieren. Dafür steckt das skandalgeplagte Geldhaus bis 2020 etwa 750 Millionen Euro in die Digitalisierung. Seit 2017 hat die Deutsche Bank eine offene Schnittstelle: Entwickler können ihr Finanz-Start-up an die Deutsche Bank anschließen. Dafür verdient diese eine Provision, wenn die Kunden die Dienste der integrierten Start-ups nutzen. Andere Geldinstitute bewegen sich eher behäbig. In den Köpfen vieler Manager ist die Bedeutung der Richtlinie noch lange nicht angekommen.

Schon jetzt ist abzusehen, dass nicht alle Banken die Veränderung mitgehen können. Einige werden in den Hintergrund gedrängt, andere sogar vom Markt verschwinden.

Eins ist klar: Wer nicht zu den Verlierern gehören will, muss sich bald bewegen, sehr bald.

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