Banken:Auf der schwarzen Liste der Banken

Canary Wharf District As A Brexit Vote Could Cost As Many As 100,000 Finance Jobs According To TheCityUK

Londoner Bankenviertel Canary Wharf.

(Foto: Bloomberg)
  • Der Medienkonzern Thomson-Reuters betreibt eine exklusive Datenbank, die Banken vor Kunden warnen soll, die möglicherweise kriminell sind.
  • Kreditinstitute nutzen sie, um nicht in Geldwäsche oder Terrorfinanzierung verwickelt zu werden.
  • Doch in der Liste tauchen auch Personen auf, gegen die ergebnislos ermittelt wurde.

Von Stephan Radomsky und Jasmin Klofta

Eigentlich wollte Andrej Holm nur ein zusätzliches Girokonto. Die Buchhaltung sollte einfacher werden, deshalb wollte er seine freiberuflichen Tätigkeiten gesondert abrechnen. Weil Holm, ein renommierter Soziologe und später kurzzeitig Baustaatssekretär in der Berliner Landesregierung, dafür aber keine Kontogebühren zahlen wollte, wandte er sich an die Norisbank. Zunächst lief auch alles glatt, Holm bekam eine Kontonummer und eine EC-Karte - kurz darauf aber einen Brief: Die Norisbank wolle ihn nun doch nicht als Kunden, es werde keine Geschäftsbeziehung geben. Als Holm nachfragte warum, erhielt er keine Antwort.

Jahrelang bleibt unklar, warum die Norisbank Holm nicht als Kunden haben wollte, eigentlich hatte er die ärgerliche Sache auch schon längst vergessen. Nun aber gibt es offenbar eine Erklärung dafür: Der linke Wissenschaftler und Politiker bekam sein Konto wohl deshalb nicht, weil er auf einer internationalen schwarzen Liste steht - wegen "mutmaßlicher Terror-Verbindungen" wie es dort heißt.

Die Liste, auf der Holms Name auftaucht, stammt aus der World-Check-Datenbank des weltweit agierenden Informations- und Medienkonzerns Thomson-Reuters, zu dem auch die Nachrichtenagentur Reuters sowie verschiedene Fachinformationsdienste gehören. World-Check ist einer von nur wenigen großen Anbietern für Informationen über potenziell problematische Kunden für Banken und Finanzdienstleister: sogenannte politisch exponierte Personen, kurz PEPs, sowie Schwerkriminelle, Geldwäscher, Terrorverdächtige. Die World-Check-Datenbank enthält dazu mehr als zwei Millionen Profile zu Einzelpersonen und Organisationen. Und vor allem Banken haben ein großes Interesse daran, zu erfahren, mit wem sie Geschäfte machen, um nicht in Geldwäsche oder Terrorfinanzierung verwickelt zu werden. Besteht der Verdacht, dürfen sie sogar ein Basiskonto verweigern.

Eigentlich ist World-Check ein sorgsam gehüteter Schatz, auf den nur zugreifen darf, wer zahlreiche Checks durchläuft und Verschwiegenheitserklärungen abgibt. Thomson-Reuters behauptet, 49 der 50 größten Banken nutzten den Dienst - gegen Bezahlung natürlich: Bis zu einer Million Euro jährlich soll das Abo kosten.

Im vergangenen Jahr aber stieß der amerikanische Sicherheitsexperte Chris Vickery auf mehr als zwei Millionen Profile aus dieser Kartei mit Stand aus dem Jahr 2014, die durch ein Sicherheitsleck auf einen Internet-Server gelangt waren. Erstmals erhielt nun ein Rechercheverbund aus Süddeutscher Zeitung und NDR gemeinsam mit der Times of London (Großbritannien), NPO Radio 1 (Niederlande), De Tijd (Belgien), La Repubblica (Italien) und The Intercept (USA) Einblick in die Daten.

"Finden Sie versteckte Risiken", wirbt World-Check um Kunden. Wie die Kartei nun aber offenbart, könnte sie selbst das größte versteckte Risiko sein - zumindest für diejenigen, die in ihr auftauchen: viele davon offensichtlich Unschuldige, das heißt oft Menschen und Organisationen, gegen die einmal ergebnislos ermittelt wurde, wie im Fall Holm. Oder die umstritten und unbequem sind, aber nicht kriminell, etwa die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch oder die Tierschützer von Peta. Auch Lokalpolitiker, Dissidenten sowie Kinder und Verwandte von politischen Persönlichkeiten tauchen auf - und Personen, die längst tot sind. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass Profile auf teils zweifelhaften Quellen beruhen und mangelhaft gepflegt sind.

Nach deutschem Recht wäre die Datenbank unzulässig

Im krassen Gegensatz dazu steht die Bedeutung, die Dienstleister wie World-Check haben: Wer dort einen Eintrag hat, womöglich noch mit einem so schweren Vorwurf wie Terror-Verbindungen, kann schon bei einfachen Bankgeschäften große Schwierigkeiten bekommen.

Andrej Holm hat von alldem bis vor wenigen Tagen keine Ahnung. Klar ist aber, wie der Eintrag zustande gekommen ist: 2006 hatte die Bundesanwaltschaft Holm im Verdacht, mitverantwortlich für linke Brandanschläge zu sein. Ende August 2007 dann waren sich die Ermittler so sicher, dass sie Holm nach ausgiebiger Überwachung verhafteten, wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Drei Wochen saß er in Haft, dann kam er wieder frei. Im Sommer 2010 wurden die Ermittlungen komplett schließlich eingestellt, ohne Verurteilung oder Strafe. Holm wurde sogar für seine Haft entschädigt, auf seinen Job an der Uni hatte die Sache keinen Einfluss. Für Staat und Justiz ist er unschuldig.

Nicht so für World-Check. Die gesichtete Version der Datenbank stammt aus dem Jahr 2014 - immerhin vier Jahre, nachdem alle Vorwürfe gegen Holm fallen gelassen wurden. In der Kartei findet sich davon aber kein Wort, das letzte Update zu seinem Profil stammt vom 29. Juli 2008. Dabei bewirbt Thomson-Reuters den Dienst damit, dass neben Algorithmen auch 250 Analysten monatlich 25 000 neue Profile anlegen und 40 000 Profile auf den neuesten Stand bringen. Außerdem enthält Holms Profil Fehler: Dort heißt es, er sei auf Kaution auf freiem Fuß, tatsächlich aber hatte er Haftverschonung erhalten. Juristisch ein bedeutender Unterschied. Auf Anfrage gibt die Norisbank an, Namenslisten zu prüfen. Konkrete Fragen zu Holms Fall beantwortet das Institut aber nicht und beruft sich auf den Datenschutz.

Konfrontiert mit den Recherche-Ergebnissen, äußert sich auch Thomson-Reuters nur sehr zurückhaltend - ebenfalls mit Verweis auf den Datenschutz. Die Informationen für World-Check stammten vor allem aus Hunderten Regierungs- und Justizdatenbanken, von Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden, der EU und den Vereinten Nationen, heißt es lediglich. Weitere Informationen, etwa aus Weblogs, flössen nur zur Bestätigung anderer Erkenntnisse ein und seien klar gekennzeichnet. Die Erkenntnisse würden dann von Teams spezialisierter Mitarbeiter zusammengeführt und abgeglichen. Zudem bedeute ein Eintrag bei World-Check nicht, dass jemand tatsächlich schuldig sei.

In der Branche ist World-Check durchaus umstritten

Nach deutschem Recht sind solche Datenbanken dennoch problematisch, ihr Betrieb wäre "hierzulande so nicht zulässig", sagt Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar. Es handle sich um eine Auskunftei, in der dürften nur bestimmte und überprüfte Daten gesammelt werden. Dass deutsche Unternehmen Daten bei World-Check abrufen, sieht Caspar deshalb auch als rechtlich problematisch.

Dennoch nutzen viele Institute auch in Deutschland den Dienst, beispielsweise die meisten großen Privatbanken sowie fast alle Genossenschaftsbanken. Alle Institute sind gesetzlich verpflichtet, besonders sorgsam bei Geschäften mit politisch exponierten Personen zu sein. Wer aber in diese Kategorie fällt, bleibt offen. Die Deutsche Kreditwirtschaft als Dachverband der Branche fordert deshalb auf Anfrage auch die "Schaffung verbindlicher und abschließender Listen" durch die EU. Ohnehin ist World-Check auch in der Branche durchaus umstritten. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, die Qualität der Daten sei nicht ausreichend.

Andrej Holm hat die Sache ins Nachdenken gebracht: "Ich weiß, was es heißt als Terrorverdächtiger zu gelten. Das zieht schnell weite Kreise, das sieht man ja an diesem Fall", sagt er. Das sei viel beunruhigender als der Schaden, den er hatte. Es bleibe ein "Gefühl des Ausgeliefertseins". Er verstehe den Wunsch, Schwerkriminelle zu überwachen. "Aber ein unbewiesener oder sogar widerlegter Verdacht darf niemals ausreichen, um auf solch einer Liste zu landen." Sein Konto bekam Holm damals übrigens noch, bei seiner alten Hausbank, der Berliner Sparkasse.

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