Balda AG:Ab nach Asien

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Der Kunststofflieferant Balda hat binnen kurzer Zeit das Geschäft in Deutschland radikal ab- und in Billiglohnländern aufgebaut - ein Lehrstück über die Globalisierung.

Caspar Dohmen

"Versteigerung" steht mit schwarzer Schrift auf roten Schildern an der Bergkirchener Straße, die sich durch die hügeligen Ausläufer von Bad Oeynhausen schlängelt. Einige Limousinen biegen an diesem Morgen bei der Nummer 228 ab, auf das Gelände der Balda AG. Die Insassen steigen aus, gehen in eine angrenzende Halle. Dort tragen viele Maschinen rote Aufkleber. Sie zeugen vom abrupten Ende der Handyproduktion in Deutschland. Nun werden sie versteigert.

Konzernzentrale von Balda: Lehrstück für die Globalisierung. (Foto: Foto: ddp)

2006 hatte BenQ die Siemens-Handysparte abgewickelt, ein Hauptkunde von Balda. 2007 schloss Motorola die Fertigung in Flensburg. Und in diesen Tagen gibt Nokia sein Bochumer Werk endgültig auf. Handys "Made in Germany" gibt es dann nur noch als Restposten.

Balda, das ist nicht nur die Geschichte eines Zulieferers in Zeiten der Globalisierung. Es ist ein Lehrstück über den entfesselten Kapitalismus - und über Managementfehler, enttäuschte Hoffnungen und gierige Finanzinvestoren.

Verzögerungen bei Großauftrag

Eigentlich war das Kapitel der Produktion von Handyschalen in Europa geschlossen, nachdem Balda-Chef Joachim Gut die verlustreichen Fabriken vor Weihnachten verkauft hatte. Doch der Schlussakkord entpuppte sich als Auftakt einer neuen Krise. Gut hatte dem Abnehmer KS Plastic, der die Fabriken an den Finanzinvestor Aurelius weiterreichen wollte, einen Ausgleich der Verluste für das Jahr 2007 garantiert.

Bei der Berechnung erwies sich der Käufer jedoch als kreativ. Statt eines "niedrigen zweistelligen Millionenbetrags", den Gut einkalkuliert hatte, verlangte KS Plastic bis zu 40 Millionen Euro - zu viel für Balda. Anfang März war von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit die Rede. Vergessen waren die Erfolgsmeldungen, die Investoren gelockt hatten. Damals, vor gut einem Jahr, ging es nicht um das Stammgeschäft. Die Anleger interessierten sich für ein Joint Venture von Balda mit der taiwanesischen Unternehmerfamilie Chiang, kurz TPK.

Damals sickerte durch, TPK baue für das iPhone von Apple berührungsempfindliche Touchscreens. Die Aktie, die am Freitag bei 2,23 Euro notierte, stieg auf mehr als zwölf Euro. Dann aber folgten verfehlte Prognosen, Verzögerungen bei einem Großauftrag, der missglückte Verkauf der Werke. Die Investmentbank Morgan Stanley verscherbelte ein Aktienpaket, der US-Investor Guy Wyser-Pratte halbierte seines. Auch der illustre Hedgefonds-Manager Florian Homm stieg aus. "Es bleibt zu hoffen, dass Balda bald kein Spielball von Zockern mehr ist", sagt ein Analyst.

Puderdosen sortieren

Immerhin: Für die Handyschalenproduktion hat Balda nun doch einen Käufer gefunden. Anfang dieser Woche verlautete, dass der Hamburger Sanierungsspezialist Hanse Industriekapital das Geschäft mit 400 Mitarbeitern erwirbt. Ein alter Bekannter: Der Investor hatte schon andere Teile von Balda übernommen.

Nach diesem Ausverkauf verlieren sich in der Fabrikhalle in Bad Oeynhausen nur noch wenige Arbeiter an einem Dutzend Maschinen. "In Spitzenzeiten waren es 80 Maschinen, die rund um die Uhr liefen", erinnert sich ein Arbeiter. Statt Überstunden gibt es nun Kurzarbeit.

An einer Maschine fallen Teile für Puderdosen heraus, die eine Mitarbeiterin in Paletten sortiert. Manchmal sind es auch Steckschalter für die Automobilindustrie oder Sockel für Möbelhersteller. Schüttware nennt man dies in der Kunststoffindustrie. "Viel Geld kann man damit nicht verdienen", sagt Helmut Kunz, Betriebsratsvorsitzender bei Balda Solutions Deutschland. Ihn stimmt es nachdenklich, dass technisch hochwertige Handys nun aus Billiglohnländern kommen, während in dieser deutschen Fabrik Allerweltsware entsteht.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie in Bad Oeynhausen die Vergangenheit von Balda entsorgt wird.

Während Schnäppchenjäger vor der Versteigerung durch die Hallen streifen, sitzt der Chef im Konferenzsaal und erläutert die Ereignisse, die zu dem überraschenden Rückkauf der Werke geführt hatten. "Damit waren wir wieder Herr des Geschehens", sagt Gut, der dem Käufer ein mehr als "grenzwertiges Verhalten" vorwirft. Von einem Rücktritt angesichts seiner Rolle rückwärts will der Manager nichts hören. Gut will den Wandel des Kunststoffherstellers aus der deutschen Provinz zu einem asiatischen Technologiekonzern unbedingt vollenden.

Vergangenheit wird entsorgt

Selbst Kritiker bescheinigen dem Manager, dass ihm mit dem frühzeitigen Einstieg in das Geschäft mit berührungsempfindlichen Bildschirmen die Rettung des Unternehmens gelungen sei. Die Asientochter TPK produziert in der chinesischen Metropole Xiamen jährlich 30 Millionen Touchscreens. 2009 sollen es bereits 72 Millionen Stück sein. In Asien beschäftigen die Ostwestfalen gut 7000 Mitarbeiter, in Deutschland bald keine 200 mehr. Nur wenige Unternehmen dürften binnen kurzer Zeit so radikal ihr altes Geschäft in Deutschland ab- und woanders ein neues Geschäft aufgebaut haben.

Hier, in Bad Oeynhausen, wird die Vergangenheit entsorgt. Bei Position 29, einer Kunststoff-Spritzgießmaschine, gehen die Gebote im Sekundentakt bis auf 35.000 Euro. 134 Positionen kommen in dem Schulungssaal unter den Hammer. Etwa 50 Interessenten sind hier, darunter Hendrik Buhry. Ihm gehört die gleichnamige Firma für Freisprechanlagen und Navigationssysteme in Löhne, einem Nachbarort. Immer wieder hebt der Geschäftsmann die Hand. Am Ende hat er für etwa 150.000 Euro 16 Maschinen gekauft. Sie werden zum Teil ins polnische Werk Mielec transportiert, wo der Unternehmer eine Produktion für Navigationsanlagen besitzt.

Da der Schulungsraum an die Kantine grenzt, verfolgen Beschäftigte beim Mittagessen das Geschehen durch die offene Tür mit. "Am besten hätten sie den Vorstandschef gleich mitversteigert", sagt ein älterer Mitarbeiter im Blaumann zu seinen beiden Kollegen. Die Schwierigkeiten resultierten aus Fehlern des Managements und seien nicht Folge des verschärften Wettbewerbs in der Globalisierung, da sind sich die drei einig. Vorstandschef Gut habe sogar Verhandlungen mit potentiellen Kunden verboten, sagt einer. Dann isst er weiter, Fisch mit Kartoffelsalat.

Vollbeschäftigung nur noch in Halle 4

Sicher ist, Gut weilt nur selten in Bad Oeynhausen. Sieben bis acht Monate war er 2007 in Asien unterwegs. Beschäftigte in Deutschland sehen ihn selten. "Auf Belegschaftsversammlungen ist er mit einem Lächeln über Kritik hinweggegangen", erinnert sich der Betriebsrat. "Das Management hätte sich viel früher nach Ersatzaufträgen für die Kunststofffertigung umsehen müssen, damals, als die Auftragsbücher noch voll waren", kritisiert er. Dann beendet Kunz das Gespräch, einige Beschäftigte haben Fragen zur Kurzarbeit.

Vollbeschäftigung gibt es dagegen noch in der Halle 4 des Werkes. Dort produzieren Roboter vollautomatisch Diagnostik- und Blutzuckermessgeräte. Drehen, einsetzen, verkleben - selbst fragile Tätigkeiten wie das Abziehen einer Schutzfolie erledigen Roboter. Den Rest, wie das Einsortieren der Ware in die Kartons, erledigen 150 Mitarbeiter.

Anders als bei der Handyproduktion sind die Produktzyklen bei medizintechnischen Geräten viel länger. Deswegen lohnen sich die Investitionen in die automatisierte Produktion. Doch auch diesen Bereich hat Balda nun zum Verkauf gestellt, die Gruppe braucht Geld. Und demnächst wird eine erste medizintechnische Produktionsanlage für Malaysia fertig - sie soll dort die gleichen Geräte produzieren wie bislang in Bad Oeynhausen.

© SZ vom 17/18.05.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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