Bahnticket:Interrail für alle? Von wegen!

Schienen am Ostbahnhof in München, 2016

Ein kostenloses Interrail-Ticket für junge Europäer wird es vorerst nicht geben.

(Foto: Florian Peljak)
  • Aktivisten und Politiker wollen eine kostenlose Zugfahrkarte für junge Europäer einführen. Damit wollen sie den Zusammenhalt auf dem Kontinent fördern.
  • Doch statt kostenloser Interrail-Tickets kündigte die EU-Kommission nun ein Programm an, das kaum etwas mit dem ursprünglichen Gedanken zu tun hat.
  • Gefördert werden wohl vor allem Schulausflüge; die Bahn soll dabei nur eines von vielen Verkehrsmitteln sein.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Wie wäre es, einen Monat lang mit der Bahn durch den Kontinent zu reisen? Wie vor 30 oder 40 Jahren, als Hunderttausende Rucksackträger die Freiheit auf Schienen entdeckten? Und das umsonst, das heißt: auf Kosten der EU? Zwei deutsche Aktivisten hatten diese Idee und schlugen vor, allen jungen Europäern ein Interrail-Ticket zum 18. Geburtstag zu schenken. Ihr Ziel: Mobilität fördern, Stereotypen abbauen und nicht zuletzt Begeisterung wecken für die europäische Zusammenarbeit.

Der CSU-Politiker Manfred Weber fand die Idee derart gut, dass er sich im September vergangenen Jahres vor dem Europäischen Parlament dafür einsetzte. Dass sie wirklich so gut ist, lässt sich bezweifeln. Doch was dann passierte, war abzusehen. Die Sache geriet in die Mühlen der Brüsseler Bürokratie, wo sie mehr oder weniger zu Tode geritten worden ist. Jedenfalls hat der Plan, den die EU-Kommission am Montag vorstellte, mit dem ursprünglichen Vorschlag fast nichts mehr gemein.

Weder zielt er auf das Bahnfahren ab, noch richtet er sich an "alle" oder ist auf Dauer angelegt. Vielmehr will die Kommission 5000 jungen Menschen ab 16 die Gelegenheit geben, im Rahmen von Lernprojekten "in ein anderes europäisches Land zu reisen". Im Wesentlichen sollen also Schulausflüge gefördert werden, obwohl auch Individualreisen möglich sind. 350 Euro ist ein solches Ticket für jeden Einzelnen wert; wer auf den Kanaren oder Zypern wohnt, erhält sogar 530 Euro; insgesamt stehen 2,5 Millionen Euro zu Verfügung. Werden sie nicht ganz abgerufen, könnten weitere 2000 Jugendliche begünstigt werden. Das Ganze ist als einmalige Aktion zur Feier von 30 Jahren Erasmus gedacht, des Austauschprogramms, aus dessen Budget auch das Geld stammt.

Ausgewählt werden die Teilnehmer von den "nationalen Koordinierungsstellen" einer Plattform namens eTwinning, die Besuche zwischen Schulen fördert. Kriterien sind die Qualität eines eingereichten Projekts, der "Umfang der sozialen Inklusion" und die Frage, ob eine Klasse bereits eine Auslandsreise unternommen hat.

Und die Bahn? Ist nur eines von mehreren Verkehrsmitteln, die unbedingt miteinander kombiniert werden müssen (eine Förderung allein der Bahn verstieße gegen das EU-Beihilferecht). Zur Verfügung steht alles, was rollt, fliegt und schwimmt, mit Ausnahme von Autos und gecharterten Bussen. Es gehe beim Reisen nicht darum, wie die Menschen reisen, sagte Verkehrskommissarin Violeta Bulc, sondern "um die Menschen selbst".

Die EU-Kommission hat ein kleines Bürokratie-Ungeheuer geschaffen

Auch die Slowenin hatte im Herbst von einer "exzellenten Idee" gesprochen. In Wahrheit hielt sich die Begeisterung in ihrer Behörde in Grenzen. Hauptsächlich aus finanziellen Gründen. Zwischen 1,2 und 1,6 Milliarden Euro würde das "Interrail für alle" nach Berechnungen der Kommission jährlich kosten. "Mittel in dieser Größenordnung stehen zurzeit nicht zur Verfügung", heißt es lakonisch. Auch haben sich Mentalitäten und Reisegewohnheiten geändert, was neben dem hohen Preis (fast 500 Euro) die derzeit flaue Nachfrage nach Interrail-Tickets erklärt. Zudem roch die Aktion nach Zwangsbeglückung und Europa-Aktivismus, Begriffen, mit denen die Kommission aus guten Gründen gerade nicht assoziiert werden möchte.

Doch statt die Sache mutig abzublasen, hat sie unter dem Namen "Move2Learn, Learn2Move" ein kleines Bürokratie-Ungeheuer geschaffen, mit geradezu atemraubenden Details. So darf, um die Teilnehmer umweltmäßig zu "sensibilisieren", der gewichtete Durchschnitt der CO₂-Emissionen je Reisenden und Kilometer 200 Gramm nicht überschreiten, wobei die Bahn 14, ein Flugzeug 285 Gramm ausstößt. Außerdem soll "das Verhältnis zwischen Reise- und Aufenthaltsdauer bei einer Fahrt von höchstens drei Tagen höchstens eins zu drei und bei einer längeren Fahrt höchstens eins zu vier betragen". Damit soll vermieden werden, "dass Schüler sehr lange Reisen mit langsamen Verkehrsträgern oder großen Umwegen unternehmen". War das nicht genau der Sinn von Interrail?

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