Bahn: Verspätungen:Das ärgerliche Minuten-Geheimnis

Die Bahn kann nicht immer pünktlich sein - aber sie könnte erheblich mehr daran arbeiten. Der Skandal hinter dem Skandal ist jedoch, dass der Konzern nicht kontrolliert wird. Die Bahn darf Verspätungen nicht mehr unter der Decke halten.

Daniela Kuhr

Meint man es gut mit der Bahn, könnte man sagen, dass die Menschen von ihr täglich ein kleines Wunder erwarten: Zehntausende Züge sollen jeden Tag auf die Minute genau in den Bahnhof einfahren, gerne sauberer geputzt als das eigene Auto und mit stets freundlichem Servicepersonal. Doch Wunder sind bekanntlich selten. Wenn also die Stiftung Warentest jetzt herausgefunden hat, dass jeder dritte Fernzug unpünktlich ist, dann überrascht das nicht. Ärgerlich ist es dennoch - aus mehreren Gründen.

Der Fairness halber sei zunächst der Grund genannt, der ausnahmsweise für die Bahn spricht: Die Zahlen klingen dramatischer als die Lage in Wahrheit ist. Denn die Tester haben jede Verspätung gezählt, die mehr als fünf Minuten betrug. Das ist streng.

Beim Flugzeug oder Auto käme kein Mensch auf die Idee, sich über weniger als eine Viertelstunde Verspätung aufzuregen. Die Bahn aber legt an sich selbst einen Maßstab an, mit dem man kein anderes Transportmittel misst. Zudem haben einige Verspätungen Ursachen, für die der Konzern nichts kann. So ist er weder verantwortlich, wenn sich Menschen vor den Zug werfen, noch wenn Baukräne auf Leitungen fallen oder Müllautos auf Gleise fahren. Man muss also relativieren: Nicht jede Unpünktlichkeit beweist gleich, dass die Bahn ihr Geschäft nicht im Griff hat.

Sparkurs hat die Lage verschärft

Doch diese Überlegungen sollen nicht davon ablenken, dass es immer noch eine beachtliche Zahl von Verspätungen gibt, für die der Konzern sehr wohl verantwortlich ist. So rächt sich jetzt, dass die Bahn in den vergangenen Jahren wichtige Investitionen unterlassen hat. Das Netz ist längst nicht in dem Zustand, in dem es sein müsste. Vor allem aber fehlt es an Zügen. Zwar kann die Bahn nichts dafür, dass die Hersteller mangelhafte Ware geliefert haben, hätte sie aber nicht seit Jahren einen strikten Sparkurs gefahren, besäße sie heute deutlich mehr Reservezüge - und nicht jede Panne würde sich sofort auf den ganzen Fahrplan auswirken.

Viel zu viele Fahrgäste haben deshalb im vergangenen Jahr erlebt, dass schon kleine Unpünktlichkeiten zu einem großen Ärgernis werden können, nämlich dann, wenn sie ihren Anschlusszug verpassen und deshalb eine Stunde warten müssen. Solche Erlebnisse bringend Reisende dazu, sich beim nächsten Mal wieder ins Auto oder ins Flugzeug zu setzen. Schon aus Gründen des Klimaschutzes kann das niemand gutheißen

Vor allem aber sind die Zahlen ärgerlich, weil sie zeigen, dass die Bahn viel zu wenig kontrolliert wird. Wieso muss erst die Stiftung Warentest aktiv werden, damit solche Verspätungen öffentlich werden? Wieso gibt es in Deutschland nicht - wie in Großbritannien - eine neutrale Organisation, die regelmäßig Pünktlichkeit der Züge und Zufriedenheit der Fahrgäste prüft? Wieso darf die Bahn überhaupt so ein Geheimnis um ihre Verspätungen machen? Schließlich ist sie ein Staatskonzern, dem Milliarden an Steuergeldern zufließen. Das aber scheint das Unternehmen manchmal lieber zu verdrängen.

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