Bad Münstereifel:Eine Stadt wird zum Outlet

Bad Münstereifel: Hier brechen neue Shopping-Zeiten an: Altstadt von Bad Münstereifel mit der Jesuitenkirche.

Hier brechen neue Shopping-Zeiten an: Altstadt von Bad Münstereifel mit der Jesuitenkirche.

(Foto: Imago Stock&People)

Weil die Sanatoriumsgäste wegbleiben, baut sich Bad Münstereifel zum Outlet-Zentrum um. Selbst Heino muss wegen der Umwälzungen umziehen.

Von Stefan Weber, Bad Münstereifel

Heino, 75, ist mit seinem Café schon lange weg aus der Altstadt von Bad Münstereifel. Der blonde Barde mit der dunklen Brille musste nach vielen Jahren raus aus dem schönen Eckhaus an der Marktstraße schräg gegenüber dem historischen Rathaus. Der Mietvertrag war ausgelaufen. Und die Eigentümer der Immobilie waren der Meinung, dass nun Schluss sein müsse mit Haselnusstorte für Volksmusikfreunde. Zumindest an diesem Standort. Also ist Heino umgezogen. Ein paar Hundert Meter weiter den Berg hinauf ins Kurhaus. Wo früher sein Café war, ist heute eine Baustelle.

Es riecht nach frischer Farbe und feuchtem Putz. An der Decke baumeln Kabel. Handwerker hämmern, bohren und pinseln. "Hier", sagt Thomas Reichenauer, "zieht bald ein Geschäft für Sportmode ein." Er balanciert über holprige Bretter, erklimmt ein paar Stufen und zeigt stolz auch den letzten Winkel des Hauses, das früher eine Pilgerstätte für Schlagerfreunde war. Früher. Heute haben Leute wie Reichenauer das Sagen.

Der Österreicher ist Geschäftsführer von Retail Outlet Shopping (ROS), einer Firma, die darauf spezialisiert ist, Fabrikverkaufszentren hochzuziehen und zu betreiben. Also jene Tempel der Einkaufserlebniswelt, die preiswerte Designermode, Sportartikel oder andere Lifestyle-Ware verkaufen. Und das 30 Prozent billiger als üblich, mindestens - so ihr Versprechen.

Bad Münstereifel vermarktet sich als Outlet-Zentrum

Üblicherweise bauen Firmen wie ROS, die verglichen mit Branchenriesen wie Value Retail oder Mc-Arthur-Glenn zu den Kleinen im Business gehören, künstliche Dörfer auf die grüne Wiese. Mit Häuschen, die verziert sind mit Zinnen und Türmen. Und die jeweils einen Markenartikler beherbergen, also Firmen wie Adidas, Bogner und Tommy Hilfiger. Hier herrscht dann die Illusion einer heilen Einkaufswelt: saubere Wege, vorbildliche Beschilderung, kein pöbelnder Trunkenbold, niemand, der um einen Euro bettelt. Die Center-Manager verstehen es, alles außen vor zu lassen, was den Kauffluss stören könnte.

Doch in Bad Münstereifel muss keine Idylle künstlich nachempfunden werden. Mittelalterliche Romantik ist hier authentisch: Fachwerkhäuser, Stiftskirche, Wassermühle, alles umgeben von einer mächtigen imposanten Stadtmauer. Mittendurch plätschert die malerische Erft. Hier erstreckt sich ab 14. August das City Outlet Bad Münstereifel. Knapp 40 Shops entlang einer 800 Meter langen Fußgängerzone. Eine ganze Stadt vermarktet sich als Fabrikverkaufszentrum - das hat es noch nirgendwo gegeben.

Und das ist auch der Grund, warum Immobilienmanager, Investoren, Händler und Markenhersteller seit Monaten so gebannt auf den kleinen Eifelort starren. Kaum ein Kongress über Handelsimmobilien, bei dem das Factory-Outlet-Center (FOC) im Dreieck von Aachen, Köln und Bonn nicht Thema ist. Denn wenn das Experiment glückt, wird es Nachahmer geben. In den vergangenen Monaten hat es bereits einen Pilgerzug von Bürgermeistern und Gemeinderäten aus ganz Deutschland nach Bad Münstereifel gegeben. Alle wollten sie erfahren, wie es der Ort anstellt, Outlet zu werden.

Kurort war gestern

Zur Vorgeschichte gibt es in der Stadt mindestens zwei Versionen. Je nach Lesart sind die drei ortsansässigen Investoren Georg Cruse, Marc Brucherseifer und Rainer Harzheim entweder mutige Geldgeber, die ihrer darniederliegenden Heimatstadt mit einer pfiffigen Idee neues Leben einhauchen wollen. Oder sie sind rücksichtslose Geschäftemacher, die wie beim "Monopoly" ganze Straßenzüge aufgekauft und alteingesessenen Mietern gekündigt haben, um dann im Schulterschluss mit den Stadtvätern ihre Vision eines Fabrikverkaufs durchzusetzen. "Alternativen für eine Revitalisierung von Bad Münstereifel sind nie ernsthaft geprüft worden", erzählen Ladenbetreiber an der Orchheimer Straße. Sie müssen in Kürze schließen, der Mietvertrag wurde nicht verlängert.

Fakt ist, dass das Eifelstädtchen, ein staatlich anerkannter Kneippkurort, schon bessere Tage erlebt hat, sehr viel bessere. Als die Krankenkassen noch nicht so stark sparten, zählte Bad Münstereifel in jedem Jahr 50 000 Übernachtungsgäste. Das ist vorbei. "Früher hatten wir 13 Kurhäuser. Heute sind es noch drei", erzählt der Mitarbeiter des Verkehrsvereins. Von den 19 000 Einwohnern seien 2000 weggezogen, weil es nicht genügend Jobs gebe. Tristesse auch im örtlichen Einzelhandel. Bevor das Investorentrio vor drei Jahren angefangen habe, Immobilien zu erwerben, habe fast jeder dritte Laden leer gestanden, berichten Geschäftsleute.

Altstadt wird zur Outletshopping-Meile

"Jetzt herrscht Aufbruchstimmung in der Stadt. Die Leute sehen, dass sich etwas bewegt", freut sich Reichenauer beim Gang durch die Gassen. Im Printenhaus Café Porz beispielsweise haben sie sich schon eingestellt auf die neue Zeit, die wieder mehr Besucher in die Stadt schwemmen soll. Die Fassade erstrahlt in frischem Braun-Rot, die Fensterfront wurde vergrößert, und draußen warten gemütliche Stühle unter sechs hellen Sonnenschirmen auf Gäste.

So viel Mut zur Erneuerung wünscht sich Reichenauer auch von anderen Ladenbetreibern. Aber das werde schon noch kommen, ist er überzeugt. Denn wer nicht mitziehe, dessen Ladenlokal falle bald unangenehm auf zwischen all den adrett herausgeputzten Geschäften, die zum Verbund des City Outlet gehören. Eine einheitliche Beschriftung und gleichfarbige Markisen signalisieren den Besuchern, welche Läden zum Fabrikverkauf gehören und welche nicht.

Das Outlet ist ein Flickenteppich, denn den Investoren gehören längst nicht alle Immobilien in der Stadt. Bäckereien und Gastronomiebetriebe beispielsweise sind nicht Teil des Outlets. Reichenauer findet gerade diesen Mix zwischen gewachsener Nahversorger-Struktur und Markenshops reizvoll: "Das sorgt für Abwechslung. Denn der Besuch eines Outlets ist mehr als nur Einkaufen."

Umsatzbezogene Verträge für Markenhersteller

Die Idee, dass mehrere Hersteller von Markenartikeln, meist aus der Modewelt, ihre Ware an einer gemeinsamen Verkaufsstätte verbilligt anbieten, ist gerade einmal gut 40 Jahre alt. In Pennsylvania (USA) begann 1971 das erste Factory Outlet - und wurde bald hundertfach kopiert. Zunächst in Amerika, von Mitte der 1980er-Jahre an auch in Europa. In Deutschland gibt es - gemessen an der Definition der Branche - zehn solcher Outlets mit einer Verkaufsfläche von mindestens 5000 Quadratmetern und gesteuert von einem zentralen Management. Bad Münstereifel ist Nummer elf. Hinzu kommen noch etliche Center im grenznahen Ausland, die vor allem Kunden aus Deutschland umwerben.

Die meisten Betreiber sind hochzufrieden. Die Besucherzahlen steigen, weshalb viele Outlets ihre Verkaufsfläche schon mehrfach vergrößert haben. Pläne für neue Center gibt es dutzendfach in fast allen Bundesländern. Aber die Anfragen werden meist abgeschmettert. Die Outlet-Gegner treibt eine Sorge um: dass ein Fabrikverkauf auf der grünen Wiese den Ladenbetreibern in den umliegenden Städten das Geschäft abgräbt. "Stimmt nicht", entgegnet Joachim Will, der mit seiner Firma Ecostra zu den gefragtesten Beratern von Investoren und Betreibern von Outlet-Centern gehört. Er verweist auf viele Untersuchungen, die zeigen, dass Städte im Umkreis eines Fabrikverkaufszentrums keineswegs leiden.

Solche Fragen mussten sich Stadtväter und Händler in Bad Münstereifel nicht stellen. Schließlich wird hier eine schon vorhandene Stadt zum Outlet umfunktioniert. Dafür mussten sie andere Probleme lösen. Etwa Markenhersteller davon zu überzeugen, mitzumachen bei diesem Experiment. Das sei gelungen, betont Reichenauer. Etwa 80 Prozent der Ladenfläche von insgesamt knapp 14 000 Quadratmetern sei bereits vermietet. Eine solche Quote gilt als branchenüblich. Schließlich halten Outlet-Betreiber stets einige Flächen frei für Top-Marken, die zunächst abwarten, wie das Center anläuft, um dann gegebenenfalls kurzfristig mitzumachen.

Ob ROS mit Mietnachlässen gelockt habe, um skeptische Interessenten zu überzeugen? Nein, betont Reichenauer. In der Branche wird jedoch erzählt, dass die Mieter umsatzbezogene Verträge unterzeichnet haben. Das heißt: Wenn es nicht wie erhofft läuft, können sie rasch wieder raus.

Kooperation mit Nürburgring und Phantasialand

Doch von solchen Szenarien will derzeit keiner etwas wissen in Bad Münstereifel. Die meisten sind froh, dass es nun endlich losgeht mit dem City Outlet. Mehrfach wurde der Eröffnungstermin verschoben. ROS-Manager Reichenauer denkt bereits über diesen Tag hinaus. Er will bei der Vermarktung mit den Betreibern des nahe gelegenen Nürburgrings und des Freizeitparks Phantasialand zusammenarbeiten. Motto: Freizeitvergnügen und Shopping in der Eifel. Doch zuvor müssen er und seine Mitstreiter eine harte Nuss knacken: Sie müssen durchsetzen, dass das City Outlet auch sonntags öffnen darf.

Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen nimmt es sehr genau mit der Ladenöffnung. Für Tourismusschwerpunkte lässt sie jedoch Ausnahmen zu. Bad Münstereifel, so sagt Reichenauer, sei zweifellos ein Kur- und Tourismusort.

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