Babynahrung:Chinas Regierung will von deutschem Milchpulver unabhängig werden

Milchpulver in China Hipp

Hipp-Pulver in Peking: Nach einem erneuten Skandal ist das Vertrauen der Chinesen in eigene Hersteller zerrüttet.

(Foto: Stephan Scheuer/dpa)
  • Nach mehreren Lebensmittelskandalen geben die Chinesen Milliarden für ausländische Babynahrung aus.
  • Europäische Hersteller produzieren am Limit.
  • Nun bemüht sich die Regierung in Peking, das Vertrauen in eigene Hersteller wieder zu stärken.

Von Christoph Giesen, Peking

In chinesischen Supermärkten lichten sich die Regale. Überall im Land werden auf Anordnung der Behörden Milchpulverdosen aussortiert. Die Lebensmittelaufsicht hat verfügt, dass mehr als 1400 Produkte nicht mehr verkauft werden dürfen. Das sind 60 Prozent aller Sorten. Künftig sind nur noch etwa 950 Produkte von knapp 130 Herstellern zugelassen. Das Vertrauen der heimischen Bevölkerung in chinesische Milch soll endlich wiederhergestellt werden.

In China ist ausländisches Milchpulver begehrt, seit vor knapp zehn Jahren 300 000 Kleinkinder erkrankten, nachdem sie mit verunreinigtem Milchpulver gefüttert worden waren. Mehr als 50 000 Kinder mussten in Krankenhäusern behandelt werden. Sechs von ihnen starben an Nierenversagen. Chinesische Hersteller hatten damals versucht, mit Melamin, einem Stoff, der normalerweise bei der Produktion von Leimen und Klebstoffen eingesetzt wird, einen höheren Proteingehalt ihrer gestreckten Trockenmilch vorzutäuschen. Viele Eltern in China kaufen seitdem nur noch Milchpulver aus dem Ausland, viele bringen es von Reisen mit. Die Folge seither: Überall auf der Welt gibt es immer wieder leere Regale.

Auch in Deutschland spürt man die Unsicherheit der chinesischen Verbraucher bis heute: Wer in einer Drogerie Milchpulver kaufen möchte, darf in vielen Geschäften nur zwei oder drei Packungen mitnehmen. Meistens helfen chinesische Studenten, die in Deutschland leben und sich Geld hinzuverdienen, beim Transport nach China: Sie gehen bei Rossmann oder dm einkaufen, wickeln die bestellten Milchpulverdosen in Blasenfolie und legen dem Paket die Originalrechnung bei. Dann geht es per Post nach China, zum Zwischenhändler. Der bietet die Milchpulverdosen im Internet an. Zum Beispiel bei Taobao, dem chinesischen Ebay. Milchpulverdosen aus der ganzen Welt können besorgte chinesische Eltern hier kaufen. Sie tun das zu Hunderttausenden.

Vor einigen Jahren war die Anfrage auf einmal so groß, dass Drogerien die Abgabe limitieren mussten. Inzwischen aber produzieren die Fabriken in Europa Milchpulver im Drei-Schicht-Akkord. Genug, um die Nachfrage aus China zu stillen. Die Schildchen in den Supermärkten sind zumindest in Deutschland eigentlich überflüssig geworden. Zumal die großen Hersteller längst direkt nach China exportieren. Ein sehr lohnendes Geschäft, die Preise für die gängigen Marken aus Europa sind locker drei Mal so hoch wie in Deutschland. Und viele Chinesen zahlen es anstandslos.

Das Staatsfernsehen testete europäisches Pulver

Das spürt man auch in Hongkong. Die ehemalige britische Kolonie gehört zwar als Sonderverwaltungszone zu China, doch die Gesetze und Kontrollen sind strenger, Hersteller und Importeure halten sich dran. Binnen weniger Wochen eröffneten vor zehn Jahren Hunderte Trockenmilchgeschäfte in Hongkongs Einkaufstraßen, doch die Nachfrage war noch größer. Ständig war das Milchpulver ausverkauft. In ihrer Not verfügte die Hongkonger Verwaltung eine strenge Ausfuhrbeschränkung. Pro Person dürfen nur noch maximal zwei Dosen nach China gebracht werden. Wer sich mit mehr erwischen lässt, dem droht eine Strafe von umgerechnet bis zu 50 000 Euro oder gar zwei Jahren Gefängnis.

Knapp 20 Milliarden Dollar werden in China inzwischen pro Jahr für Milchpulver ausgegeben. Geht es nach dem Willen der Regierung sollen chinesische Firmen daran partizipieren. Vor wenigen Wochen testete das Staatsfernsehen die Qualität von Milchpulver aus Europa, Australien oder Japan. Das Ergebnis: Kinder sollten am besten chinesische Milch trinken. Im November kam jedoch heraus, dass ein Hersteller aus Westchina für mindestens 18 000 Dosen bereits abgelaufene Inhaltsstoffe verwendet hatte. Nun gibt es strengere Vorgaben der Lebensmittelaufsicht, um Chinas Eltern zu beruhigen.

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