Azubis:Ohne Floskeln in den Zug

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Akuter Personalbedarf: In den kommenden zehn Jahren wird fast die Hälfte der Belegschaft die Bahn aus Altersgründen verlassen. (Foto: imago/Thorsten Baering)

Die Bahn verlangt von Bewerbern um einen Ausbildungsplatz kein Anschreiben mehr. Fachleute halten das für falsch.

Von Markus Balser, Matthias Kohlmaier, Berlin/München

Wer sich künftig bei der Deutschen Bahn um einen Ausbildungsplatz bewerben möchte, wird folgende Sätze nicht mehr aus den Weiten des Internets ins persönliche Anschreiben kopieren müssen: "Jederzeit erledige ich meine Aufgaben sehr zuverlässig und verantwortungsbewusst. Mit mir gewinnt Ihr Unternehmen einen Mitarbeiter, der flexibel, motiviert und teamorientiert ist. Außerdem habe ich in mehreren Praktika ausgeprägte Kommunikationsstärke, hohe Lernbereitschaft und viel Kreativität unter Beweis stellen können."

Das liegt aber wohl nur zum Teil daran, dass die Personaler der Deutschen Bahn den Wust aus Adjektiven und sperrigen Substantiven nicht mehr ertragen können. "Wir wollen es den Bewerbern so einfach wie möglich machen", sagt Carola Hennemann, die die Bahn-Personalgewinnung in Baden-Württemberg leitet und bundesweit für die Einstellung von Ingenieuren zuständig ist. Darum verzichtet das Unternehmen für die Azubigeneration ab 2019 auf das Anschreiben bei der Bewerbung.

Grund für die Initiative ist vor allem der absehbare Personalmangel. Allein in den kommenden zehn Jahren werde fast die Hälfte der Belegschaft aus Altersgründen das Unternehmen verlassen, teilt die Bahn mit. Rund 44 Prozent der Beschäftigten sind 50 Jahre und älter. Es geht um Zehntausende Jobs. Der Staatskonzern beschäftigt weltweit 320 000 Mitarbeiter - in Deutschland sind es 200 000. Allein in diesem Jahr braucht die Bahn laut Personalvorstand Martin Seiler 19 000 neue Mitarbeiter. Der Konzern versucht so ziemlich alles, warb etwa nach der Air-Berlin-Pleite um Personal aus der Luft für den Boden. Doch die meisten Flugbegleiter wurden von anderen Fluggesellschaften übernommen. Auch in sozialen Netzwerken wie Facebook wirbt das Unternehmen um neue Angestellte.

Nun will es der Konzern Bewerbern leichter machen und attraktiver werden. Internen Papieren zufolge versucht die Bahn in die Top-Rankings der beliebtesten Arbeitgeber zu kommen. Nachteile durch den Verzicht auf Formalitäten befürchtet man bei der Bahn nicht. Man prüfe die Motivation der Bewerber ohnedies noch mal im persönlichen Gespräch, sagt Personalerin Hennemann.

Die Bahn steht nicht allein da. Auch der Dax-Konzern Henkel verzichtet lieber auf Floskeln. Die Personalverantwortliche Katrin Kieven kontrolliert bei jeder Bewerbung erst mal den Lebenslauf. "Wenn der interessant ist, greifen wir zum Telefon." Durch diesen Kontakt bekomme man ohnehin mehr Informationen über den Kandidaten, als ein Anschreiben liefern könne.

Bewerbungscoach Bernd Slaghuis erkennt seit einigen Jahren bei großen Unternehmen den generellen Trend, auf das Anschreiben zu verzichten. In Zeiten der One-Click-Bewerbung, die in verschiedenen Karrierenetzwerken mittlerweile möglich ist, scheint der Schritt auch logisch zu sein. Für Kandidaten wird eine Hürde abgebaut, das Unternehmen kann mit mehr Bewerbungen rechnen. Slaghuis sagt dennoch: "Arbeitgeber tun sich keinen Gefallen damit, wenn sie grundsätzlich auf das Anschreiben in der Bewerbung verzichten." Seiner Meinung nach ist das Anschreiben die Chance für den Arbeitgeber, mehr über Kandidaten zu erfahren als die reinen Fakten des Lebenslaufs. Die Kombination aus beiden Teilen der Bewerbung "macht einen Bewerber erst richtig greifbar".

Den Schritt der Deutschen Bahn kann er dennoch nachvollziehen. Angehende Azubis hätten ohnehin nicht viel zu sagen, was über die bekannten Floskeln hinausginge. Soll heißen: Je höher die Position und je größer die Berufserfahrung, desto wichtiger ist das Anschreiben in der Bewerbung - und zwar für Kandidaten wie für Unternehmen.

Sollten sich also noch mehr Ausbilder ein Beispiel an der Deutschen Bahn nehmen und auf das Anschreiben ganz verzichten? Wer sich bei kleineren Ausbildungsbetrieben umhört, findet kaum Freunde der Idee. Markus Widholzer ist zuständig für die Auswahl der Lehrlinge bei Reifen Widholzer im Münchner Osten. Sechs Azubis werden dort jährlich eingestellt, von der Buchhaltung bis zum Kfz-Bereich. Für den ersten Eindruck würde Widholzer keinesfalls auf das Anschreiben verzichten wollen: "Da erkennt man gleich, wie die jungen Leute ticken. Ob sie ordentlich arbeiten und zum Unternehmen passen könnten."

Ein Anschreiben voller Rechtschreibfehler oder mit der falschen Anrede - was laut Widholzer überraschend häufig passiert, da viele Jugendliche dasselbe Anschreiben an mehrere potenzielle Ausbilder schicken und vergessen, den Namen anzupassen - sei für ihn dagegen ein Ausschlusskriterium.

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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