Autoshow Shanghai:Neue Normalität

Auto Shanghai international car show

Der Streit im VW-Management interessiert die Messebesucher in Shanghai herzlich wenig. Viel wichtiger sind die vielen Neuheiten.

(Foto: How Hwee Young/dpa)

Chinesen kaufen heute preiswerte Geländewagen und kompakte Autos. Nicht einmal Messehostessen werden bei der Autoshow geduldet.

Von Thomas Fromm und Marcel Grzanna, München/Shanghai

Endlich geht es bei Volkswagen wieder um Autos, zumindest ein bisschen. An diesem Montag schauten Journalisten auf dem VW-Messestand in Shanghai auf neue Produkte, nicht auf alte Patriarchen, und vielleicht lag das auch mit daran, dass einer der großen Akteure der vergangenen Tage nicht angereist war: VW-Chef Martin Winterkorn, zuerst auf der Abschussliste von Chefkontrolleur Ferdinand Piëch, dann von einer Gruppe von Aufsichtsräten gegen den Widerstand Piëchs an Bord gehalten, war eigentlich fest eingeplant in Shanghai. Dann am Sonntag die Nachricht: Herr Professor Winterkorn hat die Grippe und bleibt zu Hause.

So gab es also mal etwas Ablenkung von Streitereien, Rücktrittsgerüchten, Krisensitzungen. Selbst die Revolte gegen Aufsichtsratschef Piëch, wie sie von einigen prophezeit wurde, fand nicht statt - zumindest nicht an diesem Montag.

China-Vorstand Jochem Heizmann sprang für Winterkorn ein, auch das war etwas Neues. Aufmerksamen chinesischen Kunden waren die Verspannungen bei einem ihrer Lieblingshersteller natürlich nicht entgangenen, auch örtliche Medien berichteten über die Schlacht um die Macht, wenn auch wenig emotional. Denn unterm Strich ist den Chinesen ziemlich egal, wer bei VW am Steuer sitzt. Ein deutsches Auto bleibt ein deutsches Auto, egal ob der Chef Winterkorn, Müller, Meier oder Schulze heißt.

Allerdings, und das zählt hier mehr als jeder Führungsstreit zwischen Wolfsburg und Salzburg: Die Euphorie auf dem chinesischen Automarkt ist Vergangenheit, da helfen auch alle Liebesbekenntnisse der Chinesen an deutsche Autos nichts. Die ganz große Sause, die Zeiten der zweistelligen Zuwächse, ist vorbei. Da ist die wirtschaftliche Entwicklung, die sich allmählich normalisiert. Wenn die Wirtschaft kein Turbowachstum mehr hinlegt, dann gehen auch die Autoverkäufe zurück - ganz normal. Dazu kommt, und das sieht man bei der Automesse in Shanghai ganz deutlich: Die Gruppe der Anbieter, die ihre Autos verkaufen wollen, wird größer - vor allem wegen der chinesischen Anbieter. "Die goldenen Zeiten für die Verkäufer gehen zu Ende", resümiert Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer vom Center for Automotive Research an der Uni Duisburg-Essen.

Und: Wer verkaufen will, muss sich auf neue Gegebenheiten einstellen. In den Metropolen des Landes haben die Hersteller in den vergangenen Jahren verkauft, was nur ging. Jetzt müssen die Händler raus aufs Land, um neue Käuferschichten zu finden. Hier sind die Menschen einfacher als in den glitzernden Metropolen. Für sie müssen die Autos billiger sein und brauchbar für's Gelände. Billige Geländewagen aber hat nicht jeder der Hersteller im Programm - am ehesten noch die chinesischen Autohersteller. Autos in China sind heute: kompakt, geländegängig, günstig.

Dabei sind die Verkaufszahlen im weltweiten Vergleich immer noch Spitze. 23,5 Millionen Fahrzeuge wurden 2014 im Land verkauft - auch deshalb spürt man in der zweitgrößten Volkswirtschaft den Rückgang besonders deutlich. Um nur sieben Prozent legte die Wirtschaft im ersten Quartal zu, noch einmal erheblich langsamer als zum Ende des Vorjahres. Ein Zustand, an den sich die Welt nach Jahren des Hyperwachstums gewöhnen müsse, predigen die Chinesen bereits seit einer Weile.

"Neue Normalität" nennen sie das.

Die Hersteller spüren das. VW zum Beispiel. Der Hersteller legte nur noch um zwei Prozent zu, bei der Stammmarke VW ging das Geschäft sogar zurück. Daran muss sich VW erst gewöhnen - dass man in den USA Probleme hat, darauf hat man sich schon eingestellt. China aber war für die Deutschen traditionell einer der zentralen Märkte. Wenn der Markt noch wächst, aber VW nicht groß mitwächst, dann hat das etwas zu bedeuten. "Das Wachstum kommt besonders stark aus Segmenten zustande, in denen wir nicht vertreten sind", sagte China-Chef Jochem Heizmann. Das heißt wohl: Es fehlen einem zurzeit die falschen Produkte, um mitzuziehen.

Händler beschweren sich über zu hohe Verkaufsziele, die die Konzernzentralen verordnen

Entsprechend zurückhaltend formulieren die Manager des Konzerns die Wachstumsziele für das laufende Jahr. "Es ist zu früh, um Prognosen zu stellen", sagt Audis China-Chef Dietmar Voggenreiter. Früher hatte man in China nie ein Problem damit, im Frühjahr auf ein sonniges Gesamtjahr zu schauen. Jetzt heißt es, erst gegen Ende des Jahres wisse man mehr.

Diese neue Zögerlichkeit lernen nicht nur die deutschen, sondern auch die internationalen Hersteller kennen - es herrscht Katerstimmung.

BMW-Chef Norbert Reithofer stellte schon im März fest, dass China nachlässt. "China war 2014 unser größter Einzelmarkt", sagte er bei der jährlichen Pressekonferenz. "Wir haben jedoch immer schon gesagt: Der chinesische Markt wird sich weiter normalisieren."

Und genau das passiert jetzt. Dazu passt es, dass sich Händler inzwischen über die zu hohen Verkaufsziele beschweren, die ihnen ihre Konzernzentralen verordnen. Am Montag kündigte BMW an, einige Modelle hier in Zukunft günstiger anbieten zu wollen. "Das ist die neue Normalität. Die müssen wir akzeptieren und uns anpassen", sagte China-Chef Karsten Engel.

Dennoch werden weiterhin riesige Summen investiert. Volkswagen steckt 22 Milliarden Euro in neue Fabriken bis 2019. Die Marken des Konzerns werden bis zum Ende des Jahres 15 neue Modelle in China einführen, darunter etliche Hybridfahrzeuge und ein Oberklasse-C-Coupe. Mit diesen Modellen hofft Volkswagen, den Zeitgeist zu treffen und neue Kunden zu erschließen. Auch Daimler-Chef Dieter Zetsche schwärmt weiterhin von "enormen Möglichkeiten", die der Markt bietet.

Neue Möglichkeiten schon, aber man muss diese Möglichkeiten eben auch nutzen - die Zeiten, in denen man alles nach China verkaufen konnte, vor allem hochpreisige Autos, die man extra für China zu Chauffeurslimousinen in die Länge zog, sind fürs Erste vorbei.

Vorbei übrigens auch die Zeiten, in denen leicht bekleidete Messehostessen auf Motorhauben saßen und in Kameras lächelten- Chinas Sittenwächtern gefiel diese internationale Automessen-Tradition nicht mehr. Von nun an müssen die Autos in Shanghai für sich stehen.

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