Autonomes Fahren:Mitten in München

Autonomes Fahren: Unter den Augen von BMW: Die IAA würde in München in Sichtweite der Konzernzentrale stattfinden.

Unter den Augen von BMW: Die IAA würde in München in Sichtweite der Konzernzentrale stattfinden.

(Foto: Johannes Heuckeroth/mauritius images)

BMW will eine Testflotte mit 40 computergesteuerten Autos im Zentrum einer Metropole testen. Die Fahrzeuge sollen lernen, mit Fußgängern, Fahrrädern und Gegenverkehr umzugehen.

Von Joachim Becker und Thomas Fromm

Fahrerlose Autos würden andere Fahrer wahrscheinlich ziemlich beunruhigen, wenn sie ihnen auf der Straße entgegenkämen. Wenn die Menschen in dem Fahrzeug, das plötzlich neben ihnen an der Ampel oder hinter ihnen an der Kreuzung steht, niemanden sehen könnten, mit dem sie in Kontakt treten könnten. Wenn da nichts wäre außer Blech, das fremdgesteuert fährt und bremst und wieder fährt.

Das sind Dinge, die BMW beachten muss, wenn der Konzern im nächsten Jahr 40 vollautomatische Autos in die Münchner Innenstadt schickt, um sie dort zu testen. "Man wird als Verkehrsteilnehmer dann nicht auf einen fahrerlosen Test-BMW treffen", beruhigt ein Sprecher schon vorab. In den autonomen 3er GTs, die mit ihren Sensoren und Kameras einige Strecken alleine fahren können, sitzen noch Fahrer, die bei Gefahr eingreifen müssen und das Lenkrad im Griff haben. Die Testfahrzeuge sollen jeweils von einem Auto begleitet werden - zur Sicherheit. Die Strecken, um die es in München geht, sind noch geheim. Nur so viel: Es wird zum ersten Mal innerhalb des Mittleren Rings gefahren. Allerdings werde man zentrale Plätze wie die Gegend rund um den Stachus (Karlsplatz) vermeiden, heißt es.

Die Zeit drängt: Nicht nur Tesla und Mercedes, sondern auch Uber und Google testen erste Systeme

Worum es BMW bei seiner Aktion nicht geht, so der Sprecher: "Wir wollen keinen Wettbewerb eingehen, wer am längsten ohne Hände am Lenkrad fahren kann." Rein rechtlich geht das Fahren ohne Eingriff am Lenkrad ohnehin noch nicht. Worum es stattdessen geht: Der Konzern will testen, wie solche Autos mit komplexen Situationen umgehen, wie sie auf Stadt- und Gegenverkehr, parkende Autos, Fußgänger, Radfahrer, Laternen, Mülltonnen reagieren. Denn BMW-Fahrzeuge haben zwar Tausende Testkilometer absolviert - allerdings außerhalb der Ballungsgebiete, etwa auf der Autobahn A 9. Jetzt soll es ernst werden: Schon im Jahr 2021 will BMW mit seinem ersten autonom fahrenden Auto auf den Markt und hat dafür eine Kooperation mit dem Chiphersteller Intel und dem Kamera-Start-up Mobileye beschlossen - entsprechend groß ist der Druck, die Praxistauglichkeit zu testen.

Glaubt man den Strategen der Konzerne, drängt die Zeit: Der US-Elektroautobauer Tesla gibt zumindest bei Ankündigungen zu neuen Autopiloten das Tempo vor. Mercedes hat bereits vollautonome Autos durch Städte geschickt; der Fahrdienstvermittler Uber testet in den USA selbstfahrende Ford-Limousinen, und Google und der italienisch-amerikanische Autobauer Fiat Chrysler wollen zusammen 100 selbstfahrende Minibusse fahren lassen.

Bislang funktioniert das autonome Fahren vor allem auf Autobahnen. Da, wo es immer geradeaus geht und einem niemand entgegenkommt. Vor einem Markteintritt aber stellen sich weitere Fragen: Was ist in den Innenstädten? Da, wo Autos wild parken und Fußgänger unerwartet die Straße überqueren - weicht ein Computerauto dann aus? Bremst es rechtzeitig? Das muss getestet und trainiert werden. BMW hatte bereits in Garching bei München begonnen, hoch automatisierte Autos auszuprobieren. Doch für urbane Tests ist es dort zu beschaulich, deshalb nun die Münchner Innenstadt.

Wer vom automatisierten Fahren träumt, erlebt hier seinen ultimativen Stresstest. Vor allem, weil der Fahrroboter unterscheiden muss, welche Objekte überhaupt relevant sind: Im Gewirr vieler sich kreuzender Bewegungslinien kommt auch ein leistungsstarker Computer schnell an seine Grenzen. "Unsere Testfahrzeuge brauchen die fünffache Rechenleistung eines PC", erklärte Chris Urmson vor einem Jahr. Der frühere Chef des Google-Programms für automatisiertes Fahren musste selbst erleben, wie seine eiförmigen Wagen technisch k.o. gingen: Wenn die Verkehrslage im chaotischen Fahrradverkehr unübersichtlich wurde, blieben die kleinen Ruckelkisten mitten auf der Straße einfach stehen.

Die Maschine muss nämlich nicht nur Verkehrsschilder schnell erkennen, sondern auch Autos, die plötzlich ausscheren, wo vorher nur der Blinker zu sehen war. Es geht um nicht weniger als ein Grundverständnis der Umwelt. Und die kann so komplex aussehen, dass sie mit programmierten Regeln nicht zu bewältigen ist. Es braucht also nicht nur schnellere Systeme, sondern vor allem klügere. Mit anderen Worten: Die Roboterautos müssen in die Fahrschule, um ihre Software weiter zu entwickeln.

Wie eng die Grenzen der Technik sind, zeigen bisherige Tests, zum Beispiel bei Mercedes: Mit einer aufgerüsteten S-Klasse fuhren die Stuttgarter 2013 von Mannheim nach Pforzheim. Mercedes hatte die gut 100 Kilometer lange Route ausgewählt, weil die motorisierte Kutsche dort erstmals ihre Langstreckentauglichkeit bewiesen hatte - 125 Jahre später wollten die Stuttgarter wieder Geschichte schreiben und schickten einen Mercedes S 500 "Intelligent Drive" los. Was Mercedes als Geburtsstunde des autonomen Fahrens in Deutschland feierte, entpuppt sich als Mogelpackung: Die Stereokamera hinter der Frontscheibe konnte 2013 erst rund 60 Prozent der relevanten Muster im Verkehrsgeschehen sicher erkennen. Ein neuer, lernender Algorithmus hat die Leistung inzwischen um zehn Prozentpunkte auf mehr als 70 Prozent gesteigert.

Bis zum hoch automatisierten Fahren jenseits des einfachen Autobahnverkehrs oder in abgeschlossenen Parkhäusern ohne Fußgänger ist der Weg noch weit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: