Autoindustrie:Zündstoff

Drohende Fahrverbote für Diesel, neue Abgas-Vorwürfe: Die Sorge um die Jobs in der Branche wächst.

Von Markus Balser, Berlin, Stefan Mayr, Stuttgart, und Josef Kelnberger

Porsche Produktion

Montage bei Porsche im Stammwerk in Stuttgart-Zuffenhausen: Ein Verbot von Verbrennungsmotoren würde viele Beschäftigte treffen.

(Foto: dpa)

Auf dem Flachdach des Daimler-Werkes in Stuttgart-Mettingen dreht sich der überdimensionale Werbe-Mercedes-Stern. Tag für Tag, Nacht für Nacht. In den breiten Straßen des Fabrikgeländes wuseln Mitarbeiter in Latzhosen und diverse Transport-Fahrzeuge hin und her. Vor einer Halle steht ein Anhänger mit drei grauen Trögen so groß wie Menschen. Die Gefäße stinken nach Feuer und Rauch, bereit für den nächsten Einsatz in der Gießerei. Dort wird in mächtigen Öfen Eisen geschmolzen und dann mithilfe der Tröge in Formen gegossen. Wenn die Teile abgekühlt sind, werden sie in Mercedes-Motoren verbaut. Natürlich ist auch in Mettingen der Abgasskandal ein Thema. "Der Stern glänzt noch", sagt ein Mitarbeiter trotzig. "Ich stehe hinter dem Stern, wir kämpfen um unseren Stern."

Es ist ein harter Kampf, der in diesen Tagen um die Zukunft der deutschen Autoindustrie ausgefochten wird. In Stuttgart, aber auch weit darüber hinaus. Die Abgasaffäre weitete sich mit neuen Vorwürfen gegen Daimler aus. Schon in wenigen Tagen dürfte zudem klar sein, ob in Stuttgart erstmals Diesel-Fahrzeuge aus einer deutschen Innenstadt verbannt werden. Anfang August soll dann der Autogipfel in Berlin klären, ob es zum größten Rückruf in der Geschichte des Landes kommt und Millionen Fahrzeuge nachgerüstet werden müssen, um die Luft zu verbessern.

Angetrieben von der Diskussion um mögliche Fahrverbote für Dieselautos bringt sich nun auch der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) in Stellung: Insgesamt 600 000 Arbeitsplätze seien derzeit direkt oder indirekt mit der Entwicklung und dem Bau von Diesel- und Benzinautos verbunden, erklärten VDA-Präsident Matthias Wissmann und der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, am Dienstag vor Journalisten in Berlin. Das seien zehn Prozent der deutschen Industriebeschäftigung. "Den Verbrennungsmotor politisch abzuschalten halte ich für einen schweren strategischen Fehler", sagt Wissmann. 426 000 Jobs wären in Deutschland laut der Studie im Auftrag des VDA allein in der Autoindustrie "gefährdet", sollte die Politik Verbrennungsmotoren von 2030 an verbieten. Außerdem stünden im Fall eines Verbots rund 48 Milliarden Euro an Wertschöpfung auf dem Spiel.

Ein Zulassungsverbot für neue Benziner und Dieselfahrzeuge wird in mehreren europäischen Staaten diskutiert. So will Frankreich Verbrennungsmotoren von 2040 an verbieten. In Deutschland fordern die Grünen, vom Jahr 2030 an nur noch abgasfreie Autos neu zuzulassen. "Solche Termine zu nennen ist weder ökonomisch sinnvoll noch strategisch klug", warnt VDA-Präsident Wissmann. Grünen-Chef Cem Özdemir hält dagegen: "Gerade weil so viele Arbeitsplätze am fossilen Verbrennungsmotor hängen, brauchen wir einen Weckruf." Der Verbrennungsmotor sei weltweit ein Auslaufmodell. Die Frage sei nicht mehr, ob sich das emissionsfreie Auto durchsetze, sondern wer es baue.

Angesichts immer neuer Manipulationsvorwürfe wächst das Misstrauen gegen die Branche. Die Zulassungszahlen von Diesel-Pkw gingen derzeit von "Monat zu Monat zurück", warnt IG-Metall-Chef Jörg Hofmann in einem Schreiben an Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Es müssten dringend Übergangslösungen her, damit sich die Lage in den Betrieben nicht weiter aufheize. Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, sieht die Gefahr weniger groß: "Ein Verbot des Verbrennungsmotors könnte diese Arbeitsplätze natürlich gefährden", sagt er, aber nur, "sofern sie nicht durch neue Beschäftigung im Zuge des Technologiewandels kompensiert werden können".

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann will anders als viele andere Mitglieder der Grünen den Wandel gemeinsam mit den Autoherstellern gestalten. Gerade hat er einen "strategischen Dialog" eröffnet. Deshalb lehnt er auch die Festlegung seiner Partei auf 2030 als das Jahr des Abschieds vom Verbrennungsmotor ab. Seine Begründung: Erstens müsse die Infrastruktur für die neue E-Mobilität geschaffen werden, zweitens dürfe der Wandel nicht zu massenhaftem Verlust von Arbeitsplätzen führen. Letzteres ist auch der Grund, warum er immer wieder für den Diesel wirbt. Wohlgemerkt: "den sauberen Diesel", wie er sagt.

Die Branche müsse aufhören mit ihrer "Politik des Mauerns" und sich neue Glaubwürdigkeit verdienen, forderte der Grüne am Dienstag in Stuttgart. Der Anlass: eine für diesen Mittwoch anberaumte Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart. Dort will die Deutsche Umwelthilfe erzwingen, dass alle Diesel aus Stuttgart ausgesperrt werden, damit die Stickoxid-Grenzwerte eingehalten werden. Kretschmanns Regierung hat sich von konkreten Fahrverbotsplänen erst einmal verabschiedet und setzt darauf, dass sich die Stuttgarter Luft durch eine Nachrüstung alter Diesel säubern lässt. Er glaube einfach mal daran, dass die Konzerne dabei nicht wieder tricksen, sagte Kretschmann. Im Übrigen müssten sie selbstverständlich für die Kosten der Nachrüstung aufkommen. Die Diesel-Technologie soll zukunftsfähig bleiben, bis die E-Mobilität sich Bahn bricht.

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