Autoindustrie:VW fürchtet erneuten Werk-Stillstand

Grammer AG

Ob Kopfstützen, Mittelkonsolen oder wie hier Sitze: Grammer ist ein wichtiger Zulieferer für die Automobilhersteller.

(Foto: Armin Weigel/picture alliance)
  • Ein Investorenclan steht kurz davor, die Kontrolle beim wichtigen VW-Zulieferer Grammer zu übernehmen.
  • Schon im Sommer 2016 hatten die Investoren es per Lieferstopp geschafft, die Bänder in VW-Autofabriken zum Stehen zubringen.
  • Um das zu verhindern, wurde eine Abwehrstrategie erarbeitet - bei VW bestreitet man jedoch, dabei die Fäden zu ziehen.

Von Max Hägler

"Vertraulich" haben die Volkswagen-Manager an den Rand des Dokuments geschrieben. Und das hat einen Grund. Aus dem Papier mit dem Titel "Aktuelle Situation Grammer AG" ist große Sorge herauszulesen. Die Sorge, dass vielleicht bald die Bänder in den Autofabriken stillstehen könnten, weil wieder einmal ein Lieferant übernommen wurde - von der mittlerweile gefürchteten Hastor-Familie.

So wie im Sommer 2016. Damals zwang der Investorenclan, der in Sarajevo und Wolfsburg ansässig ist, mit seiner Prevent-Gruppe den größten Autokonzern der Welt in die Knie. Im Streit um Aufträge stoppten sie die Lieferung von Getriebeteilen und Sitzbezügen für Golfs und Passats. Das schlimmste Szenario in der Branche. Niemand hatte sich so etwas zuvor getraut. Jetzt haben sie Angst bei VW, dass es wieder so kommt. Nur noch viel massiver. Am Mittwoch entscheidet sich, ob die Hastor-Familie die Kontrolle bei dem wichtigen Zulieferer Grammer, mit Hauptsitz in Amberg, bekommt. Mehr als 20 Prozent der Grammer-Aktien haben die Hastors eingesammelt über Tochterfirmen. Sie wollen maßgeblichen Einfluss gewinnen, um die Rendite hochzutreiben, sagen sie. VW befürchtet: Sie wollen wieder radikal Druck ausüben, Schaden anrichten.

Ein weißer Ritter soll's richten

Politiker und Gewerkschafter befürchten ähnliches. Nun zeigt eben ein Dokument, das die Süddeutsche Zeitung einsehen konnte, wie detailliert VW in die Abwehrstrategie involviert ist. In dem auf den 13. Dezember 2016 datierten Papier ist unter "Maßnahmen Grammer AG" notiert, was der Zulieferer aus der Oberpfalz macht oder machen soll, um eine Übernahme durch Hastor abzuwehren. So würden etwa Gespräche mit einem "friendly investor" laufen, einem wohlgesonnen Ankeraktionär also, der in dem Dokument auch "white knight" genannt wird, weißer Ritter. Ziel sei eine Änderung der Aktionärsstruktur, um die Stimmrechte der Hastor-Familie zu verwässern.

Außerdem geplant: Die "Steuerung des Stimmverhaltens der Kleinaktionäre und institutionellen Investoren über Proxy Advisors auf der HV". Auf der HV, der Hauptversammlung an diesem Mittwoch im Amberger Kongresszentrum, sollen Berater wohl kundtun, dass die Hastor-Familie kein guter Investor sei. All diese Maßnahmen seien "bereits durch den Grammer-Vorstand zugesagt und vom Grammer-Aufsichtsrat freigegeben", heißt es schließlich.

Tatsächlich ist in den vergangenen Monaten beinahe alles eingetreten, was in dem Papier vom Dezember skizziert ist. Es gab eine Kapitalerhöhung, und unter anderem ist inzwischen ein chinesischer Autozulieferer bei den Oberpfälzern eingestiegen: Die Firma Ningbo Jifeng hat die Rolle des weißen Ritters. Die Bewertung von Wolf-Rüdiger Bub, einem der Rechtsanwälte der Hastor-Familie, ist deutlich: "VW hat Regie geführt und Grammer-Vorstandschef Hartmut Müller hat die ihm zugedachte Rolle gespielt." Damit habe der Manager jedoch seinem Unternehmen und seinen Aktionären "keinen Gefallen getan, sondern massiven Schaden zugefügt".

Zieht VW bei alldem die Fäden?

Eine böse Verschwörung? Nein, heißt es bei VW. Man ziehe mitnichten die Fäden. Das Risikomanagement habe diese Informationen von Grammer erhalten. Denn natürlich wolle man wissen, was mit einem so wichtigen Zulieferer passiere, um eine "nachhaltige Gefährdung unserer Lieferkette nach Möglichkeit zu reduzieren".

Grammer erklärt Ähnliches. Dabei sei die Angst vor dem Investor Hastor unbegründet, sagt Anwalt Bub. Die Prevent-Gruppe strebe "heute" keine Mehrheit oder Übernahme an, sondern wolle die "Performance" verbessern. Dafür habe man die Expertise. Die Frage sei doch, so Bub: Wo ist Ursache und wo ist Wirkung? "In Deutschland entzündete sich vieles an dem gekündigten Auftrag für Sitzbezüge für den Porsche Cayenne und den VW Touareg: Ein Auftrag über 500 Millionen Euro wurde gekündigt, das kommt vor." Als die Prevent-Gruppe im vergangenen Sommer 31 Millionen Euro gefordert habe für die bereits getätigten Investitionen, habe es jedoch von VW geheißen: Wir haben keine Zeit, uns darum zu kümmern. "So geht man nicht mit kleinen Kunden um", sagt der Anwalt.

In der Sache stecke "sehr viel Emotion bei allen Beteiligten", sagt Bub - und vermutet, dass auch anderes bei VW für Ärger gesorgt habe: Die Hastors hatten kurz zuvor Wettbewerber gekauft, darunter den Sitzbezug-Hersteller - ohne VW um Erlaubnis zu fragen. "Aber besteht dazu die Pflicht?", fragt Bub. Es ist nicht unwahrscheinlich. Denn das Verhältnis zwischen den Autobauern und ihren Lieferanten ist oft angespannt: Die Auftraggeber gestehen nur geringe Margen zu und fordern Jahr für Jahr eine höhere Produktion fürs gleiche Geld. Ein hartes Geschäft.

Deswegen ist auch Sympathie wahrnehmbar bei anderen aus der Branche: Endlich zeigt es mal jemand VW, zumal der Konzern als Folge des Dieselskandals seine Lieferanten ordentlich drückt. Tatsächlich haben weder BMW noch Daimler derzeit solche Probleme mit Firmen der Prevent-Gruppe. Und doch betrachtet man auch in München und Stuttgart den Konflikt mit Sorge. Denn der Streit reicht weiter: bis nach Brasilien. Seit März 2015, also noch vor dem Auffliegen des Dieselskandals, hätten von Prevent beherrschte Firmen immer wieder ihre Lieferungen in Brasilien eingestellt, heißt es bei VW. Mehr als ein halbes Dutzend Zulieferfirmen habe Prevent gekauft in den vergangenen Jahren, etwa Fameq, Cavelagni oder Mardel. Und dann sei immer wieder das Folgende passiert: Betriebsunterbrechungen, gefolgt von Preiserhöhungen. Und weil alles stockte, protestierten dann immer wieder die Arbeiter. Die Folgen waren weit gravierender als in Deutschland. Etwa 160 Tage hätten Fabriken stillgestanden. 150 000 Autos hätten so nicht gebaut werden können.

Schwer zu durchschauen, was das sollte. Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hat versucht, das zu verstehen. Sie rief zu einem Krisengipfel, und ihre Beamten recherchierten aufwendig. Eigentlich kein schlechtes Umfeld für die Hastors, denn ihr Anwalt Bub ist bestens verdrahtet in der Staatsregierung. Und dennoch fiel das Urteil negativ aus. Weil nie ein Mitglied der Familie Hastor der Einladung ins Ministerium Folge leistete. Weil die Vertreter keine überzeugende Strategie vorlegen konnten: "Hastor veranstaltet einen unverantwortlichen Machtpoker auf dem Rücken des Unternehmens und seiner Mitarbeiter", sagt Aigner. Die Weigerung der Familie, vor der Hauptversammlung zu tragfähigen Lösungen bei Grammer zu kommen, "ist mit meinem Verständnis eines guten Kaufmannes unvereinbar". Auch das klingt nach: Sorge.

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