Autoindustrie:Tricks am Tank

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Forscher werfen den Herstellern vor, den Spritverbrauch immer dreister zu frisieren. Für Kunden bedeutet das jährlich Hunderte Euro Mehrkosten. Auch die Umwelt zahlt einen hohen Preis.

Von Markus Balser, Berlin

"Geben Sie sich nicht mit Mittelmaß zufrieden", säuselt Volkswagen in einem aktuellen Brief an seine Kunden. "Sie haben nur das Beste verdient", findet der Konzern und preist seine "Topversionen" von Polo und Golf als "Luxus für den Alltag". Und das Ganze selbstverständlich mit besten Verbrauchswerten. Sparsame 5,3 Liter auf 100 Kilometer soll ein neuer Golf verbrauchen. CO₂-Emissionen dabei: 122 Gramm. Dass solche Angaben oft das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen, machte am Donnerstag eine neue Untersuchung jener Forscher klar, die schon die VW-Affäre mit aufgedeckt hatten. Jedes Jahr messen die Prüfer des International Council on Clean Transportation (ICCT) nach. Doch noch nie sei die Kluft zwischen realem Kraftstoffverbrauch und dem vom Hersteller angegebenen Testverbrauch so groß gewesen wie jetzt, teilte die Organisation mit. Noch vor zehn Jahren seien die realen Werte um 15 Prozent abgewichen. 2013 seien es schon 25 Prozent gewesen - inzwischen liege der Wert bei 42 Prozent. Für die Studie wurden eine Million Daten von Autos der Jahre 2001 bis 2015 verwendet. Sie beruhen auf den Angaben von Leasingfirmen. Auch Daten von Spritverbrauchsportalen und Fachmagazinen fließen ein.

Die Kritik trifft vor allem die Hersteller der teuren Autos

Die Folgen der Abweichungen sind gravierend. Für Autofahrer seien dadurch im Durchschnitt Mehrausgaben für Kraftstoff von rund 450 Euro pro Jahr verbunden, erklären die Prüfer. Auch dem Staat dürften so hohe Summen entgehen. Denn die Kfz-Steuer wird auch nach dem Verbrauch berechnet. Und außerdem belasten die Fahrzeuge die Umwelt stärker als bisher angenommen. Denn damit steigen auch die CO₂-Werte deutlich an - im Kampf gegen die Erderwärmung ein Bärendienst.

Neu ist das Phänomen nicht. Dass getrickst wird, ist schon länger bekannt. Doch der Politik gelingt es bislang nicht, dem Treiben ein Ende zu setzen. Erst am Wochenende waren verheerende Testergebnisse des Kraftfahrtbundesamts mit teils ähnlichen Diskrepanzen bekannt geworden. Fast 30 von gut 50 Fahrzeugen waren auffällig. Die Prüfer hatten dabei die Laborwerte der Branche mit eigenen Labormessungen verglichen und massenhaft Abweichungen festgestellt. So stieß etwa ein Golf auf dem Rollenprüfstand 148 anstatt der angegebenen 129 Gramm CO₂ aus.

Wie bei Nachmessungen so deutliche Unterschiede zustande kommen können, erklären Prüfer von ICCT zum großen Teil mit gezielter Schönfärberei. Die Hauptursache der Diskrepanz sieht ICCT-Europa-Chef Peter Mock darin, dass die Autokonzerne "immer systematischer Schlupflöcher in der bestehenden Regulierung ausnutzen". So würden zahlreiche für den Prüfstand verwendete Wagen gezielt für die Testsituation optimiert. Hersteller könnten beispielsweise die Reifen eines Fahrzeugs speziell für den Test präparieren oder die Batterie des Fahrzeugs vor dem Test voll aufladen. Gesetzlich verboten ist das nicht. Es spiegele aber eben nicht das reale Fahrverhalten wider, warnt Mock. Auf der Straße hätten die Fahrzeuge dann teils ganz andere Verbrauchswerte.

Schwere Vorwürfe machen die Prüfer den Herstellern besonders teurer Autos. Im Premium-Segment liege die Abweichung sogar bei 50 Prozent. Die Autobranche dementiert die Ergebnisse nicht. Sie gelobt, wie schon seit Jahren, Besserung. Dass es grundsätzliche "ärgerliche Unterschiede zwischen Labor- und Straßenwerten" gebe, sei seit Langem klar, erklärte der Branchenverband VDA in Berlin. Die ab 2017 geplanten Straßenmessungen und genaueren Bedingungen für Prüfstandstests würden solche Diskrepanzen in Zukunft verringern. "Der Verbraucher bekommt mehr Verlässlichkeit."

Selbst dem meist industriefreundlichen ADAC reißt inzwischen der Geduldsfaden. Der Autofahrer-Club pocht auf deutlich schärfere und konsequentere Vorschriften für die neuen Abgastests, damit sich die Kluft zwischen Verbrauchswerten im Prospekt und auf der Straße endlich schließt. Die Politik sei gefordert, die Standards der neuen Messverfahren ab dem nächsten Jahr strikt auszulegen. So strikt, dass "Optimierungen" nicht mehr möglich seien. Für die Umweltorganisation Greenpeace ist die Glaubwürdigkeit der Autobranche ohnehin schwer beschädigt. Die Industrie stehe vor einem Scherbenhaufen. Den Kunden geht es nicht anders. Die Branche lehnt bislang eine Entschädigung für Tricksereien ab. Rechtlich gesehen bewegen sich die Hersteller in einer Grauzone. Tests unter Realbedingungen sind erst ab dem kommenden Jahr bei der Typ-Zulassung von Autos in Europa Pflicht. Probleme allerdings könnten die Hersteller bekommen, wenn sich der Verdacht erhärtet, dass auch Laborwerte geschönt waren. Kunden könnten dann bei deutlichen Abweichungen sogar das Recht bekommen, Fahrzeuge zurückzugeben.

Schon wieder der Tank leer: Autos verbrauchen meist mehr Sprit, als die Hersteller behaupten. (Foto: Johannes Simon)
© SZ vom 18.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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