Autoindustrie:Ermittlungen gegen Daimler ausgeweitet

Vorstellung Mercedes Sprinter

Daimler-Chef Dieter Zetsche gerät immer mehr in Bedrängnis. Wie war das wirklich mit den Abgastests? Die Staatsanwälte wollen das nun ganz genau wissen.

(Foto: dpa)
  • Die Staatsanwaltschaft weitet ihre Ermittlungen gegen Daimler wegen manipulierter Abgaswerte "in technischer Hinsicht" aus.
  • Mittlerweile ist auch ein dritter Motor von den Ermittlungen betroffen.
  • Daimler könnte so endgültig in den Strudel der Affäre geraten.

Von Markus Balser, Berlin, Thomas Fromm und Klaus Ott

Die ungebetenen Besucher kamen früh und in großer Zahl. Mehr als 230 Staatsanwälte und Polizisten filzten vor fast genau einem Jahr das Daimler-Werksgelände in Stuttgart. Dem Durchsuchungsbeschluss zufolge soll Daimler fast ein ganzes Jahrzehnt lang in Europa und den USA Autos mit unzulässig hohem Schadstoffausstoß verkauft haben. Von bis zu einer Million betroffenen Autos war die Rede. Politiker und Kunden fragten sich: Bahnt sich ein zweiter Fall VW an? Dann wurde es still um das Verfahren mit dem Aktenzeichen 260 Js 28161/17. Die Vorwürfe in der Abgasaffäre um Daimler schienen sich zu erledigen.

Doch nun wird schlagartig klar: Von erledigt kann keine Rede sein. Zuerst zitierte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Daimler-Chef Dieter Zetsche am Montag wegen neuer Vorwürfe ins Ministerium. Und auch die Strafverfolger haben nach Informationen der Süddeutschen Zeitung ihre Aktivitäten ausgedehnt. "Die Daimler-Ermittlungen sind in technischer Hinsicht ausgeweitet worden", sagt der Stuttgarter Staatsanwalt Heiner Römhild. Daimler wollte das offiziell nicht kommentieren.

Die Ermittler bestätigen dagegen auf Anfrage, dass inzwischen auch wegen des Motors OM 622 bei Daimler ermittelt wird - jenes Antriebs also, der vergangene Woche zum ersten amtlich verordneten Rückruf bei Daimler im Dieselskandal geführt hat - und zum Streit mit Scheuer. Zuerst waren zwei andere Motoren von den Ermittlungen betroffen.

Was technisch klingt, könnte zur ernsten Bedrohung werden. Der Konzern könnte damit endgültig in den Strudel der Affäre gezogen werden. Denn dem Unternehmen wurde mit dem Rückruf von weltweit 5000 Vito-Transportern durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) nicht nur erstmals von deutschen Behörden amtlich der Einsatz einer illegalen Abschalteinrichtung attestiert. Auch die Gefahr milliardenschwerer Strafzahlungen wächst.

"Eigentlich müsste längst alles auf dem Tisch liegen"

Zuerst hatten sich die Ermittler auf die Motoren OM 642 und OM 651 konzentriert, die in mehreren Fahrzeugserien verbaut sind, und kamen bereits auf eine Million Verdachtsfälle. Die 5000 Vitos fallen zwar kaum ins Gewicht. Der verärgerte und misstrauisch gewordene Verkehrsminister lässt nun weitere Modelle prüfen, in denen die Motoren verbaut sein könnten. Ins Visier geraten ist auch der Schwestermotor des OM 622, der OM 626, der in der C-Klasse verbaut wurde. Bislang habe es hier allerdings noch "keine offizielle Prüfung" gegeben, heißt es in Stuttgart. Offen wundern sich Spitzenbeamte in Berlin in diesen Tagen darüber, dass Daimler noch immer keine Klarheit schaffen könne, obwohl doch auch der neue Verdacht schon seit Monaten kursiere.

"Die haben es immer noch nicht verstanden", sagt einer. "Eigentlich müsste längst alles auf dem Tisch liegen." Was zum aktuellen Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes geführt habe, sei zuvor schon "Gegenstand unserer Ermittlungen" gewesen, heißt es bei den Ermittlern in Stuttgart. Man sei wegen des Motors OM 622 bereits seit Monaten im Gespräch mit dem KBA, heißt es in Konzernkreisen. Es seien "Fragen und Antworten ausgetauscht" worden. Wegen der noch offenen Fragen habe man gar nicht aktiv werden können: Man könne nicht Motoren verändern, ohne sich abschließend "mit dem KBA abgestimmt zu haben".

Hier die Bösen - da die Braven: Es ging Daimler immer darum, sich von VW abzugrenzen

Viel Zeit bleibt Daimler nun nicht mehr. Binnen 14 Tagen muss der Konzern dem Verkehrsminister jetzt eine Liste mit allen betroffenen Fahrzeugen vorlegen. Bei Daimler und in der Bundesregierung weiß man, was da gerade auf dem Spiel steht. Wie kaum eine andere Marke steht Daimler für "Made in Germany". Konzernchef Dieter Zetsche ist einer der wenigen deutschen Top-Manager internationalen Formats. Einer, der sich selbst und dem gesamten Unternehmen im Abgasskandal eine weiße Weste bescheinigte: Er hatte 2016 erklärt: "Bei uns wird nicht betrogen, bei uns wurden keine Abgaswerte manipuliert."

Hier die Bösen - da die Braven. Es ging Daimler von Anfang an darum, sich von Volkswagen möglichst deutlich abzugrenzen. Doch genau das fällt Daimler nun immer schwerer. Zwar bestreitet das Unternehmen die hiesigen Vorwürfe und will vor Gericht dagegen vorgehen. Doch auch die amerikanische Justiz prüft, ob die Stuttgarter wie VW dortige Behörden getäuscht haben. Daimler bestreitet auch das vehement. Nachdem deutsche Behörden Daimler nun illegale Abschalteinrichtungen vorwerfen, wird es immer schwerer für den Konzern, in den USA das Gegenteil zu beteuern. Sollte Daimler ähnlich wie VW den Schadstoffausstoß illegal beeinflusst haben, drohen nicht nur in Deutschland Ordnungsgelder von 5000 Euro je Fahrzeug. In den USA könnten die Konsequenzen noch dramatischer ausfallen.

Die Ermittlungen der Stuttgarter Strafverfolger laufen derweil auf Hochtouren weiter. Sieben Staatsanwälte wühlen sich durch die Akten und bemühen sich um Aufklärung bei Daimler, Bosch und Porsche. Im Fall Daimler ermittelt die Staatsanwaltschaft nach wie vor gegen zwei Beschäftigte wegen des Verdachts, Autokunden seien mit verbotener Werbung in die Irre geführt und betrogen worden. Offenbar arbeiten deutsche und internationale Behörden in dem Fall eng zusammen.

Besonders brisant für Daimler: "Es gibt auch mit ausländischen Behörden einen Austausch", teilen die Ermittler mit. Um welche Behörden es sich handelt, sage man jedoch aus ermittlungstaktischen Gründen nicht. So bleibt offen, ob sich die Deutschen mit den US-Behörden austauschen - oder aber auch mit der französischen Seite. Hier war bereits der Daimler-Partner Renault-Nissan wegen des Verdachts der Abgasmanipulation ins Visier der Behörden geraten; auch Durchsuchungen hatte es dort bereits gegeben. Pikant an der jetzigen Lage: Daimler bezieht viele seiner Motoren von dem französischen Partner.

Zufall oder nicht: Daimler hatte bereits im Februar seine Rückstellungen für rechtliche Risiken aufgestockt - um weitere 1,2 Milliarden Euro auf die Riesensumme von 17,2 Milliarden Euro. Insider berichten nun, dass dies zuletzt nicht noch weiter aufgestockt wurde - es gebe "keine veränderte Risikovorsorge". Das kann bedeuten, dass man keine neuen Risiken sieht. Oder aber, dass man die Risiken, die jetzt gerade hochkommen, schon vor Monaten gesehen hat. In Berlin fragen sich Verkehrspolitiker, warum die Autohersteller sich überhaupt solchen rechtlichen Risiken ausgesetzt haben. Auch bei den Daimler-Ermittlungen geht es um den Verdacht, die Schadstoffreinigung sei bei den offiziellen Messungen der Behörden auf einem Prüfstand ein- und auf der Straße weitgehend ausgeschaltet worden.

Konkret geht es um den Einsatz von Ad-Blue, das giftige Stickoxide neutralisiert. Weil man den Kunden ein ständiges Nachfüllen dieses Gemisches aus künstlichem Harnstoff und Wasser möglicherweise nicht zumuten wollte, soll es bei Daimler laut Durchsuchungsbeschluss einen Modus "Alternative Vorsteuerung" gegeben haben, der den Verbrauch der Lösung drastisch reduzierte. Wer hier getrickst habe, könne für etwas Bequemlichkeit der Kunden nun einen hohen Preis zahlen, sagt ein Beteiligter.

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