Autoindustrie:Das ist das Gute am Dieselskandal

Verkehr auf Kölner Autobahnring

Noch verdienen die Autohersteller ihr Geld mit konventionell betriebenen Fahrzeugen. Beim Elektroauto dürfen sie nun den Anschluss nicht verlieren.

(Foto: dpa)

Ohne ihn hätte in der deutschen Autoindustrie vielleicht nie ein Umdenken stattgefunden. Die Hersteller haben diesen Weckruf gebraucht - aber sie müssen jetzt vorsichtig sein.

Kommentar von Caspar Busse

Die Aktionäre von Volkswagen sind sauer, und zwar mit Recht. Der Skandal um manipulierte Dieselfahrzeuge hat den Autobauer aus Wolfsburg in eine tiefe Krise gestürzt. Wie ernst die Lage bei Deutschlands größtem Unternehmen wirklich ist, kann heute, acht Monate nach Beginn des Skandals, kaum jemand mit Sicherheit sagen. Wie hoch werden Strafzahlungen ausfallen? Wie viel Schadenersatz muss geleistet werden? Wie beschädigt ist das Image von VW wirklich?

Auf all das gab es auch an diesem Mittwoch bei der Hauptversammlung in Hannover keine endgültige Antwort. Fest steht bislang nur, dass das Krisenmanagement katastrophal ist. Hans Dieter Pötsch soll als Vorsitzender des VW-Aufsichtsrat den Skandal jetzt aufarbeiten, dabei war er selbst als Finanzvorstand jahrelang ein wichtiger Teil des Systems gewesen. Ein größerer Interessenskonflikt ist nicht möglich. Wie soll der Skandal da glaubwürdig aufgeklärt werden?

Diese Krise ist die wohl größte, die die gesamte deutsche Autoindustrie seit Kriegsende durchmacht. Und trotzdem: Sie hat etwas Gutes. Denn sie führt endlich zu einem grundsätzlichen Umdenken. Der Sinneswandel ist überfällig und kommt spät, aber immerhin, er kommt. Der Dieselskandal bei VW war so etwas wie ein Weckruf für viele deutsche Automanager, die es sich in den vergangenen Jahrzehnten bequem gemacht und auf ihren ja durchaus vorhandenen Erfolgen ausgeruht hatten. Lediglich BMW experimentiert bereits mit E-Autos und wurde dafür von der Konkurrenz oft belächelt. Und jetzt?

Wer hätte das noch vor einem Jahr gedacht? Volkswagen stellt plötzlich öffentlich den Dieselmotor infrage und kauft sich beim kleinen Start-up-Unternehmen Gett ein, einem Konkurrenten des Taxianbieters Uber. Bislang wurden solche Unternehmen in Wolfsburg mit Nichtachtung gewürdigt. Auch Daimler reagiert. Konzernchef Dieter Zetsche gibt plötzlich öffentlich den Erneuerer, will den Konzern radikal umbauen und künftig vor allem auf neue Elektromodelle setzen. Alternative Antriebe sind auf einmal groß in Mode - überall.

Der Dieselskandal hat vieles in Bewegung gebracht, mehr als der Druck von neuen Konkurrenten wie Tesla, mehr als alle öffentlichen Appelle und Aktionsprogramme der Politik zuvor. Lange hatte die Bundesregierung zum Beispiel versucht, die deutsche Autoindustrie für Elektromobilität zu begeistern. Kanzlerin Angela Merkel gab vor Jahren das Ziel aus, dass bis 2020 mindestens eine Million E-Autos auf deutschen Straßen unterwegs sein sollen. Vergeblich. Die deutsche Industrie zeigte sich unbeeindruckt, sie setzte immer weiter auf meist auch noch PS-starke Benzin- und Dieselfahrzeuge und bestand zuletzt auch noch auf einer staatlichen Förderung von E-Autos.

Das enge Verhältnis von Politik und Autoindustrie ist jetzt ein Thema

Nun ist alles anders, über vieles wird neu nachgedacht. Das allzu enge Verhältnis zwischen Politik und Autoindustrie etwa wird diskutiert. Die strikten hierarchischen Strukturen in der Industrie werden infrage gestellt. Neue Mobilitätskonzepte sind ein Thema. Es gibt beispielsweise Pilotversuche für autonomes Fahren.

Der Sinneswandel ist auch dringend geboten. Die Digitalisierung und der rasche technologische Wandel können nämlich zu einem durchgreifenden Umbruch führen. Konzerne wie Google und Apple bringen sich schon in Stellung, Tesla entfacht mit seinen E-Autos einen Hype, von dem europäische Hersteller nur träumen können. Eine relativ kleine Firma wie Uber wird mit rund 70 Milliarden Dollar bewertet. Künftig wird es nicht mehr nur um den Bau von perfekten Fahrzeugen gehen, sondern um Mobilitätskonzepte. Die traditionsreichen Autohersteller wie VW, Daimler und BMW müssen aufpassen, dass sie nicht abgehängt werden. Vielleicht heißt es irgendwann in der Zukunft, dass dieser Dieselskandal der Wendepunkt war.

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