Autobranche in Not:"Billigauto könnte aus Deutschland kommen"

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Zukunft der Autoindustrie: Engelbert Westkäm- per, Chef des Fraunhofer-Instituts für Automatisierung, über Fehler - und Fortschritte.

Hans von der Hagen

Engelbert Westkämper leitet das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) und ist zugleich Chef des Instituts für industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb an der Universität Stuttgart. In beiden Instituten werden unter anderem Technologien und Konzepte für den Automobilbau entwickelt.

Engelbert Westkämper: Die Deutschen sind mittlerweile die Ingenieure der automobilen Welt (Foto: Foto: oH)

sueddeutsche.de: Die Automobilindustrie steht derzeit schwer unter Druck - und nicht alle Probleme lassen sich auf die Finanzkrise zurückführen. Was wurde falsch gemacht?

Engelbert Westkämper: Zunächst muss man festhalten, dass in der Autoindustrie in den vergangenen fünf bis zehn Jahren im technischen Bereich enorme Fortschritte erzielt wurden. Die Deutschen sind mittlerweile die Ingenieure der automobilen Welt. Das lässt sich gut an Opel belegen: Ein großer Teil der technischen Entwicklungen bei General Motors, vor allem im Bereich der kleinen Fahrzeuge, wurde von Opel gemacht. Ähnlich ist es bei Ford. Natürlich kann man sich fragen, ob die Industrie nicht viel früher neue Fahrzeugkonzepte hätte präsentieren müssen, etwa den Hybridantrieb. Vielleicht hat sie das verpasst - vielleicht ist es aber auch falsch, auf diese Technik zu setzen.

sueddeutsche.de: In den USA und Japan wird es gemacht ...

Westkämper: ... hier auch, aber der technische Aufwand für die Technologie ist außergewöhnlich hoch und der Kostendruck in der Produktion ist enorm. Echte Zukunftstechnologie steckt in den Vollelektrikfahrzeugen. Hier beginnt jetzt die Automobilindustrie, sie nach vorne zu treiben.

sueddeutsche.de: Bislang glänzt die Autoindustrie aber vor allem mit Fahrzeugen, die eher Trutzburgen denn Autos gleichen. Fällt sie damit jetzt in der Wirtschaftskrise nicht zwangsläufig auf die Nase?

Westkämper: Sicherlich sind nach dem allgemeinen Gesellschaftsempfinden die Fahrzeuge zu groß. Andererseits werden in diesen Modellen neue Techniken zuerst eingesetzt und die Unternehmen können sie sich in dieser Wagenklasse gut bezahlen lassen. Diese Entwicklungsstrategie ist nicht unbedingt falsch, man kann aber der Industrie sicher empfehlen, sich auf den unteren Fahrzeugbereich einzustellen. Doch das größte Problem ist: Es werden zu viele Fahrzeuge gebaut und die verfügbaren Kapazitäten sind zu hoch. Es gibt schlicht zu viele Fabriken, sowohl in den USA als auch in Deutschland und Japan. Darum fahren die Unternehmen in Verlustzonen hinein.

sueddeutsche.de: 1993 holte Volkswagen José Ignacio Lopez von General Motors und setzte damit auf das Prinzip: Kostendrücken beim Zulieferer. Funktioniert das 15 Jahre später auch noch?

Westkämper: Sicher nicht. Die Renditen im Zuliefererbereich sind schon jetzt miserabel. Ich mache mir große Sorgen um diese Betriebe. Sie können die Probleme der Hersteller nicht kompensieren. Die hohen Fixkosten für den Maschinenpark treiben sie in die Pleite.

sueddeutsche.de: Damals lernten die Deutschen von den USA - mittlerweile scheinen aber die Firmen wie General Motors technisch weit zurückzuliegen.

Westkämper: Der Druck durch die Rahmenbedingungen in Deutschland - die höchsten Lohnkosten und die kürzesten Arbeitszeiten - war so groß, dass die Deutschen gezwungen waren, besonders effiziente Techniken zu entwickeln. Und die werden mittlerweile in fast jeder Automobilfabrik weltweit eingesetzt, die Vereinigten Staaten haben praktisch keine eigenen Fabrikausrüster mehr. Technisch gibt es in den Automobilfabriken weltweit kaum noch Unterschiede, aber die Produktivität ist in den USA weit schlechter - sie dürfte allenfalls halb so hoch wie in Deutschland sein.

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sueddeutsche.de: Gleiche Maschinen, aber geringere Produktivität - wie geht das zusammen?

Westkämper: Die Qualifikation der Facharbeiter ist in den USA geringer, das ist sicher der Hauptgrund. Aber man ist dort auch weniger bereit, bei der Produktion in die technischen Grenzbereiche zu gehen - beispielsweise die Fertigungsprozesse in Hochgeschwindigkeit abzuwickeln. Auch dürfte in den USA der Automatisierungsgrad geringer sein.

sueddeutsche.de: Die vergleichsweise kurzen Arbeitszeiten der Metaller haben demnach die Produktion in Deutschland effizienter gemacht ...

Westkämper: Dieser Druck hat in der Tat die Firmen gezwungen, hier immer die besten Techniken einzusetzen. Daher bin ich durchaus optimistisch für die Automobilindustrie, wenn die strukturellen Probleme - etwa die Überproduktion - bereinigt werden.

sueddeutsche.de: Lange Jahre wurde erbittert über die hohen Lohnkosten in Deutschland diskutiert. Zumindest in der Autoindustrie wird in der letzter Zeit weniger geklagt. Sind die Produktivitätsvorteile in Deutschland so hoch, dass die Lohnkosten nicht mehr ins Gewicht fallen?

Westkämper: Der Anteil der Lohnkosten an den Personalkosten ist immer geringer geworden. Das Entgelt für die Mitarbeiter in der Produktion gilt in vielen Bereichen nicht mehr als der kritische Faktor.

sueddeutsche.de: Die Produktion kann also im Land bleiben?

Westkämper: Nein, vielmehr muss man der Wirtschaft raten, dort zu produzieren, wo die Kunden sind. Eine moderne Autofabrik können Sie mittlerweile überall errichten. Ich habe in China einige Fabriken gesehen, die stehen den deutschen Fabriken in nichts mehr nach.

sueddeutsche.de: Mit der "atmenden Fabrik", also einer hochflexiblen Produktion, wollte die Wirtschaft schnell auf Nachfrageschwankungen reagieren können. Geht das Konzept jetzt auf?

Westkämper: Nein, bei einem Nachfrageeinbruch dieser Größenordnung kann das nicht funktionieren. Die Idee von der atmenden Fabrik scheitert an der Realität. Vor allem, weil die Technik derart teuer ist, dass die Kapazitäten voll und konsequent ausgenutzt werden müssen. Bei Nachfrageeinbrüchen um 20 oder 30 Prozent müssten sie nicht nur Personal reduzieren, sondern auch Maschinen. Aber das geht nicht. Die Erwartung, dass die Autofabriken hochflexibel werden könnten, ist nicht erfüllbar.

Lesen Sie weiter, warum japanische Hersteller enorme Kosten sparen.

sueddeutsche.de: Die japanischen Fabriken können billiger produzieren. Was machen sie besser?

Westkämper: Technik und Ausstattung sind weit stärker standardisiert als bei deutschen Herstellern. Die bedienen den Markt nicht mit zahllosen Modellvarianten und einer individualisierten Produktion, sondern mit Massenware. Das spart enorme Kosten. Da haben die Deutschen in der Modellpolitik einiges falsch gemacht und damit Märkte aufgegeben, die nun von den Japanern bedient werden. Gerade im Kleinwagenbereich.

sueddeutsche.de: Der zu Renault gehörende rumänische Billigautohersteller Dacia erzielt auch in der Krise neue Zulassungsrekorde. Könnten die Billigautos auch aus Deutschland kommen?

Westkämper: Selbstverständlich! Volkswagen macht vor, wie das gehen könnte. Das Unternehmen hat einen hervorragenden Ansatz gefunden: Die Qualität ist gut, die Stückzahlen hoch und trotzdem haben die Fahrzeuge noch einen gewissen Stil, der den gesellschaftlichen Interessen entspricht.

sueddeutsche.de: Aber Volkswagen ist kein Billigauto...

Westkämper: Das kommt drauf an. Sie können jedes Fahrzeug zum Hightech-Auto machen. Aber muss jeder Kleinwagen einen 200-Kilowatt-Motor haben? Muss dem Kunden immer eingeredet werden, er brauche eine komplette HiFi-Anlage? Es gibt viele technisch interessante Ansätze in den Autos, aber sie machen die Fahrzeuge teuer. Es wäre ein Leichtes, sie wegzulassen.

sueddeutsche.de: Wie billig könnte ein deutsches Auto sein?

Westkämper: Es ließe sich für weniger als 10.000 Euro auf den Markt bringen - und das bei einem attraktiven technischen Niveau.

sueddeutsche.de: Warum kommt es nicht?

Westkämper: Die Autohersteller trauen sich nicht, die technische Ausstattung ihrer Fahrzeuge zu reduzieren und eine entsprechende Marketingstrategie aufzubauen. Volkswagen hat das mal versucht - aber die Kunden machten nicht mit.

sueddeutsche.de: Wie sieht die Autofabrik der Zukunft aus?

Westkämper: Die Hersteller müssen vermehrt auf nachhaltige Produktion setzen. Da lässt sich noch viel Energie und Material einsparen. Wenn sich die europäischen Unternehmen nicht umstellen, können sie sich aus der Produktion verabschieden. Aber auch die Kunden könnten einen Beitrag leisten zur Nachhaltigkeit leisten - beispielsweise beim Thema Fahrzeuglackierung. Sie ist sehr teuer und frisst viel Energie. Und dann stellen immer noch einige Kunden ihr Fahrzeug in die Sonne und suchen nach der kleinsten Unregelmäßigkeit.

sueddeutsche.de: Das grüne Auto muss demnach von den Kunden ausgehen?

Westkämper: Aber hallo! Von wem sonst?

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