Autobiografie:Mann ohne Makel

Deutschlands prominentester Wirtschaftshäftling hat ein Buch über seine Zeit im Gefängnis geschrieben. Thomas Middelhoff arbeitet sich an allen ab - nur nicht an sich selbst.

Von Uwe Ritzer

Die Häme ist ihm sicher und wieder einmal trifft sie ihn mit voller Wucht. Thomas Middelhoff, 64, wird seit ein paar Tagen wieder förmlich angespien, aus sozialen Netzwerken, Internetportalen und einigen Medien heraus. Aber er kennt das ja. Der Mann, der den Medienriesen Bertelsmann und den Handelskonzerns Arcandor führte, der Hunderte Millionen verdiente, auf größtmöglichem Fuß lebte und bevorzugt in Privatjets flog, personifiziert in der öffentlichen Wahrnehmung wie kein zweiter all das, was viele Normalbürger an Seinesgleichen hassen: Großspurigkeit, Überheblichkeit, Selbstgefälligkeit, Gier, die Arroganz des unanständigen und vielen Geldes.

Über das Steuerversteck von Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel in Liechtenstein ist irgendwann Gras gewachsen. Der umstrittene Ex-Deutschbanker Josef Ackermann ist wieder gern gesehener Gast auf Veranstaltungen. Und wenn Ex-Volkswagen-Chef Martin Winterkorn auf der VIP-Tribüne der Münchner Fußballarena gefilmt wird und sein Bild auf der Stadionleinwand erscheint, sorgt das - Dieselgate hin oder her - kaum für Regung.

Der Mann steht vor den Trümmern seiner Karriere, wenn nicht seines Lebens

Thomas Middelhoff würden sie vermutlich in jedem Stadion der Republik in Pfiffen ertränken, ihn niederbrüllen und volle Bierbecher nach ihm werfen.

Dabei ist der Mann abgestürzt wie kein zweiter und er hat dafür bezahlt. Er wurde verurteilt, kam ins Gefängnis, hat seine Strafe fast verbüßt und er ist inzwischen schwer krank. Er steht vor den Trümmern seiner Karriere, wenn nicht seines Lebens. Nach ihm zu treten, erfordert keinen Mut. Es wäre an der Zeit, mit dem reflexartigen Middelhoff-Bashing endlich aufzuhören.

Das Buch, das Deutschlands prominentester Wirtschaftshäftling geschrieben und diese Woche veröffentlicht hat, wird seine Kritiker allerdings nicht bändigen.

Thomas Middelhoff

"Jahrzehntelang bin ich um den Globus gejagt - auch mir selbst hinterher. Ich suchte wie ein Abhängiger die Anerkennung der Medien, den Zuspruch des Mentors, das Lob des Eigentümers. Das Bild von mir, das ich bei anderen oder in der Öffentlichkeit zeichnen wollte, hatte nichts mehr mit dem Menschen zu tun, der ich eigentlich bin."

"A 115" heißt es, wie Middelhoffs Zelle in der Essener Justizvollzugsanstalt, in der er unmittelbar vom Gerichtssaal aus am 14. November 2014 landete. Frisch verurteilt als Betrüger zu drei Jahren Haft, vieler Privatflüge auf Arcandor-Kosten wegen. Sein Buch beginnt genau an jenem Tag. Er erzählt, wie er sich am Morgen vor der Urteilsverkündung siegesgewiss ins Essener Landgericht chauffieren ließ, etwas anderes als einen Freispruch konnte es für ihn nicht geben. Dass seine Wahrnehmung längst schon verzerrt gewesen sein könnte, davon steht in "A 115" kein Wort.

Vielmehr beschreibt Middelhoff, wie er sich in den Tagen und Wochen danach mühsam mit dem Knastalltag arrangierte. Wie jede Nacht alle 15 Minuten das Licht eingeschaltet und er geweckt wurde, weil die Wächter prüfen wollten, dass sich der prominente Gefangene nicht umgebracht hatte. Wie er - Middelhoff sagt: wegen dieser schlafraubenden Kontrollen - so krank wurde, dass ihm die Haut aufplatzte, sein Immunsystem immer schwächer wurde und sein Herz schwer krank.

"A 115" könnte ein bemerkenswertes Buch über das Innenleben eines Knastes sein, wie es nur wenige gibt. Es könnte eine Anklageschrift gegen untragbare medizinische Zustände im Justizvollzug sein, wenn es denn stimmt, dass man dort - ohne Untersuchung - als Fußpilz diagnostiziert, was eine schwere Immunkrankheit ist. Das Buch rührt an manchen Stellen auch menschlich, etwa wenn der Autor sich wie ein Kind über die Anerkennung von Mitgefangenen freut, nachdem er beim Skat mit einem JVA-Bediensteten ein Tütchen Gummibärchen gewonnen hat. Regelrecht hofiert hätten sie ihn, "wie in meinen besseren Tagen nach einer gelungenen M&A-Transaktion".

Thomas Middelhoff

"Ich kenne die Fallstricke, die Eitelkeit zu knüpfen vermag", schreibt Thomas Middelhoff in seiner Autobiografie. Doch zu einem Schuldbekenntnis mag sich der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Arcandor nicht durchringen.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Das Problem ist nur: Thomas Middelhoff belässt es nicht bei alledem. Nach etwa 200 der 320 Seiten kippt "A 115": Das Buch wird zur persönlichen Abrechnung. Mit dem Richter, dem stellvertretenden JVA-Chef, mit reichen Freunden aus besseren Tagen, die sich an seiner Kaution nicht beteiligen wollen. Sein Ex-Mentor Mark Wössner? Duckte sich feige weg. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, die damalige Justizministerin Brigitte Zypries oder Madeleine Schickedanz, die Quelle-Erbin und Arcandor-Großaktionärin, deren Aussage (Middelhoff schreibt von Lüge) ihm vor Gericht das Kreuz gebrochen hatte. Die Liste der Feinde ist lang und Middelhoff arbeitet sich an allen ab. Manch Name taucht darauf überraschend auf, wie jener von Winfried Holtermüller, jahrelang Middelhoffs Anwalt, auf den er nichts kommen ließ.

So mäandern dieses Buch und sein Autor auf bizarre Weise über verschiedene Wahrnehmungs- und Urteilsebenen hinweg. Thomas Middelhoff belässt es nicht bei Beschreibung und Analysen. Er beschreibt sich als gläubigen Katholiken, der im Knastchor singt und Rosenkranz betet, führt aber hunderte Seiten lang seinen Richter vor, um ihm am Ende scheinbar großmütig zu vergeben. Das wirkt herablassend.

Ein neuer Mensch sei er, voller Tatendrang und offenkundig auch voller selbstverliebtem Pathos, schreibt Middelhoff über Middelhoff. Das alte Selbstbild ist tot, nun muss ein neues her. "Ich kenne die Fallstricke, die Eitelkeit zu knüpfen vermag", schreibt Middelhoff, "sie werden mich nicht mehr fesseln. Ich weiß jetzt, was wichtig ist in meinem Leben - ich habe es gelernt."

Nur eines reflektiert er nicht: Dass nämlich der Aufenthalt in A 115 eine Vorgeschichte hatte. Dass er es womöglich mit der Viel-Fliegerei auf Firmenkosten übertrieben hat. Ihn dafür drei Jahre in den Bau zu schicken, das empfanden selbst Strafrechtler als überzogenes Urteil. Bei ein wenig mea culpa allerdings wäre es womöglich nie so weit gekommen.

Doch Thomas Middelhoff kann bis heute keine Fehler erkennen. Vielleicht ist das sein größtes Problem.

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