Australien:Wie "Work-and-Travel"-Urlauber ausgebeutet werden

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Günstig einkaufen auf Kosten ausländischer Gelegenheitsarbeiter? Auch Coles-Supermärkte kaufen bei Farmen mit "Work-and-Travel"-Arbeitern. (Foto: Bloomberg)
  • Ausländische Gelegenheitsarbeiter sollen auf australischen Farmen unterbezahlt, schikaniert und sogar sexuell belästigt worden sein. Das berichtet ein australisches TV-Magazin.
  • Durch den Missbrauch von "Work-and-Travel"-Arbeitern senken die betroffenen Firmen ihre Produktionspreise. Damit verdrängen sie ihre Mitbewerber vom Markt.
  • "Work-and-Travel"-Urlaube, bei denen sich Reisende mit Gelegenheitsjobs ihren Unterhalt verdienen, sind bei jungen Europäern sehr populär.

Von Christopher Eichfelder

Monatelang nur mit dem Rucksack durchs australische Outback ziehen, sich dabei mit Gelegenheitsjobs auf den Obstfarmen des Landes durchschlagen: Bei vielen jungen Europäern ist das Prinzip "Work and Travel" beliebt. Aber diese romantische Vorstellung kann trügen. Bei großen australischen Lebensmittelproduzenten werden "Work-and-Travel"-Arbeiter offenbar systematisch ausgebeutet. Einem Bericht des investigativen TV-Magazins "Four Corners" zufolge, erhalten Arbeiter teils deutlich weniger als den gesetzlichen Mindestlohn des Landes. Auf einigen Farmen sollen sie sogar beleidigt, schikaniert oder sexuell belästigt worden sein.

Im Mittelpunkt der Vorwürfe der TV-Sendung "Four Corners" stehen zwei landwirtschaftliche Großfirmen. Baiada, einer der größten Geflügelhersteller Australiens und die Covino-Farmen, die zu den größten Produzenten von Gemüse auf dem australischen Lebensmittelmarkt gehören. Beide Unternehmen beliefern große Supermarktketten des Landes: Die Marktführer Woolworths und Coles, aber auch den deutschen Discounter Aldi, der über 300 Filialen in Australien betreibt. Wie Aufnahmen mit versteckter Kamera belegen sollen, werden ausländische Arbeiter weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlt. Auch die regulären Arbeitszeiten werden demnach nicht eingehalten. Teilweise müssten die "Fruitpicker", wie die landwirtschaftlichen Hilfsarbeiter genannt werden, bis zu 18 Stunden pro Tag arbeiten.

Dabei wären sie eigentlich gegen Ausbeutung abgesichert. Der australische Mindestlohn liegt bei etwas mehr als 14 australische Dollar, umgerechnet 10 Euro. Allerdings wird die tägliche Mindestarbeit so hoch angesetzt, dass sie schwer zu erreichen ist. Offenbar halten die Betriebe in vielen Fällen einen Teil des Lohnes zurück oder zahlen regelmäßig einfach gar nicht.

Vorwurf der sexuellen Belästigung

Die Erkenntnisse der TV-Sendung "Four Corners" gehen aber noch weiter. Auf den Farmen sollen Frauen sogar belästigt und zu sexuellen Handlungen genötigt worden sein. Anderen Arbeitern wurde demnach verboten, auf die Toilette zu gehen oder bei der körperlichen Arbeit in der Sonne Wasser zu trinken.

Sebastian Häckl war selbst zwei Jahre in Australien und hat viele Gelegenheitsjobs gemacht. Er kann die Erfahrungen nicht ohne Weiteres teilen. "Sowas habe ich in zwei Jahren Australien nicht einmal von jemandem gehört. Wenn, dann sind das absolute Einzelfälle. Backpacker übertreiben auch gern etwas, wenn sie ihre Reisegeschichten weitererzählen", sagt er. Von belästigten Frauen hat Häckl aber bereits gehört. " Das ging aber nur so weit, dass Hostelbesitzer ihre weiblichen Gäste angegraben und ihnen unmoralische Angebote gemacht haben."

Für Sabine Hopf sind solche Berichte nicht neu. Die Deutsche hilft Urlaubern und Rucksackreisenden auf ihrem Informationsportal www.Reisebine.de, einen Aufenthalt in Australien zu planen. Vor der Ausnutzung von Gelegenheitsjobbern warnt sie schon seit Jahren.

Aus ihrer Sicht ist die Ausbeutung in manchen Fällen von den Reisenden auch selbst verschuldet. "Manche sind sehr unselbstständig und haben nie wirklich gelernt, wie das Leben funktioniert", meint Hopf. "Der ein oder andere lässt sich deswegen auch in solche ausbeuterischen Verhältnisse hineindrängen."

Allerdings ist der Spielraum gering, in dem sich die jungen Leute wehren können. Alleine in der Sommersaison 2012/13 kamen fast 250 000 Work-and-Travel-Reisende nach Australien. Da die meisten Urlauber dann auch arbeiten möchten, haben die landwirtschaftlichen Betriebe relativ freie Hand. Wer Bedingungen nicht akzeptiert, wird schnell ausgetauscht, sagt Moritz Giebel, der selbst nach dem Abitur für ein halbes Jahr in Australien Work-and-Travel machte. "Miese Bezahlung und falsche Versprechen gibt es ständig. Da werden unbedarfte Backpacker ausgebeutet, soweit es eben geht, ohne dass sich jemand beschwert."

Work and Travel-Missbrauch ist eine "nationale Schande"

In Australien sind die Vorfälle zu einer politischen Angelegenheit geworden. Dass Work-and-Travel-Reisende missbraucht würden, sei eine "nationale Schande", sagte Natalie Hutchins, Ministerin für Wirtschaftsbeziehungen im Bundesstaat Victoria. Sie forderte Aufklärung auf nationaler Ebene. Für die Firmen Baiada und Covino sind die Erkenntnisse ausgesprochen unangenehm. Beide Unternehmen kündigten an, die Vorwürfe schnell aufzuklären. Außerdem teilte der Gemüsehersteller Covino mit, dass er "ausdrücklich keine Unterbezahlung oder Ausbeutung billigt".

Doch die Lebensmittelketten profitieren von der günstigen Arbeit der urlaubenden Obstpflücker. Baiada und Covino können ihre Produkte günstiger anbieten und damit Produzenten, die höhere Löhne bezahlen, vom Markt verdrängen. Ein "schmutziges Geheimnis hinter den Produkten", heißt es im TV-Magazin "Four Corners" - das die meisten australischen Kunden aber mitkaufen würden.

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