Ausstieg aus der Atomenergie:Wer anderen Kosten aufhalst, muss dafür gerade stehen

Ausstieg aus der Atomenergie: Die Technologie ist zum unkalkulierbaren Risiko geworden: Ein Kernkraftwerk in Tschechien.

Die Technologie ist zum unkalkulierbaren Risiko geworden: Ein Kernkraftwerk in Tschechien.

(Foto: AFP)

Zum Geldverdienen gut, zum Beseitigen zu teuer: Jahrelang fuhren deutsche Stromkonzerne gut mit der Atomkraft, seit dem Ausstieg sind ihnen die Reaktoren nur noch lästig. Was ist das Verursacherprinzip jetzt noch wert? Ein Lehrstück über unternehmerische Verantwortung.

Von Michael Bauchmüller

Zwischen Goldgrube und Geldgrab liegen mitunter nur wenige Jahre, etwa bei diesem Koloss am Rhein, nicht weit von Darmstadt. Ein grauer Stahlzaun trennt hier das Atomkraftwerk Biblis von der Außenwelt, doch seit drei Jahren passiert hinter dem Zaun nicht mehr viel. Die letzten Brennelemente kühlen im Abklingbecken ab. In der Halle nebenan warten Castorbehälter darauf, irgendwann einmal in ein Endlager verfrachtet zu werden. Zwei massive Reaktordruckbehälter aus Stahl, radioaktiv kontaminiert, wollen zerlegt und sicher verpackt werden.

Eine "grüne Wiese" soll irgendwann dort sein, wo der RWE-Konzern vor 45 Jahren das damals größte Atomkraftwerk der Welt errichten ließ. Heute ist es vor allem eins: ein großes Problem.

Goldgruben, die zu Geldgräbern werden - es gibt sie nun zuhauf: In Krümmel und Brunsbüttel, Unterweser und Neckarwestheim. 17 ausgediente Reaktoren bis 2022, so will es der Ausstiegsplan der Bundesregierung. Es ist ein einzigartiger Feldversuch, eine Probe auf die Versprechen der Industrie. Übernehmen Konzerne Verantwortung auch für Geldgräber? Räumen sie weg, was sie selbst angerichtet haben? Oder gehen sie zugrunde an einer Last, die zum Geldverdienen gut war, aber zum Beerdigen schlicht zu teuer? Wer zahlt dann?

Eigentlich dürfen solche Fragen gar keine Rolle spielen. Es gilt eine Grundregel zivilisierten Zusammenlebens: Wer durch sein ökonomisches Tun anderen Kosten aufhalst, muss dafür geradestehen. Und wer durch sein Tun die Umwelt belastet, muss auch die Folgen beseitigen. Dazu gehört die grüne Wiese in Biblis genauso wie Suche und Bau eines Endlagers, in dem dereinst die radioaktive Hinterlassenschaft sicher aufbewahrt werden muss; und das für nicht weniger als eine Million Jahre.

Dahinter steht das Konzept des "Verursacherprinzips". Der Atomausstieg muss nun zeigen, wie viel dieses Prinzip noch wert ist.

Die Anzeichen mehren sich, dass auch den Betreiberfirmen diese letzte Konsequenz ihres Atomabenteuers zunehmend Respekt einflößt. Daher auch rührt die Idee, das komplette Atomgeschäft einer öffentlich-rechtlichen Stiftung zu überantworten, die dann den restlichen Betrieb der AKWs managt bis hin zu Rückbau und Endlagerung.

Das Kalkül ist klar: Jetzt, da die Technologie zum schwer kalkulierbaren Kostenrisiko wird, soll sie möglichst schnell aus den Büchern verschwinden mitsamt all ihren Risiken. Jahrzehntelang waren die Kernkraftwerke die ertragreichsten Anlagen deutscher Stromkonzerne. Jetzt sind sie ihre schwerste Hypothek.

Dahinter steckt eine feine Ironie der Geschichte. Immer war klar, dass die Kernkraft ein Geschäft zulasten anderer sein würde, in räumlicher wie in zeitlicher Dimension: Die Suche nach einem Endlager überließen Schöpfer, Ingenieure und Bauherren der ersten AKWs künftigen Generationen. Die Folgen eines Atomunfalls würden am Zaun der betroffenen Anlage nicht Halt machen, geschweige denn an Landesgrenzen. Nun aber plagt sich erstmals auch eine Managergeneration der Stromwirtschaft mit den Hinterlassenschaften ihrer Vorgänger. So wird das Gewinnstreben von einst zum Fluch der Gegenwart.

Die Verantwortung zählt dem Visionär im Zweifel wenig

Der Befund ist alles andere als beruhigend. Er belegt, dass sich Vorsätze wie das Verursacherprinzip oder unternehmerische Verantwortung zwar leicht formulieren und begründen lassen, sie aber im Zweifel schnell geopfert sind. Denn stets steht der schöne Vorsatz in einem Spannungsverhältnis zur unternehmerischen Praxis.

Wenn Gewinne winken, sind die Chancen groß und die Risiken fern. Die Entsorgung des Atommülls? Noch lange hin. Die Gefahr eines Nuklearunfalls? Eher unwahrscheinlich, mal mathematisch gesehen. Die Verantwortung zählt dem Visionär im Zweifel wenig und dem Aktionär noch weniger - der kann seine Anteile rechtzeitig verkaufen.

So wird die Mutation zum Geldgrab, zum Lehrstück auch für ein Restrisiko der anderen Art: des Risikos nämlich, dass da am Ende ein milliardenschweres Problem bleibt - aber niemand mehr, der sich dafür verantwortlich fühlt. Denn auch das gehört zum Problem: Womöglich scheitert das Prinzip der Verursacherhaftung schon daran, dass die Haftung den Verursacher zugrunde richtet - gerade weil er die Risiken systematisch unterschätzt hatte.

So hätte es einst dem BP-Konzern im Fall der havarierten Plattform Deepwater Horizon ergehen können, so blühte es der japanischen Atomfirma Tepco nach dem Unglück in Fukushima (wäre nicht der Staat eingesprungen). Und so könnte es auch den deutschen Stromkonzernen bei der Bewältigung des Atomausstiegs ergehen, diesmal ganz ohne Katastrophe. Zwar haben sie insgesamt 36 Milliarden Euro für Rückbau und Entsorgung zurückgestellt, steuerfrei angelegt in Unternehmensbeteiligungen, Wertpapieren oder Kraftwerksanteilen.

Doch die Idee dieser Rückstellungen basierte gewissermaßen auf einem unternehmerischen Kontinuum, das für die Konzerne ein wirtschaftliches und politisches Umfeld ohne größere Brüche vorsah. Nun ist der Bruch da, ausgelöst durch einen radikalen Schwenk weg von der Atomkraft und hin zum Ökostrom. Der Kurswechsel kam nach der Fukushima-Katastrophe, unerwartet schnell, aber er ändert nichts am Problem.

Dieser Bruch unterminiert die Fähigkeit der Firmen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Er hinterlässt tiefe Spuren in den Konzernbilanzen und bedroht auf Dauer auch den Wert jener milliardenschweren Beteiligungen, die eigentlich die Beseitigung der Altlasten finanzieren sollten. Zugleich ist völlig ungewiss, wie viel Rückbau und Entsorgung in Biblis und anderswo verschlingen werden, geschweige denn, wann das Abenteuer Atom endgültig abgeschlossen sein wird. Nicht ausgeschlossen, dass die eine oder andere Betreiberfirma bis dahin verschwunden sein wird, mangels Masse.

Fieberhaft sucht die Branche nach Fluchtwegen. Tatsächlich könnten die Unternehmen über den Umweg einer Stiftung die Risiken aus ihren Büchern verbannen. Zwar müssten sie ihre Rückstellungen dann der Stiftung als Kapital mitgeben. Ob dieses aber alle Folgekosten abdeckt, muss die Unternehmen dann nicht mehr weiter kümmern - die Verantwortung dafür sind sie los.

Stattdessen landen die finanziellen Unwägbarkeiten des Rückbaus bei der öffentlichen Hand. Damit droht ein finanzielles, auch ein ethisches Fiasko: Für die Entsorgung käme so am Ende eine Steuerzahler-Generation auf, die mit dem Einstieg in die Atomenergie so wenig zu tun hat wie mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Und die vom Atomstrom noch nicht mal etwas hatte. Es bleibt der Müll.

So ähnlich läuft es jetzt schon bei der Steinkohle: Auch hier wurden jahrzehntelang Stollen gebaut und Grundwasserpegel abgesenkt - immer im Vertrauen darauf, dass die Erfolgsgeschichte der Steinkohle unbegrenzt weiterginge. Als die Konkurrenz am Weltmarkt sie endgültig zerstört hatte, gingen Werte und Risiken an die RAG-Stiftung.

Aus ihrem Stiftungsvermögen sollen dereinst die "Ewigkeitskosten" des Bergbaus bestritten werden: Sie muss Bergschäden ausgleichen und das Grundwasser in Schach halten. Ob das Geld reichen wird, weiß keiner. Dabei sind die Spätfolgen des Steinkohlebergbaus verglichen mit den Milliardengräbern der Atomwirtschaft geradezu überschaubar.

Jedes Unternehmen haftet für die Folgen seines Tuns

Um Ausflüchte sind die Stromkonzerne nicht verlegen. Die ganze Branche, so beklagte jüngst RWE-Chef Peter Terium, sei "damals von der Politik in die Kernenergie reingetrieben worden". Deswegen trügen die Unternehmen die Verantwortung nicht allein. Und tatsächlich war die Politik anfangs weit stärker an den Kernkraftwerken interessiert als die Stromkonzerne. Gerade RWE war mit seinen Braunkohle-Kraftwerken gut bedient, die Branche fürchtete Überkapazitäten und sinkende Erlöse, sollten die großen Atomkraftwerke an den Markt kommen.

Das alternative Konzept hat einen Namen und viele Vorbilder: Nach uns die Sintflut

Doch die Politik verzichtete auf Zwang, stattdessen lockte sie: mit zinsgünstigen Krediten, reibungslosen Genehmigungsverfahren, politischer Mitsprache. Wo die Unternehmen es früh mit Folgekosten zu tun bekamen, etwa beim Pannenreaktor Niederaichbach oder bei der Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe, fanden sich stets Möglichkeiten, den Unternehmen die Kosten abzunehmen.

Und sei es nur, dass der Versuchsaufbau in Niederaichbach - erstmals wurde hier ein AKW zurückgebaut - kurzerhand zum Forschungsvorhaben deklariert wurde. Dieses Entgegenkommen, mehr aber noch ein Wettlauf zwischen RWE und ihrem Konkurrenten Preussen-Elektra, führte die Republik Ende der 60er-Jahre in die Atomepisode.

So gesehen steht der Vorstoß des RWE-Chefs ganz in der Tradition dieser Branche. Einst sollte die Politik den Weg zum AKW mit günstigen Rahmenbedingungen pflastern, jetzt soll sie für den Rückweg einen Teil Verantwortung übernehmen - es ist nur eine weitere, bittere Ironie der Geschichte. Unternehmerische Verantwortung freilich beweist das nicht.

Deswegen verbietet sich auch jedes öffentliche Entgegenkommen zu diesem Zeitpunkt. Jedes Unternehmen, ob ein Energiekonzern, eine Chemiefabrik oder eine Wäscherei, haftet für die Folgen seines Tuns - sei es für den Rückbau von Kraftwerken oder die Rekultivierung von Braunkohle-Tagebauen, sei es für den Austausch kontaminierter Böden.

Wer die Unternehmen zu einem Zeitpunkt aus der Verantwortung lässt, zu dem sie erstmals für die Folgekosten einstiger Gewinne aufkommen müssen, führt das Verursacherprinzip ad absurdum. Das alternative Konzept hat schon einen Namen und reichlich Vorbilder: Nach uns die Sintflut.

Zum anderen lehrt die Atomerfahrung einiges über den Umgang mit technischem Fortschritt. Wer in neue Technologien einsteigt, braucht auch eine Vorstellung vom Ausweg samt schonungsloser Analyse möglicher Folgekosten. Und wenn ein Unternehmen Rückstellungen bildet, um dereinst seiner Verantwortung gerecht zu werden, dann sollte der Wert dieser Rückstellungen nicht gerade vom Erfolg des zugehörigen Geschäftsmodells abhängig sein, sei es Atomkraft, Braunkohle oder dereinst die Förderung unkonventionellen Gases via Fracking.

Verantwortlich handeln heißt nämlich auch: Erst die Landebahn bauen. Dann losfliegen.

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