Außenwerbung:Der Deutsche mit den meisten Denkmälern der Welt

Außenwerbung: Litfaßsäulen in München, 2011.

Litfaßsäulen in München, 2011.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • In Deutschland stehen heute weit über 50 000 Litfaß-Säulen.
  • Ihr Erfinder, Ernst Litfaß, wurde am 11. Februar 1816 geboren - also vor genau 200 Jahren.

Von Steffen Uhlmann

Zur Einweihung seiner ersten Säule am 1. Juli 1855 in Berlin wurde die "Annoncir Polka" gespielt, die er extra für die Premiere hat komponieren lassen. Und auch er selbst wurde bedichtet: "Mit Lust bleibt das Auge jetzt weilen, was Litfaß gestellt uns hier her! Er baut sich ein Denkmal von Säulen! Na, Litfaß, was willst du noch mehr?"

Aber Ernst Litfaß wollte gar nicht mehr. Vorerst jedenfalls nicht. In zähen Verhandlungen hatte der Druckerei-Unternehmer und Verleger Ende 1854 Berlins Polizeipräsident Karl Ludwig von Hinckeldey die Genehmigung zum Aufstellen von zunächst 150 Anschlagsäulen abgerungen. Litfaß hatte sich damit ein Geschäft erschlossen, das ihn alsbald zum "Reklamekönig und reichen Mann" machte, wie der Berliner Magistrat neidvoll anerkennen musste.

Litfaß brachte die Säulen-Idee von einer Lustreise nach London und Paris mit

Das aber war für Litfaß längst nicht ausgemacht. Bevor er das mittelständische Familienunternehmen vom Stiefvater übernahm, zog der junge Mann, dessen Geburtstag sich Donnerstag dieser Woche zum 200. Mal jährt, als "bunter Vogel" durch die Zeit. Litfaß versuchte sich unter dem Pseudonym "Flodoardo" als Schauspieler und Poet. Später wurde er Produzent, Impresario, Animateur und Veranstalter glamouröser Feste. Schließlich auch Entwickler pfiffiger Ideen, die er meist selbst vermarktete.

Die Idee für sein Säulengeschäft hatte Litfaß von seinen Studien- und Lustreisen nach London und Paris mitgebracht. Dort war ihm die gängige Praxis aufgestoßen, Werbeplakate, Anzeigen, amtliche Bekanntmachungen oder nur private Benachrichtigungen an die nächstbeste freie Fläche zu kleben. Dieser "weitverbreitete Hautkrankheit" der Städte versuchte man in Frankreich und England schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Plakatsäulen Herr zu werden. Und genau da setzte Litfaß nun auch in Berlin an. Der Erfolg war enorm. Die nach ihm benannten Säulen wurden schnell zu Informationszentralen und öffentlichen Treffpunkten in der Stadt, weil selbst Privatpersonen dort für kleines Geld für sich werben oder ihr Mitteilungsbedürfnis befriedigen konnten. Und mit diesem Geschäftsmodell traten die Säulen dann auch ihren Siegeszug durch ganz Deutschland an und begründeten damit Litfaß' Ruhm als "Säulenheiligen" der Reklamewelt.

Nach 150 Papierschichten muss "abgespeckt" werden

Die günstigen Preise und das damit verbundene Geschäftsmodell machen die Litfaßsäule für kleine Firmen und private Unternehmungen, für Theater, Kinos und Kulturveranstalter, für Eventmanager und auch für Parteien auch noch in der digitalen Welt der Tablets und Smartphones zum beliebtesten Werbeträger. Das zeigt schon die Heerschar von weit über 50 000 Säulen auf Deutschlands Straßen.

In Berlin, das mehr als 3 000 Säulen von unterschiedlicher Gestalt beherbergt, kostet die Einzel-Plakatierung auf 100 Säulen pro Woche 700 Euro, bisweilen nicht mal einen Euro pro Tag. "Das macht die Litfaßsäulen gerade für kleine Kultureinrichtungen immens interessant", sagt Marc Bieling, Geschäftsführer des Berliner Werbevermarkters Draussenwerber. Branchenvertreter wie Bieling glauben fest an die Zukunft des Werbe-Dinosauriers, weil sich nach ihrer Ansicht das Leben junger Leute mehr und mehr nach draußen verlagert und sie statt mit dem eigenen Auto, mit Bussen und Bahnen unterwegs sind. - für die Experten fast paradiesische Zeiten für die "Out of home-Werbung".

Die Säulen selbst aber werden mehr und mehr den modernen Zeiten angepasst. Zu der guten alten Litfaßsäule, die noch per Handarbeit beklebt wird und nach ungefähr 150 Papierschichten "abspecken" muss, gesellen sich neue Versionen mit Verglasung, Beleuchtung und digitalen Werbefenstern. Auch die Idee von Litfaß, nach Pariser Vorbild ein Pissoir in der Säule einzurichten, erfährt nun eine Renaissance - zunächst in Nürnberg, das damit nicht nur das Informationsbedürfnis, sondern auch das Bedürfnis wilder Pinkler befriedigen will.

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