Außendienstmitarbeiter unter Verdacht:Razzia bei Ratiopharm

Vertriebsmitarbeiter des Pharmariesen sollen Ärzte bestochen haben, damit sie Ratiopharm-Medikamente verschreiben.

Kristina Läsker und Werner Bartens

Die Ulmer Hersteller von nachgeahmten Arzneien (Generika) wird verdächtigt, Ärzte zum Betrug angestiftet zu haben.

Außendienstmitarbeiter unter Verdacht: Beamten durchsuchten 400 Privatwohnungen von Ratiopharm-Mitarbeitern.

Beamten durchsuchten 400 Privatwohnungen von Ratiopharm-Mitarbeitern.

(Foto: Foto: dpa)

Die Mitarbeiter stünden im Verdacht, Mediziner durch Geld- und Sachleistungen zur Verschreibung von Ratiopharm-Produkten angehalten zu haben, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Wolfgang Zieher der Süddeutschen Zeitung.

Dies wäre Anstiftung oder Beihilfe zur Untreue. Die Mitarbeiter könnten sich auch "zum Nachteil der Krankenkassen strafbar gemacht" haben. Wie viele Ärzte beteiligt sein könnten und ob Arztpraxen durchsucht würden, wollte Zieher mit Hinweis auf laufende Ermittlungen nicht sagen.

Außendienstleiter im Visier

Die Polizei habe nach E-Mails und Briefen gesucht, sagte der Oberstaatsanwalt. Dazu habe sie bundesweit Wohnungen der Außendienstler einbezogen, die 2001 bis 2005 für Ratiopharm gearbeitet hätten.

Schon im November hatte der Staatsanwalt Büros leitender Angestellter und acht Privatwohnungen durchsuchen lassen, um Hinweise zur früheren Vertriebsstruktur der Firma zu bekommen.

Die Staatsanwaltschaft Ulm ist bereits die vierte deutsche Behörde, die zurzeit gegen Bestechung in der Pharmabranche vorgeht. Auch die Münchner Justiz ermittelt in mehr als 3000 Fällen, darunter gegen Ärzte von 850 Kliniken wegen Vorteilsnahme. Betroffen sind die Firmen Fujisawa, Bristol-Myers Squibb, Servier und Amgen. Auch sie haben möglicherweise Ärzte geschmiert.

Bereits 2005 erste Vorwürfe

Ratiopharm (Umsatz 2005: 1,61 Milliarden Euro) war im Herbst 2005 in den Verdacht geraten, in großem Umfang Mediziner "zur missbräuchlichen Verschreibung von Arzneimitteln" gebracht zu haben.

Firmeneigner Adolf Merckle hatte daraufhin Vorstandschef Claudio Albrecht durch seinen Sohn Philipp Daniel Merckle ersetzt. Seine Firma sei an der Aufklärung der Vorwürfe interessiert, ließ dieser mitteilen. Ende 2005 hatte die Staatsanwaltschaft Ulm das Verfahren mangels Beweisen eingestellt. Eine Bürger-Beschwerde brachte aber die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart dazu, die Wiederaufnahme des Falls zu verlangen.

Im Juni feuerten die Merckles Vertriebschefin Dagmar Siebert. "Bei Ratiopharm sind Schecks geflossen, und Rückvergütungen haben stattgefunden. Dass so zäh reagiert worden ist, kann ich nicht begreifen" sagte Gerd Glaeske, Mitglied des Sachverständigenrats für das Gesundheitswesen.

Umkämpfter Markt

Bundesweit werden jährlich fünf Milliarden Euro mit Generika umgesetzt. Die Branche ist geprägt von Preiskampf und dem Wettbewerb um Ärzte. Die Firmen Sandoz-Hexal, Ratiopharm und Stada dominieren die Hälfte des Marktes. "Ratiopharm ist womöglich nur einer von vielen", sagte Oberstaatsanwalt Zieher zu möglichen unlauteren Praktiken.

"Die Einflussnahme der Pharmaindustrie geht quer durch Hausärzteverbände und Fachgesellschaften, sie ist gegen die Interessen der Patienten", sagte Bruno Müller-Oerlinghausen vom Vorstand der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. "Das ist ein Augias-Stall, den die Ärzteschaft längst hätte ausmisten sollen."

Die Pharmaindustrie habe sich zwar halbherzig einen Verhaltenskodex gegeben, doch Eigenkontrolle finde nur beschränkt statt. Bei den Ärzten fehle nach wie vor die Sensibilität.

"Der Fehler liegt im System", sagte Michael Kochen, Präsident der Gesellschaft für Allgemeinmedizin. "Praxen, die keine Pharmareferenten empfangen, sollten belohnt werden." Im Januar wird in Frankfurt die Initiative "No free lunch - mein Essen zahle ich selbst" gegründet. Ärzte wollen zeigen, dass sie sich dem Einfluss der Industrie entziehen und Tagungsreisen selbst bezahlen.

(SZ vom 19.12.2006)

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