Ausbeutung durch KiK und Lidl:Ein Leben zum Schnäppchenpreis

Die Hose für weniger als fünf Euro: Näherinnen in Bangladesch zahlen einen hohen Preis, weil deutsche Konsumenten vor allem eines wollen - billig einkaufen.

Karin Steinberger

Lang braucht sie nicht, um sich in dieser Neonlichtwelt zurechtzufinden. Suma Sarker rennt gleich los, hinein in den KiK-Discount-Laden, vorbei an Badeschwämmen für einen Euro, an Kinder-Motivstrümpfen für 2,99 Euro und Waschlappen für fünf Cent. Suma Sarker will zu den Hosen.

Ausbeutung durch KiK und Lidl: Hauptsache billig: Beim Textildiscounter KiK gibt es Bekleidung für wenig Geld - auf Kosten der Fabrikarbeiter in Bangladesch.

Hauptsache billig: Beim Textildiscounter KiK gibt es Bekleidung für wenig Geld - auf Kosten der Fabrikarbeiter in Bangladesch.

(Foto: Foto: ddp)

Sie wühlt herum, schaut sich die Taschen an, dann den Hosenbund, Taschen, Hosenbund. Ihre kleinen Hände streifen über schwarze Hosen mit weißen Streifen und Camouflage-Hosen und Hosen in Tarnfarben. Ihr Salwar Kameez glitzert, Pluderhose, Oberteil, darüber ein Pulli wegen der Kälte. Nie würde eine Frau in Bangladesch Hosen mit weißen Streifen tragen. Sie machen sie nur. "Da, das sind meine", sagt sie, schaut sich die Kinderjeans an, die Taschen, der Hosenschlitz, die Nähte, lila und gelb. 60 bis 70 Taschen pro Stunde, Fließbandarbeit. Sarker macht momentan Hosentaschen.

Sie lächelt. Tausende Kilometer entfernt von der Heimat hat sie ihre Nähte gefunden. Sie muss das Schild nicht lesen, natürlich ist diese Hose aus Bangladesch. "Das sind meine", sagt sie, schaut sich das Preisschild an, stutzt. 4,99 Euro, sie fragt den Übersetzer, lässt sich den Preis umrechnen, schaut ungläubig in die rot-weiße KiK-Ästhetik. "Very cheap", sagt sie.

Ein Prozent Lohnkosten

Der Preis ist fast so schlimm wie die ewigen Flüche des Vorarbeiters in ihrer Fabrik, so schlimm wie die Angst, einen Fehler zu machen. Der Preis macht so deutlich, wie billig sie sind, die Millionen von Näherinnen in der Textilindustrie in Bangladesch. "Da ist ja auch das Material dabei und der Transport", sagt sie, lässt die Hose gar nicht mehr los. 4,99 Euro. Kleidung clever kaufen, heißt der KiK-Slogan. Es ist wie ein Schlag ins Gesicht. Gestern hat sie in einem teuren Kaufhaus ein in ihrer Fabrik genähtes T-Shirt gesehen, 35 Euro. Auch das ein Schock, wenn man sich vorstellt, dass eine Frau dort im Monat weniger verdient.

"Das ist die Globalisierung", sagt der Übersetzer, Suma Sarker nickt. Natürlich, was sonst.

Ein paar verschleierte Frauen sind im Laden, hinten bei den Pullovern. Suma Sarker schaut Shahida Sarker an, hilfesuchend. Sie ist die ältere der beiden Frauen, die Gewerkschafterin, sie wird eine Antwort haben. Aber Shahida Sarker hat keine Antwort, sie schüttelt den Kopf. Sie ist wütend, wenn sie diese Preise sieht. Die hohen und die niedrigen. Bei den hohen Preisen fragt sie sich, wer das ganze Geld verdient. Bei den niedrigen, wieso die Leute hier sich nicht wundern, wie eine Hose so billig sein kann. Am Ständer daneben gibt es Hosen für einen Euro.

Lesen Sie weiter, wer den Preis für die günstige Kleidung zahlt.

Ein Leben zum Schnäppchenpreis

Deswegen sind sie hier. Die bangladeschische Näherin Suma Sarker und Shahida Sarker, Vorsitzende der Textilarbeiter-Gewerkschaft "National Garments Workers Federation". Fast drei Wochen lang werden sie durch Deutschland fahren, um den billigen Hosen ein Gesicht zu geben. Sie wollen, dass die Menschen hier wissen, wieso Kleidung so preiswert sein kann und wer den Preis dafür bezahlt.

Gisela Burckhardt von der "Kampagne für Saubere Kleidung hat eine Studie dabei, in der die Arbeitsbedingungen bei Lieferanten der Discounter Lidl und KiK in Bangladesch untersucht wurden: "Wer bezahlt unsere Kleidung?" steht darauf. Auf Seite 13 wird vorgerechnet, wie sich der Preis eines T-Shirts zusammensetzt: 50 Prozent Gewinn und Kosten des Einzelhandels, 25 Prozent Markenwerbung, 13 Prozent Fabrikkosten, elf Prozent Transport und Steuern und ein Prozent Lohnkosten. Der Lohn ist ein kleiner, dunkler Streifen in einem großen Ball-Diagramm. 18 bis 24 Euro verdienen Näherinnen in Bangladesch. Im Monat.

Gehetzt von Moden und Trends

Suma Sarker nickt. Manche bekommen 30 Euro, mehr ist nicht drin. Dafür müssen sie meist sieben Tage in der Woche arbeiten, Überstunden werden verlangt, aber nicht bezahlt, wer krank wird und nicht zur Arbeit erscheint, hat keine mehr. Sie werden geschlagen, beschimpft, Trinkwasser gibt es in den meisten Fabriken nicht, auch keine Kantinen. Es herrscht die blanke Angst, denn trotz der Bedingungen will niemand den Job verlieren in diesem Land, in dem 145 Millionen Menschen leben und 35 Millionen an Hunger leiden. Arbeitskräfte gibt es hier mehr als genug.

Und so nähen sie wie Getriebene, gehetzt von Moden und Trends. Mal ist der Irrsinn fliederfarben, dann olivfarben, mal müssen weite, schlackernde Hosenbeine her, dann schmale. Sie machen alles wie bestellt, nicht immer in bester Qualität, aber unschlagbar billig. Und wenn Europa eine neue Farbe wünscht oder einen neuen Schnitt, bleiben die Frauen halt länger. Von acht Uhr morgens bis elf Uhr nachts. Ihren Sohn sieht die Witwe Suma Sarker nur selten.

"Die Sensibilität für dieses Unrecht muss wachsen. Das ist keine Frage des Geldes, sondern eine Frage des Bewusstseins, ich kenne Harz-IV-Empfänger, die das auch so sehen", sagt Gisela Burckhardt. Und die schlimmsten Preistreiber nach unten seien nun mal die Discounter, sie haben eine solche Macht, dass sie die Lieferanten in Bangladesch fast zu allem zwingen können: schneller, flexibler, billiger. Und die geben den Preisdruck an die Arbeiterinnen weiter. So einfach ist das. Die Preise fallen seit Jahren. Und die Lebenskosten steigen auch in Bangladesch. "Wir haben uns bewusst auf Discounter konzentriert, sie zwingen andere, bei diesem Preiskampf mitzumachen", sagt Gisela Burckhardt. Aber Käufer müssen lernen, dass ein Kleidungsstück für einen Euro nicht "sauber" ist, sagt sie. Bei KiK sagen sie, man sei seit mehr als zwei Jahren über die unzureichenden Arbeitsbedingungen im Bilde und haben bereits entsprechende Maßnahmen eingeleitet.

Lesen Sie weiter, mit welchen Konsequenzen Gewerkschaftsmitglieder rechnen müssen.

Ein Leben zum Schnäppchenpreis

Suma Sarker schaut sich die Ein-Euro-Hosen an, fährt die Nähte ab. Auch wenn sie unterbezahlt ist, sie ist Profi, sie ist seit Jahren dabei, hat sich hochgearbeitet, sie macht die komplizierten Sachen. 15 Jahre war sie alt, als sie vom Land nach Dhaka kam und anfing, Kleider zu nähen. Das älteste Kind, die Eltern arbeitslos, an Schule war nicht zu denken. Die Textilfabriken fingen gerade an, um die Hauptstadt herum zu wachsen. Es war das erste Mal, dass Frauen in Bangladesch Geld verdienen konnten, zu Hunderten, zu Tausenden, Witwen, Verstoßene. Mittlerweile arbeiten mehr als zwei Millionen Menschen in den 3500 Textilfabriken des Landes, die meisten von ihnen Frauen. Es war zunächst einmal eine Befreiung.

Heimliche Helfer

"Natürlich, die Textilfabriken haben viel Gutes gebracht, die Frauen kamen das erste Mal aus den Häusern, konnten ihr eigenes Geld verdienen. Aber von dem Gehalt kann niemand leben", sagt Shahida Sarker. Auch sie hat als Näherin angefangen, auch sie kam vom Land in die Stadt, auch sie wusste nicht, dass Frauen Rechte haben. Das hat sich geändert, sie ist jetzt bei der Gewerkschaft. Aber es ist ein harter Kampf. "Die Frauen haben Angst." Wer mit der Gewerkschaft Kontakt hat, fliegt raus. Sie besuchen die Frauen heimlich in ihren Wohnheimen, erklären ihnen, dass man ihnen den Lohn nicht streichen darf, wenn sie Fehler machen, dass man sie nicht schlagen darf. Es braucht Zeit, bis die Frauen das verstehen. Und noch viel mehr Zeit wird es brauchen, bis die Männer es verstanden haben.

Suma Sarker hat verstanden, sie steht mitten in Mannheim. Sie hat eine Hose in der Hand, an die sie irgendwann zu Hause in Bangladesch die Taschen genäht hat. Die Reise nach Deutschland hat sie den Job gekostet. Sie ist trotzdem gefahren, es ist ihr wichtig. Und sie ist gut genug, um einen neuen zu finden. Sie will den Menschen hier erklären, dass 4,99 Euro zu wenig sind, will zeigen, was diese Hose mit ihrem Leben zu tun hat und was es heißt, wenn sich ein Designer ausdenkt, Gummis in Männerhosen machen zu lassen. Suma Sarker kann sich noch erinnern, es war 2003. Sie mussten diese entsetzlichen, dicken Gummis mit aller Kraft auseinanderziehen, um sie einzunähen. Wie sie diese Dinger gehasst hat.

Irgendwann hat sich Suma Sarkers Körper gegen die Mode gewehrt, sie bekam ein Geschwulst, groß und schmerzhaft - ihr Hosengummigeschwulst. Irgendwo in einer Fabrik in Bangladesch.

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