Aus für Opel-Standort Bochum:Ende der Zukunft

Bochum trägt Trauer: Vor 50 Jahren war das Opel-Werk die Hoffnung der Stadt, jetzt, mit der Schließung, droht der Absturz. Es geht ja nicht nur um Opel und die 3300 Mitarbeiter dort. Es geht auch um viele Zulieferbetriebe, um Dienstleister, um 40.000 Arbeitsplätze - um eine ganze Region.

Von Karl-Heinz Büschemann, Bernd Dörries und Thomas Fromm

Opel To Cease Car Production At Bochum Plant By 2016

Bis 2016 wil der Autohersteller die Produktion am Standort stoppen.

(Foto: Getty Images)

Der Parkplatz ist leer, die Pfützen sind tief. Vor dem großen Werk mit der roten Klinkerfassade im Stadteil Langendreer ist kein Mensch zu sehen. Die Produktion ruht. Nur ein Pförtner sitzt im geheizten Wärterhaus neben der Zufahrtsschranke. "Hier wird heute nichts gemacht", teilt er dem Besucher mit.

Die Arbeiter sind in der Betriebsversammlung in der Ruhrkongresshalle, ein paar Kilometer entfernt neben dem Fußballstadion. So öde wird es hier in Zukunft immer aussehen. Denn hier soll 2016 Schluss sein mit dem Autobau, nach mehr als 50 Jahren. Monatelang gab es Spekulationen. An diesem Montag wurden sie zur bitteren Wahrheit.

Es waren Wochen und Monate der ständigen Drohungen, Nadelstiche, Planspiele. Am Ende, sagten sich die Bochumer, würde alles doch irgendwie weitergehen. Jetzt haben sie es schwarz auf weiß: Opel wird in Bochum, wenn hier der letzte Zafira vom Band gelaufen ist, die Produktion von Autos einstellen. Ein paar Jobs sollen wohl bleiben. Für einige Hundert Beschäftigte des Opel-Logistikzentrums und in der Komponentenfertigung.

Aber was ist ein Warenverteilzentrum schon verglichen mit einer Fabrik, in der seit 50 Jahren Opels vom Band rollen?

Am Anfang war Opel die Zukunft in Bochum

Als es anfing mit dem Autohersteller in Bochum, da war das Unternehmen die Zukunft. Ausgerechnet auf einem ehemaligen Zechengelände zog man die Fabrik hoch. Kadett statt Kohle. Vielleicht auch deshalb sind die Opelaner in Bochum selbstbewusster als ihre Kollegen woanders: Weil sie schon einmal alles verloren hatten.

Nur anders als damals in den 60er Jahren gibt es heute keinen Ersatz. Außer vielleicht: ein Logistikzentrum. Und: Anders als damals steckt der Autohersteller heute tief in den roten Zahlen. Selbst als es den Wettbewerbern vor zwei Jahren gut ging und die Konjunktur brummte, stockte es bei Opel. Und anders als früher gibt es heute keine Modelle wie den Opel Rekord oder den Opel Kadett, Ikonen ihrer Zeit. Einer Zeit, in der Opel in Deutschland einen Marktanteil von 20 Prozent einfuhr.

Heute steckt Bochum, die einstige Metropole für Kohle und Stahl mit noch 380.000 Bewohnern, zwischen Essen und Dortmund eingeklemmt, tief in einer Krise. Schon vor vier Jahren machte Nokia in Bochum dicht, 2200 Menschen verloren ihre Arbeit. Von Sauerei war die Rede und von einem K.-o.-Schlag für die Stadt.

Jetzt geht es bei Opel um mehr als 3300 Jobs. Wenn die wegfallen, sind insgesamt bis zu 40.000 Arbeitsplätze in der Region betroffen. Es geht ja nicht nur um Opel. Sondern auch um viele Zulieferbetriebe und die Dienstleister.

Das also ist die Situation, in der Opel-Chef Thomas Sedran am Montag vor die Opel-Mitarbeiter treten musste, um die Wahrheit zu sagen. Dass es aus und vorbei ist. Arbeitnehmervertreter sprachen anschließend von einem "beschämenden Auftritt". Sedran hatte lediglich die Entscheidung mitgeteilt.

Der Opel-Vorstand verließ die Versammlung durch den Hintereingang

Als sich dann Beschäftigte vor den Saalmikrofonen aufreihten um Fragen zu stellen, verließ der Opel-Vorstand die Versammlung durch den Hintereingang. Es ist gerade mal ein paar Wochen her, da hatte er bei einem Opel-Familienfest in Rüsselsheim die Schürze umgebunden und Würstchen für seine Leute gegrillt. So schnell kann es gehen.

Der Betriebsratschef Rainer Einenkel hat eine eigene Betriebsratsliste. Sie heißt "Wir gemeinsam". "Wir gemeinsam", das war gerade in den vergangenen Monaten so etwas wie eine Kampfparole gegen den Opel-Vorstand in Rüsselsheim und gegen das Management der Opel-Mutter General Motors in Detroit. "Wir gemeinsam".

Jetzt steht die Parole für den gemeinsamen Untergang von über 3300 Opelanern. "Wir sind seit mindestens zehn Jahren auf der Giftliste - ein ständiger Kandidat für die Schließung", sagte der Arbeitnehmervertreter vor ein paar Monaten noch. Da hatte er noch die Hoffnung, dass es diesmal so sein würde wie sonst auch.

Einenkel, der Kämpfer, der seit 40 Jahren hier arbeitet, hatte gehofft. Die Bochumer Belegschaft habe "große Erfahrung darin, Schließungspläne zu verhindern", schrieb er noch neulich an die Beschäftigten. "Opel Bochum zu schließen" werde "auch diesmal nicht gelingen". Am Montag, jenem Tag, an dem das Management bestätigte, was schon seit Monaten beschlossene Sache ist, sagte der kleine Mann mit dem grauen Haarkranz trotzig: "Wir werden auch nach 2016 in Bochum Autos bauen." Wie das gehen soll, weiß zur Stunde niemand. Wohl nicht einmal Einenkel selbst.

Bei der letzten großen Sparrunde wurden bei Opel 8000 Jobs in Europa gestrichen. Das Opel-Werk in Antwerpen wurde geschlossen, trotzdem ging es weiter mit den Milliardenverlusten. Daran war nicht nur die Wirtschaftskrise Schuld.

Opel hat seit langem schon seine ganz eigene Krise: Seit Jahren ein miserables Image, ein schlechtes Management, eine antiquierte Strategie der Mutter General Motors: Opel darf nur in Europa verkaufen, während andere wie VW die Schwäche in der Heimat mit brummenden Märkten wie China, den USA oder Brasilien ausbügeln können.

Die Fehler des Managements waren global. Die Folgen lassen sich in Bochum an jeder Ecke beobachten. Wenn man aus dem Hauptbahnhof geht, dann sieht man die großen Plakate des berühmten Schauspielhauses, die auf die kommende Spielzeit hinweisen, auf die großen Stücke. Daneben hängt ein riesiges Transparent, dass auf ein Drama aufmerksam macht, dass in Bochum seit vielen Jahren aufgeführt wird. "Spielzeitverlängerung für Bochum bis 2016", steht da drauf. Bezahlt haben das Transparent die Stadt und die IHK. Es kommt nicht oft vor, dass Organisationen, die den Arbeitgebern nahe stehen, so reagieren.

Die Bürgermeisterin spricht von einer Zermürbungsstrategie

Bochum trägt Trauer, es riecht aber auch nach gebrannten Mandeln. Die Stimmung auf dem Weihnachtsmarkt von Bochum in der Innenstadt ist gedrückt. Das kleine Kinderkettenkarussell dreht sich nicht, es sind an diesem Montagnachmittag nur wenige Menschen zwischen den Buden unterwegs. "Wir haben hier schon ganz andere Sachen überstanden", sagt ein Mann.

Die Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz dagegen ist: stinksauer. Sie stampft entschlossen in den kleinen Sitzungssaal des Rathauses, um den lokalen Fernsehsendern ihre Meinung zu sagen. Sie hatte erst am Vormittag von der Entscheidung erfahren. Sie spricht von "einer jahrelangen Zermürbungsstrategie". Das Ende von Opel sei "ein schwerer Schlag".

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