Aus für insolvente Drogeriemarktkette:"Schlecker-Frauen können ihre Läden mit erhobenem Haupt zusperren"

Gewerkschaften sind zwar mächtig, aber alle Macht hat den Schlecker-Frauen am Ende nicht geholfen. Für den Soziologen Klaus Dörre ist klar, dass die Arbeitgeber noch lernen müssen, das Potenzial der Angestellten zu nutzen. Woran das Unternehmen Schlecker gescheitert ist.

Max Hägler

SZ: Herr Dörre, heute schließt die letzte Schlecker-Filiale. Ist das nur traurig für die Beschäftigten, oder können wir aus dem Fall Schlecker etwas lernen?

Prof. Dr. Klaus Dörre

Warum Schlecker gescheitert ist: Soziologe Klaus Dörre erklärt den Niedergang der Drogeriekette.

(Foto: Uni Jena)

Klaus Dörre: Wir dürfen die Historie nicht vergessen. Schlecker war ein Musterbeispiel des Social-Movement-Unionism, der Gewerkschaft als sozialer Bewegung. In Mannheim beginnend, hat hier in den 1990er-Jahren eine Kampagne stattgefunden, bei dem Frauen hart für bessere Arbeitsbedingungen und für die Wahl von Betriebsräten gestritten haben - erfolgreich. Das zeigt die Macht von Arbeitnehmerorganisationen. Die zweite Lehre ist: Manager und Unternehmer haben nicht verstanden, dieses Potenzial umzumünzen. Da ist so viel Kraft bei den Schlecker-Frauen, aber auch nach dem großen Konflikt wurde diese Kraft nicht einbezogen ins Unternehmen. Wenn es eine Chance gegeben hätte für Schlecker, dann nur über die Innovationskraft und das Mitziehen der Belegschaft, über das Wissen der Kassiererinnen in Bezug auf Kundenwünsche und das Sortiment etwa. Das werden auch die Discounter noch lernen müssen.

SZ: Die Frauen haben sich ordentliche Tarifverträge erstritten - und fallen auch deswegen, sagen Handelsexperten.

Klaus Dörre: Das Problem ist das Geschäftsmodell und sind nicht die Tarifverträge. Schlecker wollte ein Geschäftsmodell, das Discounter nachahmen will - aber konnte das bei den Preisen gar nicht durchhalten. Es war ein Hybrid - auch vom Sortiment her.

SZ: Hätten wir als Konsument in dieser schwierigen Lage nicht helfen müssen - und mehr bei Schlecker einkaufen, den Frauen zuliebe?

Klaus Dörre: Das ist schwierig: Einkaufspräferenzen sind meist festgelegt. Und wer den sogenannten politischen Konsum pflegen will, hätte idealistisch gehandelt, aber wohl wenig ausgerichtet in dem Fall Schlecker. Individuelle Kaufentscheidungen fruchten nicht, es braucht da Kampagnen, beim Boykott, aber auch bei Unterstützungen.

SZ: Wie bewerten Sie die Rolle von Verdi? Die Gewerkschaft wollte wenigstens einen Teil der Arbeitsplätze retten und hat deswegen Streit mit dem Arbeitgeber bei der ersten Kündigungswelle vermieden. Prallte da das Interesse der Mehrheit auf die Rechte des Einzelnen?

Klaus Dörre: Zuvorderst muss man wissen, dass die Geburt der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft viel mit Schlecker zu tun hat, die Kampagnen der 1990er-Jahre galten bei der Verdi Gründung als vorbildlich. Da war Kampagnenfähigkeit in einem von Frauen dominierten Bereich mit pekärer Beschäftigung gelungen. Also war und ist Schlecker für Verdi ein wichtiges Thema. Aber Konflikte zwischen gekündigten Arbeitnehmern und zuerst noch verbleibenden haben sie bei vielen Unternehmenskrisen, da sind die Gewerkschaften im Zwiespalt.

Alte Vorurteile und die FDP-Blockade

SZ: Ist die Rettung gescheitert an dem Nicht-Zustandekommen einer Transfergesellschaft?

Schlecker-Filiale schließt;

Die etwa 2.800 verbliebenen Schlecker-Läden haben nach einem letzten Ausverkauf am Mittwoch dichtgemacht.  Mehr als 13.000 Mitarbeiter erwarten jetzt  ihre Freistellung.

(Foto: dapd)

Klaus Dörre: Vielleicht. Es hätte zumindest auch weit weniger Klagen gegeben. Aber egal, ob eine Transfergesellschaft eine Fortführung der Kette ermöglicht hätte, oder nicht: Es hätte den gekündigten Schlecker-Frauen geholfen, das wäre das sozialpolitische Argument und erst einmal nicht so sehr das wirtschaftspolitische. Ich habe nach Unternehmenskrisen in Nürnberg und Ruhrgebiet die Wirkung von solchen Transfergesellschaften untersucht: Es zeigte sich, dass es wichtig ist fürs Selbstbewusstsein, nicht arbeitslos zu sein und eine Beschäftigung als Sprungbrett in einen neuen Job zu nutzen.

SZ: Die Gelder dafür wurden aber nicht bereitgestellt, weil die FDP blockierte.

Klaus Dörre: Ich sage: Wäre Schlecker eine Automobilgesellschaft gewesen, dann wäre das anders gewesen, das kann man jetzt auch wieder bei Opel beobachten. Frauenarbeitsplätze und der Einzelhandel zählen immer noch weniger, als die männerdominierte Hochlohn-Autobranche. Eigentlich absurd, wenn man überlegt, dass es im Automobilsektor ein Drittel Überkapazitäten gibt.

SZ: Spielen da noch Vorurteile eine Rolle?

Klaus Dörre: Ja, die Arbeit von Frauen wird noch immer als weniger wichtig angesehen, es geht ja nichts in den Export. Dass die Schlecker-Frauen nicht mehr Zuverdienerinnen sondern teilweise die Familien-Ernährerinnen sind, wird häufig übersehen. Und die Vorurteile wiederholen sich bei der Frage: Wohin mit den Frauen jetzt, nach der Kündigung?

SZ: Der Begriff "Schlecker-Frauen" hat uns verfolgt in den vergangenen Wochen. Ist das nicht abwertend, stigmatisierend?

Klaus Dörre: Ich benutze das Wort anerkennend. Es zeigt ja auch, dass sie es geschafft haben, wahrgenommen zu werden. Dass sie selbstbewusst sind. Und ich denke, dass diese Frauen deswegen ihre Läden heute mit erhobenem Haupt zusperren können. Sie haben wenigstens über Jahre ordentliche Arbeitsbedingungen gehabt, die sie sich selbst erstritten haben. Sie haben sich unter widrigen Bedingungen zum Subjekt gemacht, Gesicht gezeigt. Das können viele nicht von sich sagen, die über Jahre schlechte Bedingungen in ihrem Job erduldet haben.

SZ: Manche der Frauen und manche Gewerkschafter diskutieren, einzelne Filialen in einer Genossenschaft zu übernehmen, ist das eine Utopie?

Klaus Dörre: Die Idee, etwas zu betreiben ohne ausdrückliche Renditeziele, ist interessant. Wobei die Tradition der Genossenschaftsbewegung hierzulande verloren gegangen ist - bei Energieprojekten z. B. kommt sie derzeit aber wieder zum Tragen. Und um das im großen Stil bei Schlecker umzusetzen, fehlte bei Schlecker leider die notwendige Gruppe ganz starker Persönlichkeiten, die die Kraft der Schlecker-Frauen gebündelt hätte. Wir sollten aber, auch von der Wissenschaft her, untersuchen, was künftig möglich ist in solchen Rechtsformen.

Klaus Dörre ist Lehrstuhlinhaber für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Mitbegründer des linken Thinktanks "Institut Solidarische Moderne". Der 54-jährige beschäftigt sich intensiv mit Unternehmenskrisen, Strukturwandel und Arbeitsverhältnissen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: