Augsteins Welt:Fremdes Land: China

Augsteins Welt: An dieser Stelle schreibt künftig jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper.

An dieser Stelle schreibt künftig jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper.

(Foto: Bernd Schifferdecker)

Die USA sind bei China hoch verschuldet. Gleichzeitig hat China besorgniserregend hohe Schulden. Wie passt das zusammen?

Von Franziska Augstein

Mitte der Siebzigerjahre wurde an Hamburger Gymnasien ein Erdkundebuch ausgegeben. Das lehrte die Schüler, dass die Wirtschaftspolitik des "Großen Sprungs nach vorn" von 1958 bis 1961 in China zu einer begrüßenswerten Modernisierung geführt habe. Und auch die "Kulturrevolution", die Mao Zedong 1966 anberaumte, vermutlich als Maßnahme zur Machtsicherung, kam ziemlich gut weg.

Der "Große Sprung" sah vor, dass Ernteerträge für den Export eingesammelt wurden. Zur Produktion von Stahl mussten Dorfbewohner ihre - für diesen Zweck ungeeigneten -metallenen Kochkessel abgeben. Letzteres war nur konsequent, weil sehr viele ohnedies nichts hatten, was sie hätten kochen können. Bei der Hungersnot von 1959 bis 1961 starben so viele Menschen, dass man ihre Seelen nicht zählen kann. Die höchste geschätzte Zahl beläuft sich auf 55 Millionen. Die dann folgende Kulturrevolution brachte Hunderttausende um ihr Leben und Abermillionen um ihre Heimat, ihre Familie und ihre Würde. All das war den Verfassern des erwähnten Erdkundebuchs offenbar nicht bekannt.

Der Sänger und Dichter Wolf Biermann war damals in Ostberlin hinter der Mauer besser informiert. 1974, als er noch ein linker Kritiker der herrschenden Zustände war und nicht ein Kritiker seiner eigenen früheren Überzeugungen, trug er das Lied vor "In China hinter der Mauer". Es bezieht sich auf die Kulturrevolution, die erst 1976 nach Maos Tod beendet wurde. Da singt Biermann: "Wo wird das Volk wie Vieh regiert, verdammt, entmündigt und kassiert, damit es schuftet und pariert? Und wo liegt auf der Lauer der Bürokratenschutzverein, sperrt gute Kommunisten ein, wenn sie nicht Halleluja schrein? In China, hinter der Mauer." Biermann sang damals auch von Maos Konterfei: "Sein Foto findet man en gros, in jeder Zeitung sowieso und dann auch auf jedem Klo."

Umso interessanter ist es, dass Mao einmal auf den Personenkult verzichtete: Den Vorschlag, auf den chinesischen Banknoten solle sein Konterfei abgebildet werden, beantwortete er mit den Worten: Er sei der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, nicht der Regierung, daher sei es unpassend, sein Bild auf die Geldscheine zu setzen. Diese Episode erzählt der in den USA lehrende indische Ökonom Eswar Prasad in seinem Buch über die chinesische Währung Renminbi ("Gaining Currency. The Rise of the Renminbi", 2017).

China wird, je nach Stimmung der Autoren, hochgeredet oder kleingeredet. Mal werden die industriellen, kolonisatorischen Absichten des Staates beklagt. Da ist China dann die große Bedrohung, was an frühere Epochen erinnert, als von der "gelben Gefahr" die Rede war. Mal wird beklommen gefragt, was denn aus der Weltwirtschaft werden soll, wenn der Renminbi immer mehr an Wert verliert und die chinesische Wirtschaft stagniert. Die Sammlung der Expertenmeinungen der vergangenen Jahre ergibt ein Tohuwabohu.

Eswar Prasad blickt ohne Übertreibung in diese oder jene Richtung auf China. Er macht es anhand seiner Geschichte des Renminbi. Das Wort heißt auf Deutsch: "Geld des Volkes". Als die ersten Geldscheine 1949 vorlagen, war Mao begeistert: "Endlich hat das chinesische Volk eine Armee, eine Regierung, sein eigenes Land, und jetzt hat es seine eigene Bank und eine eigene Währung."

Die Frage heute lautet: Wird der Renminbi international so stark werden wie der Dollar? Wird er womöglich den Dollar als Leitwährung eines Tages ersetzen? Es hängt davon ab, ob es Rechtssicherheit gibt und ob China seinen Kapitalmarkt öffnet. Derzeit geht ein Risiko ein, wer sich auf den Renminbi verlässt. Und es gibt jede Menge Restriktionen; die Regierung hat Maßnahmen ergriffen, um die Kapitalflucht aus China einzudämmen. So gut wie alles Öl wird in Dollar gehandelt. Deshalb lautet die Antwort: So schnell wird das nicht kommen. Interessant ist indes, wie China seine Währung steuert.

2015 erklärte der Internationale Währungsfonds den Renminbi zur Reserverwährung: ein Erfolg

2009 oder 2010 begann es, dass die politisch kontrollierte Zentralbank es offen darauf anlegte, den Renminbi zu einer der globalen Währungsreserven zu machen - neben Dollar, Euro, Yen und Pfund Sterling. 2015 war es so weit. Westliche Beobachter fanden das bedrohlich. Laut Prasad lag dem indes weniger Großmannssucht zugrunde als vielmehr Umsicht: Es sei vor allem darum gegangen, Reformen des Finanzwesens zu beschleunigen, um das Wirtschaftswachstum zu fördern. Denn "normalerweise gibt es große Reformen nur, wenn sie im Moment einer Krise unausweichlich werden". Hier nun habe im Land eine reformfreudige Stimmung geschaffen werden sollen: Ah, unser Renminbi könnte Reservewährung werden, das klingt gut, darauf müssen wir hinarbeiten.

Diese Umsicht der chinesischen Zentralbank ist es andererseits, die dazu führt, dass China hohe Schulden angehäuft hat, die weltwirtschaftlich als gefährlich gelten. Wie kann das sein in Anbetracht der Tatsache, dass andere Länder und vor allem die USA bei China bis über beide Ohren verschuldet sind, während Chinas Schulden im Ausland vergleichsweise niedriger liegen? Prasads simple Antwort: Die Zentralbank hat in Auslandsanlagen investiert, die sicher sind und es erlauben, schnell wieder zu liquidem Geld gemacht zu werden; entsprechend niedrig ist der Zins. Hinzu kommt, dass die Chinesen - wie die Deutschen - eifrig sparen. Und das bedeutet, dass China seine Ersparnisse quasi in die Welt exportiert.

Die Welt wartet, wer auf dem Parteikongress der chinesischen KP, der am 18. Oktober beginnt, zum neuen Führer gewählt wird. Übrigens: Seit 1999 ist Maos Konterfei auf den chinesischen Banknoten zu sehen. Das erschien nötig, weil jeder Mao kennt - damit soll Fälschungen vorgebeugt werden.

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