Augsteins Welt:Ausnahme Albanien

Das ehemals kommunistische Land will in die Europäische Union. Helfen könnten ihm dabei ausgerechnet die Seilschaften des Regimes von Enver Hoxha.

Von Franziska Augstein

Albaniens Hauptstadt Tirana sieht, zumindest in der Innenstadt, hübsch ordentlich aus. Wer vor zehn Jahren da war, freut sich über die vielen neuen Cafés, gut besucht von Männern und auch Frauen. Sind das Arbeitslose, Freizeitler, Touristen? Fragt man einen albanischen Busfahrer, sagt der abschätzig: "Da sitzen nur Politiker." Er meint: Die Preise in den Cafés seien für normale Albaner zu hoch, und die Politiker seien korrupte Nichtstuer.

Tatsächlich aber sind viele der Kaffeehaushocker Geschäftsleute, die sich die Miete für ein Büro nicht leisten können. Sie empfangen ihre Kundschaft im Café, Unterlagen haben sie im Kofferraum ihrer Autos geparkt. Albanien ist arm, das monatliche Durchschnittseinkommen beläuft sich auf etwa 360 Euro. Ohne Bestechung läuft wenig.

Laut Transparency International war Albanien in Sachen Korruption im Jahr 2014 das Schlusslicht Europas. Wirtschaftsleute, Diplomaten, Delegierte internationaler Organisationen tun sich schwer, das schönzureden. Dessen ungeachtet erlangte das Land 2014 den EU-Kandidatenstatus. Da hat die Politik obsiegt: Möglichst viele einstmals "kommunistische" Länder sollen zum "Westen" gehören. Dennoch sind die Ersten, denen bei diesem Gedanken flau zumute wird, die westlichen Experten am Ort.

Augsteins Welt: An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel.

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Die Parlamentswahlen von 2013 gingen laut dem amerikanischen Journal of Democracy ordentlich vonstatten: nicht "dank", sondern "trotz der Institutionen des Landes". Der albanische Außenminister Ditmir Bushati, der weiß, was der Westen hören will, sagt denn auch: "Wir sind noch nicht bereit für einen Beitritt zur EU." Angesprochen auf den Handelskonkurrenten des Westens, China, sagt er: "Mit China handeln ist äußerst schwierig." Zum beträchtlichen wirtschaftlichen Engagement der Türkei in Albanien sowie zur Politik des Präsidenten Erdogan, erklärt er: "Wir wollen nicht mit der Türkei über einen Kamm geschert werden."

Viele Bauherren haben, auch mittels Schwarzgeld, Albaniens Küsten einigermaßen verschandelt. Derzeit meint man, in den Betonburgen Billigtourismus aufziehen zu können. Auch sonst steht es um die Wirtschaft nicht gut. Hunderttausende im Ausland arbeitende Albaner haben mit ihren Geldsendungen etwa ein Zehntel zum Inlandsprodukt beigetragen - vor der internationalen Finanzkrise. Der Bergbau könnte lukrativer sein. Aber da es keine Rechtssicherheit gibt, scheuen ausländische Unternehmen weitere Investitionen. Mangels eines funktionierenden Katasterwesens weiß auch die deutsche Botschaft in Tirana nicht, wem ihr Areal gehört. Man zieht es ausnahmsweise vor, zur Miete zu residieren.

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...Millionen Euro überwiesen albanische Arbeitsemigranten im Jahr 2007 nach Hause. Die meisten arbeiten in Griechenland und Italien. 2014 waren es nur noch 592 Millionen Euro.

Die Autoren des Artikels im Journal of Democracy priesen die Wahlen von 2013, weil sie meinten: Dies seien die ersten freien Wahlen gewesen, bei denen es auf die Programme der Parteien angekommen sei - nicht bloß auf ihre Namen und was damit assoziiert wird. Mag schon sein. Indes werden die Verhältnisse in Albanien immer noch davon bestimmt, was aus dem Untergang des Regimes von Enver Hoxha hervorging: Seilschaften. Und das, so paradox es klingt, mag es Albanien ermöglichen, mit der allgegenwärtigen Korruption fertigzuwerden.

In arabischen Ländern wie zum Beispiel Jemen und dem Irak gelten Stammesloyalitäten. In einem Land wie der Ukraine haben die dollarmilliardenschweren Oligarchen Politik und Wirtschaft im Griff. In Albanien aber sind es lediglich Seilschaften, die sich auf Kosten aller übrigen bereichern. Sie haben nicht das Geld, Hunderttausende Wähler medial einzunebeln oder direkt zu kaufen; und sie haben nicht die Autorität von Stammesführern. Seilschaften halten eine Weile, aber nicht auf Dauer. Darin liegt die Chance für Albaniens Zukunft.

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