·:Auf Schleichwegen ins Unterbewusstsein

Mit akustischen Erkennungszeichen und Melodien wollen sich Unternehmen im Werbegetöse unverwechselbar machen.

Von Paul-Anton Krüger

Es war ein ziemlich seltsames Sangesquartett, das der Macht der Musik einst Gehör verschaffte: Für je sechs Dollar die Woche stimmten ein Bestatter und ein Gerichtsdiener, ein Drucker und ein Kaufmann ein täglich Loblied an auf amerikanische Frühstückszerealien namens Wheaties.

Von Heiligabend 1926 an trällerte ihr Vierzeiler in den Zwillingsstädten Minneapolis-St. Paul aus den Radios. Die Washburn Crosby Company, der Wheaties-Hersteller, hatte eine notleidende Radiostation zwei Jahre zuvor gekauft und auf ihre Initialen WCCO getauft. 1929, die Firma war inzwischen in General Mills aufgegangen, wären die Wheaties fast beerdigt worden - hätte nicht Werbeleiter Sam Gale Verblüffendes entdeckt: Von landesweit 53.000 verkauften Packungen hatte die Firma 30.000 im Sendegebiet von WCCO an die Hausfrau gebracht. Statt die Frühstückflocken einzustellen, ließ er das Lied landesweit senden - und tatsächlich: Der Absatz stieg.

Ruinöse Fehltritte

Heute ist in der Flut der Werbespots, gut 80 Jahre nach der Geburt des Jingles mit launigen Liedchen, kaum noch Aufmerksamkeit zu erreichen. Jederzeit und allerorts beschallt, hat der Konsument die Ohren auf Durchzug gestellt. Doch wenn das helle, glasklare dadada-di-daa eines Klaviers den Klangbrei durchschneidet, signalisiert das Unterbewusstsein, wessen Botschaft da erklingt. Das akustische Logo, wie Werber die Melodie aus vier schnellen Sechzehnteln und dem Ausklang auf einer Viertelnote nennen, ist in der Vorstellung mindestens so stark mit der Deutschen Telekom verknüpft wie die Firmenfarbe Magenta.

"Marken wollen gehört werden", sagt Wilbert Hirsch von der Hamburger Beratungsfirma Audio Consulting Group. Den Wiedererkennungswert zu steigern ist das zentrale Ziel, das Klänge, Audiologos oder Musik in der Werbung erreichen sollen. "Und die Ohren kann man nicht verschließen", fährt Hirsch fort. Kaum verwunderlich also, dass zwei von drei Dax-Unternehmen den künftigen Stellenwert akustischer Markenführung in der Unternehmenskommunikation als hoch oder sehr hoch einschätzen, wie jüngst eine Umfrage der Hamburger ergeben hat, die seit 2001 komplette Klangidentitäten für Unternehmen erschaffen.

Dass Sounddesign en vogue ist, beobachtet auch Karlheinz Illner, Chef der Münchner Agentur Sonar Brandandmusic, die sich ebenfalls darauf verschrieben hat, Marken den guten Ton beizubringen. "Macht uns doch am Ende des Spots noch sowas hin wie bei der Telekom", bekommt der 40-Jährige noch immer gelegentlich zu hören. Doch akustische Markenführung ist für ihn ein Kernelement des Marketings. "Das kann man seriös nicht mal eben so übers Wochenende entwickeln", sagt er. Marken zählten heute für viele Unternehmen zum wertvollsten Kapital - akustische Fehltritte können deren Wert schnell ruinieren.

Die wenigen Studien zur Wirkung von Musik und Klängen in der Werbung belegten, dass die Musik zum Image der Marke passen muss, soll sie nicht die Werbebotschaft hintertreiben, erläutert Carl-Frank Westermann. Der 57-jährige frühere Fehlfarben-Musiker arbeitet für die Kommunikationsagentur Metadesign und lehrt an der Universität der Künste in Berlin Akustische Konzeption. "Das akustische Erscheinungsbild ist ein Erscheinungsbild der Marke - egal ob man es gestaltet oder nicht", ergänzt er. Und einen Leuchtturm im Klangmeer, da ist er sich mit seinen Kollegen einig, verspricht nur eine durchkomponierte akustische Identität.

Auf Schleichwegen ins Unterbewusstsein

Durchkomponiert ist in diesem Falle im doppelten Sinne zu nehmen, denn die Soundstrategen mahnen unisono zu methodischem Vorgehen. Wer ist die Zielgruppe? Wo hat sich die Konkurrenz aufgestellt? Von der Positionierung einer Marke ausgehend, begeben sie sich auf die Suche nach angemessenem Klang.

"Musik vermittelt, manipuliert Emotionen; das wissen wir alle aus dem Film", sagt Wilbert Hirsch. Die Kunst liege darin, exakt die Gefühle zu kitzeln, die mit der Marke assoziiert werden sollen. Bei Audi etwa, wo man den Ringen schon 1994 ein akustisches Signet beigegeben hat, zielt man mit satten Bässen in die Bauchgegend. "Der doppelte Herzschlag transportiert Menschlichkeit", erklärt die Leiterin Werbung des Autobauers, Jagoda Becic, "die DNA unserer Marke".

Sounddesigner Hirsch, der klassische Gitarre studiert hat, hortet ähnlich wie die Konkurrenz in einer Datenbank Musiktitel, die mit tausend verschiedenen beschreibenden Begriffen verknüpft sind. Der Computer hilft, die Emotionen zum Klingen zu bringen - und lenkt den kreativen Prozess in geregelte Bahnen.

Will sich eine Biermarke nach Natur anhören, fragt Hirsch weiter. Rein und pur? Dann wäre vielleicht ein Streichorchester passend. Die raue Stimme von Joe Cocker dagegen lässt Abenteuer erwarten. So feilt der 45-Jährige immer weiter, und wenn er schließlich einen Komponisten beauftragt, hat er mit dem Kunden schon Klangfarbe, Tonart, Rhythmus und Tempo bestimmt, auf dass später einmal jenes Bild im Kopf entstehe, das zu Anfang von der Marke skizziert wurde.

Doch Klangidentität ist für die Sounddesigner ein Gesamtkunstwerk. Die Kraft der Akustik soll sich entfalten, wo immer der Kunde mit einem Unternehmen in Kontakt kommt. Durchgestylte Telefonwarteschleifen, Klingeltöne fürs Handy, Klangtapeten für Verkaufsräume oder gar Firmen-Songs für Messestände und Präsentationen gehören für sie genauso selbstverständlich zur Corporate Identity wie einheitliches Briefpapier.

Damit der akustische Auftritt stimmig wird, entwickeln sie mit den Kunden Richtlinien, welcher Klang wo zum Einsatz kommt; da kommen schon einmal Bücher von 200 Seiten zusammen. Von "vielen Kleinigkeiten, die sich zu einem komplexen Ganzen zusammenfügen", schwärmt Hirsch. Und die sorgsam ausgetüftelten Partituren sollen nicht durcheinandergeraten. Denn vor nichts graut den Klangkünstlern mehr als vor "akustischer Umweltverschmutzung."

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