Audi:Der tiefe Fall des Audi-Saubermanns

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Das Audi-Forum in der Konzernzentrale in Ingolstadt. (Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)
  • Die Staatsanwaltschaft München II hat im Zusammenhang mit dem Abgasskandal einen ehemaligen Audi-Konzernmanager festgenommen.
  • Der 60-Jährige gilt in Behördenkreisen als eine der Schlüsselfiguren im Fall der offenbar manipulierten Abgaswerte bei mindestens 80 000 Diesel-Fahrzeugen.
  • Er soll Mitarbeiter der Motorenentwicklung in Neckarsulm angewiesen haben, Betrugssoftware zu entwickeln, um Diesel-Abgaswerte zu manipulieren.

Von Hans Leyendecker und Klaus Ott

Die ganz harten Typen sitzen in den USA - so schien es im Abgas-Krimi bisher. Dort lief alles so, wie man es aus dem Kino kennt. US- Ermittler kennen kein Pardon. Sie schlagen zu, nehmen fest. Ein deutscher VW-Manager, der so unvorsichtig war, in die USA zu reisen, wanderte prompt ins Gefängnis. Ihm droht eine lange Haftstrafe. Volkswagen zahlt in Übersee mehr als 20 Milliarden Dollar an Strafen, Entschädigung an die Kunden und für die Nachbesserungen der Diesel-Autos.

Die deutschen Ermittler hingegen: augenscheinlich vorsichtiger, egal ob es um den VW-Konzern, dessen Ingolstädter Tochter Audi oder um Konkurrent Daimler geht. Abwartend. Ob einer als Beschuldigter in die Akten kommt, prüfen sie lange und eingehend. Manches Verfahren läuft erst einmal gegen Unbekannt. Und jetzt das. Die Staatsanwaltschaft München II, die im Fall Audi wegen Betrugsverdachts und Vorwurfs der unlauteren Werbung mit vermeintlich sauberen Diesel-Motoren ermittelt, hat einen Haftbefehl beantragt - und bekommen.

Der aus Italien stammende ehemalige Konzernmanager Giovanni P. wurde Anfang der Woche festgenommen, als er wieder einmal nach Deutschland gereist war. P. hatte im Audi-Werk in Neckarsulm gearbeitet und war als Teamleiter für die Entwicklung der Dieseltechnik in Deutschland verantwortlich. Er soll am Dienstag dem Haftrichter vorgeführt werden. Dann entscheidet sich, ob er hinter Gittern bleibt.

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P. ist einer von inzwischen mehr als vierzig Beschuldigten aus dem VW-Konzern, gegen die in Deutschland ermittelt wird. Und er ist der erste, der im Gefängnis sitzt. Der 60-Jährige gilt in Behördenkreisen als eine der Schlüsselfiguren im Fall der offenbar manipulierten Abgaswerte bei mindestens 80 000 Diesel-Fahrzeugen von Audi. Er soll Mitarbeiter der Motorenentwicklung in Neckarsulm angewiesen haben, Betrugssoftware zu entwickeln, um Diesel-Abgaswerte zu manipulieren. P. hielt sich meist im Ausland auf, wahrscheinlich in Italien, wo er für deutsche Ermittler schwer greifbar war.

Um ihn in Haft zu nehmen, soll die Staatsanwaltschaft München II bei Gericht eine Telefonüberwachung beantragt und genehmigt bekommen haben. TÜ, so lautet unter Juristen das Kürzel dafür. Eine TÜ erfolgt meist bei besonders schweren Straftaten wie Mord und Totschlag, Raub, Erpressung oder Hochverrat. Wird jemand gesucht, dann können laut Gesetz zur "Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten" auch Mobilfunkgeräte überwacht werden. "Ergreifungs-TÜ" nennen das die Fahnder. Hat also sein Handy den früheren Audi-Manager P. verraten?

Audi schweigt

Festgenommen wurde der Italiener wegen Flucht-, nicht wegen Verdunkelungsgefahr. Ob der frühere Audi-Mann in der Haft redet oder nicht, das ist wie so vieles in diesem Fall ungewiss. Audi äußert sich nicht. Der Autokonzern sagt auch nichts zu Hinweisen auf arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen im Fall des Motorentwicklers, der 2007 im Audi-Geschäftsbericht gemeinsam mit einem Kollegen dafür gelobt wurde, dass Audi jetzt den "saubersten Diesel der Welt" anbiete. Sauber.

In den USA hatte Giovanni P. Audi als den "saubersten Diesel der Welt" angepriesen. Jetzt sitzt er in Deutschland hinter Gittern. (Foto: YouTube-Video)

Im Guten haben sich Audi und P. nach Beginn der Abgasaffäre im Herbst 2015 wohl nicht getrennt. Im Mittelpunkt der Affäre steht bei Audi ein Dieselmotor mit drei Litern Hubraum, der für den amerikanischen Markt entwickelt wurde. Den US-Ermittlern zufolge ist der Motor mit einem "Defeat Device" ausgerüstet. Diese Software erkennt, wann das Auto auf einem Prüfstand steht. Dort, im Labor also, werden die Grenzwerte für gesundheitsschädliche Stickoxide dann eingehalten. Auf der Straße, im wirklichen Leben also, hingegen nicht. P. soll angeblich das System mit ausgetüftelt haben. VW hat bereits eingeräumt, dass Audi an der Täuschung amerikanischer Behörden und Verbraucher mitgewirkt hat.

Die erste Festnahme eines Automanagers in Deutschland macht auch klar, wie sehr Volkswagen die Affäre und deren Folgen immer noch unterschätzt. Wegen einer "Dieselthematik", wie VW-Chef Matthias Müller und seine Kollegen den Fall verharmlosend nennen, kommt niemand ins Gefängnis. Dass offenbar abgehört wurde, zeigt den Ernst der Lage. Audi-Mitarbeiter sollen über einen Zeitraum von mindestens sieben Jahren intern immer wieder darauf hingewiesen haben, dass die fragliche Software US-Vorschriften verletze. P. habe diese Warnungen aber ignoriert und unterdrückt. Und er soll seine Mitarbeiter sogar angewiesen haben, die US-Behörden zu täuschen. Diese Vorwürfe erhebt das US-Justizministerium, auch unter Berufung auf einen Kronzeugen. In den USA wird P. der Verschwörung zum Betrug beschuldigt. Auch Verstöße gegen Umweltvorschriften werden ihm angelastet.

Dass die US-Behörden just jetzt diese Vorwürfe veröffentlichen, dürfte kaum Zufall sein. Die Ermittler in Übersee sind von ihren Münchner Kollegen bestimmt über die Festnahme unterrichtet worden. Die US-Behörden könnten einen Auslieferungsantrag stellen, über den das Oberlandesgericht München entscheiden müsste. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Ermittler dies- und jenseits des Atlantiks kooperieren. Die Münchner Staatsanwaltschaft wird P. kaum hergeben wollen. Solche Schlüsselfiguren sind für die Aufklärung großer Fälle ungemein wichtig.

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Die Abgasaffäre ist längst keine Affäre VW (und Audi) mehr. Fast alle großen Hersteller haben getrickst und geschwindelt oder wie VW gar betrogen, teils mit Billigung der Politik. Wann immer strenge Grenzwerte für den Ausstoß von Stickoxiden oder des klimaschädlichen Kohlendioxid drohten, oder strenge Vorgaben für den Kraftstoffverbrauch, wurde die Autoindustrie bei Kanzlerin Angela Merkel und anderen Regierungschefs vorstellig. Deutschland, Italien und Frankreich verhinderten - aus Sicht der Konzerne - das Schlimmste. Sorgten für nicht allzu strenge Grenzwerte, für lange Übergangsfristen, oder ließen Hintertürchen offen.

Erst als ausgerechnet die USA, das Land mit dem weltweit größten Energieverbrauch pro Kopf, gegen Volkswagen vorging, änderte sich das. Die alte Ordnung gilt nicht mehr. Fünf Bundesländer, in denen Autokonzerne ansässig sind, machen gemeinsam Druck. Die Hersteller sollen bei alten Dieselfahrzeugen für bessere Abgaswerte sorgen. Auf eigene Kosten. Die Ministerpräsidenten von Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen unterzeichneten am Freitag ein entsprechendes Papier.

Nichts ist mehr undenkbar, nicht einmal Gefängnis. In München kümmert sich Generalstaatsanwalt Manfred Nötzel auch persönlich um die Audi-Ermittlungen. Nötzel gilt, wie man in Bayern so sagt, als "harter Hund". Er hat Siemens und andere Konzerne, die weltweit schmierten, das Fürchten gelehrt. Er hat Formel-1-Chef Bernie Ecclestone, der wegen Schmiergeldvorwürfen vor Gericht stand, 100 Millionen Dollar abgeknöpft. Nun geht es in München gegen Audi. Und schon viel länger bei der Staatsanwaltschaft in Braunschweig gegen VW. Dort muss der Ex-Chef Martin Winterkorn mit einer Anklage und einem Prozess rechnen. Zumindest wegen des Vorwurfs der Manipulation des Börsenkurses, weil er die Aktionäre nicht informiert habe. Winterkorn weist das zurück. Er war Audi-Chef, bevor er zum Mutterkonzern VW wechselte. Sein Nachfolger in Ingolstadt, Rupert Stadler, ist noch im Amt; gilt aber als Konzernchef auf Abruf. Mit jeder weiteren Umdrehung in dieser Affäre wird es für Stadler ungemütlicher.

Jetzt also die Festnahme von P. Er ist in einem bei Youtube gespeicherten Video mit dem Titel "Audi - the cleanest Diesel in the world" zu sehen. Vor knapp zehn Jahren stand der Mann, der bei Audi so wichtig war, in einem US-Vorort neben einem silbergrauen Fahrzeug. Auf dem Auto stand: "Der sauberste Diesel der Welt." Giovanni P. erzählte eine schöne Geschichte. Sie war falsch.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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