Audi-Chef Stadler:Der Mann, der stehen blieb

Lange schien es, als könne die Abgasaffäre Audi-Chef Rupert Stadler nichts anhaben. Nun sitzt er in dem Skandal als erster Konzernchef in Untersuchungshaft. Die Geschichte eines Auf- und Abstiegs.

Von Thomas Fromm, Max Hägler, Klaus Ott und Ulrich Schäfer

Das erste Mal klingelten die Ermittler vor einer Woche bei Rupert Stadler. Am 11. Juni gegen 9 Uhr standen sie vor der eleganten, kaum ein Jahr alten Villa im alten Westviertel von Ingolstadt, in der Hand einen Durchsuchungsbefehl, und begehrten Einlass.

Razzia beim Audi-Chef: Schon diese Nachricht hatte vor einer Woche viele Menschen in der Stadt verstört. Ausgerechnet beim netten Herrn Stadler? Bei diesem in Ingolstadt so beliebten, nahbaren Mann? Diesen Herrn Stadler traf man früher oft beim Spaziergang oder im Konzert. Er half in der Stadt, wo er nur konnte, unterstützte Kulturschaffende oder karitative Einrichtungen - ehe die Diesel-Affäre auch ihn erreichte: den Chef von Audi, des größten, wichtigsten Unternehmens der Stadt, welches in seinen weitläufigen Fabrikhallen im Ingolstädter Norden insgesamt 40 000 Menschen beschäftigt.

Rupert Stadler, aufgewachsen als Bauernsohn in Wachenzell, einem Dorf im Altmühltal, wohnt mit seiner Familie schon seit vielen Jahren in Ingolstadt, früher im Süden, nun im alten Westen, einer der besseren Gegenden. Große Grundstücke, große Häuser. Die Schutter, ein Flüsslein, ist nicht weit, zu Fuß läuft man in wenigen Minuten bis in die Altstadt und zum Liebfrauenmünster, und wenn man aus der kleinen Seitenstraße links abbiegt auf die Gerolfinger Straße, sind es nur ein paar Autominuten bis in den Ortsteil Gerolfing, wo ein anderer berühmter Ingolstädter wohnt, der am Montag Schlagzeilen machte: CSU-Chef Horst Seehofer.

Im vorigen Jahr waren die Stadlers in ihr neues, schickes Haus gezogen. Früher stand hier mal die sogenannte Reissmüller-Villa, benannt nach dem ehemaligen Verleger des Donaukuriers. An diesem Montag, nur sieben Tage nach der Hausdurchsuchung, kommen die Staatsanwälte ein zweites Mal in diese ruhige Gegend. Diesmal haben sie einen Haftbefehl mit dabei. Und diesmal klingeln sie in aller Frühe - um nicht zu viel Aufsehen zu erregen, und auch, um sicherzugehen, dass sie nicht zu spät dran sind.

Denn eigentlich will Rupert Stadler an diesem Tag nach Niedersachsen reisen, um 14 Uhr sollte dort der Aufsichtsrat von Volkswagen mit ihm und den anderen VW-Vorständen darüber beraten, wie es weitergeht mit dem Unternehmen und den Aufräumarbeiten im Dieselskandal. Und es wäre auch im Normalfall wohl um die Frage gegangen: Wie geht es mit ihm weiter, dem Mann, an dem bislang alles abgeperlt war? Stattdessen nehmen ihn die Ermittler der Staatsanwaltschaft München II mit und führen ihn in München dem Haftrichter vor. Der entscheidet schnell: Der Festgenommene muss in Haft, kommt auch nicht gegen eine Kaution wieder frei. Denn es droht Verdunkelungsgefahr.

In Ingolstadt staunten sie alle ungläubig

Stadler soll, so lautet der Kern der Vorwürfe gegen ihn, bereits vor zweieinhalb Jahren Hinweise auf mögliche Manipulationen von Dieselautos bekommen haben. Er habe es aber bewusst in Kauf genommen, dass diese Fahrzeuge weiter produziert und in Europa verkauft werden. Die Staatsanwälte legen ihm und einem weiteren Audi-Vorstand "Betrug sowie mittelbare Falschbeurkundung" zur Last. Erst vor einer Woche waren die Ermittlungen publik geworden, und nun sitzt er schon in Untersuchungshaft. Denn die Ermittler haben vor und nach der Razzia vor sieben Tagen Stadlers Telefon abgehört - und dabei oder bei den sichergestellten Unterlagen Hinweise erhalten, dass der Audi-Chef möglicherweise Zeugen oder Beschuldigte beeinflussen wollte. Der Audi-Chef in Untersuchungshaft: In Ingolstadt staunten die Menschen deswegen an diesem Montag noch ungläubiger als vor einer Woche.

Der Skandal um manipulierte Abgastests erreicht damit einen neuen, überraschenden Höhepunkt. Schließlich kommt es nicht allzu oft vor, dass in Deutschland ein Konzernchef verhaftet wird. Wenn überhaupt trifft es, so wie in der Siemens-Affäre, und auch bislang in der VW-Affäre, normalerweise nur Leute aus der zweiten Reihe. Etwa den Manager Oliver S., der in den USA verhaftet und zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Oder den früheren Leiter der Aggregate-Entwicklung bei Audi, Wolfgang Hatz, der nun seit neun Monaten in U-Haft sitzt.

Aber einen Konzernchef? Man muss im Archiv lange zurückgehen, um ähnlich bedeutsame Fälle zu finden: Im Februar 2008 standen Steuerfahnder und Staatsanwälte aus Bochum mit einem Haftbefehl vor dem Haus von Post-Chef Klaus Zumwinkel. Der Spitzenmanager wurde vor laufenden Kameras abgeführt, der Haftbefehl gegen ihn aber außer Vollzug gesetzt, weil er sich kooperativ zeigte. Nur einen Tag später legte Zumwinkel sein Vorstandsamt nieder.

Und vor mehr als zwei Jahrzehnten, im August 1996, wurden der damalige Thyssen-Chef Dieter Vogel und weitere Vorstände wegen Fluchtgefahr verhaftet. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft gegen den Vorstandschef und seine Kollegen Ermittlungen eingeleitet, weil sie bei der Abwicklung des ostdeutschen Unternehmens Metallurgiehandel einen zweistelligen Millionenbetrag veruntreut haben sollen. Anders als bei Stadler wurde der Haftbefehl für Vogel gegen Zahlung einer Kaution wieder außer Vollzug gesetzt.

In der Branche nannte man ihn den Teflon-Stadler

Rupert Stadler hatte sich in diesem Skandal lange schadlos halten können. In der Branche nannte man den Mann, der vor über elf Jahren an die Audi-Spitze kam, auch den Teflon-Stadler. Weil im Laufe der Dieselaffäre die Manager um ihn herum fielen, er selbst aber weiter stehen blieb. Martin Winterkorn, der einstige VW-Chef: im September 2015 abgetreten. Winterkorns Nachfolger Matthias Müller: im April 2018 abserviert. Dutzende von Top-Managern: gefeuert. Aber Stadler, der zweitmächtigste Mann im Konzern, hielt sich, allen Vorwürfen zum Trotz, die gegen ihn erhoben wurden, weiter im Amt.

Nachdem vor einer Woche die Ermittlungen gegen ihn bekannt wurden, gab es etliche Menschen im VW-Konzern, die ihn stützten. Sie sagten sinngemäß, dass es auch so schon zu viel Unruhe gebe im Ingolstädter Autoreich, deshalb sollte man jetzt nicht auch noch den obersten Chef bei Audi abziehen, der qua seines Amtes ja auch dem Konzernvorstand von Volkswagen angehört. Von VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch hieß es bis zur Verhaftung stets, er halte an Stadler fest. Pötsch gilt als Mann der VW-Eigentümerfamilien, und auch von denen hieß es stets: Die Porsches und die Piëchs stehen zu Stadler.

Um das zu verstehen, muss man tief hineinschauen in diesen sehr besonderen Konzern - und auch einige Jahre zurückblicken. Stadlers Aufstieg im VW-Konzern hat viel zu tun mit einem Mann, der hier jahrzehntelang die Strippen zog: dem früheren Konzernpatriarchen Ferdinand Piëch. Im Jahr 1997 machte ihn der Alte zu seinem Büroleiter in Salzburg. Fünf Jahre im Generalsekretariat von Piëch genügten Stadler, um zu verstehen, wie Macht im Volkswagen-Reich entsteht und wie sie gelebt wird. Und es genügte wohl auch, um sich im Konzern unangreifbar zu machen.

Die Lehrjahre im Reich des Patriarchen, sagen Kenner, seien zu Stadlers Karriere- und Lebensversicherung geworden. Nach seiner Zeit bei Piëch wurde er Finanzvorstand von Audi, und im Jahr 2007 dann Vorstandsvorsitzender von Audi. Er folgte in dieser Position auf Martin Winterkorn, der damals an die Spitze des VW-Konzerns rückte - und später in Wolfsburg über den Diesel-Skandal stürzte.

Lukrative Folgeaufträge brachte die Salzburger Zeit auch mit sich: Stadler leitete - ganz unabhängig von seinem Managerjob - einen Teil der Piëch'schen Familienstiftungen. Er war also so etwas wie der persönliche Vermögensmanager der Familie. Später dann hieß es, Stadler habe keinen Kontakt mehr zu seinem väterlichen Freund. Das wiederum verwunderte nicht: Piëch zog sich schon 2015 aus dem VW-Aufsichtsrat zurück; zwei Jahre später verkaufte er auch seine Anteile an dem Unternehmen. Und doch galt die alte Regel selbst noch in jener Zeit, in der auch Audi mit in die Betrugsaffäre um manipulierte Dieselmotoren hineingezogen wurde: Nicht der Clan der Porsches und Piëchs wird es eines Tages sein, der Stadler gefährlich werden könnte. Wenn er geht, dann nur aus einem Grund: Weil die Staatsanwälte ihm gefährlich nahe gekommen sind. So wie jetzt.

Entschuldigungen? Selbstzweifel? Rücktrittsgedanken? Keine Spur

Stadler gilt als extrem hartnäckig, das hat er in den zweieinhalb Jahren gezeigt, in denen die Diesel-Affäre den Konzern nun schon durchschüttelt. Entschuldigungen? Selbstzweifel? Rücktrittsgedanken? Keine Spur. Nach außen hin hält er seit dem September 2015 eine klare Taktik ein: nicht über Diesel sprechen. Krawatte fest, Rücken durchstrecken, lächeln - so durchschritt er bislang diesen Skandal.

So ist es auch im März 2017, am Tag der Bilanzpressekonferenz, als die Einschläge ihm erstmals ganz nahe kommen. An jenem Tag stehen die Staatsanwälte mit einem Durchsuchungsbeschluss auf dem Audi-Gelände im Ingolstädter Norden und nehmen kistenweise Material aus dem Verwaltungsgebäude A50 mit. Stadler lächelt derweil im Pressesaal gegenüber und sagt, dass er sich nichts vorzuwerfen habe.

Er hält es so auch bei der Jahresbilanz in diesem Jahr. Da spricht Stadler ausschließlich von "Vorsprung durch Technik", nicht über schlechte Luft oder betrügerische Software. Konsequent zieht er seine Präsentation durch, und sein normales Reden über normale Autos verfängt bei den Journalisten: Kaum einer stellt noch Fragen zum Diesel.

Auch bei seinem letzten großen Auftritt, der Hauptversammlung im Mai diesen Jahres, versucht er den Eindruck von business as usual zu vermitteln. Das Kraftfahrtbundesamt hatte just tags zuvor gemeldet, dass Autos der Modellreihen A6 und A7 Betrugssoftware an Bord haben. Aber Stadler spricht gut gelaunt über das enabling der digitalen Zukunft, über Elektroautos. Schließlich taucht auf dem großen Bildschirm hinter ihm aus einem dunklen Schatten die Silhouette eines futuristischen Audis auf. Die vier Ringe. Und der Spruch: "Revolution braucht Taten. Wir greifen an."

Wollen die Staatsanwälte vor allem ein "Zeichen setzen"?

Solche Botschaften lenken davon ab, dass es bei VW - und auch bei Audi in Ingolstadt - viele Versuche gab, das ganze Ausmaß der Abgasaffäre zu vertuschen. Etwa 40 Beschäftigte von Volkswagen und Audi löschten schon im August und September 2015, noch ehe die Affäre publik wurde, Tausende Dokumente oder schafften diese beiseite. Einer von ihnen war der Audi-Ingenieur Giovanni P., der Mitte 2017 in München in Untersuchungshaft kam und anschließend monatelang vernommen wurde. Er gab vieles zu. P. hatte eine Festplatte, diverse Unterlagen sowie USB-Sticks von Audi erst mit nach Hause genommen und dann nach Italien gebracht, in seine Heimat. Auf die Idee dazu war P. seinen Aussagen zufolge durch einen führenden Audi-Manager gebracht worden.

Knapp drei Monate nach Beginn der U-Haft gab P. den Ermittlern Hinweise, die weiter nach oben führten. Zu Wolfgang Hatz, Leiter der Aggregate-Entwicklung bei Audi und zuletzt Entwicklungsvorstand bei Porsche, einer anderen VW-Tochter. P. sagte aus, Hatz habe ihm nach Beginn der Affäre indirekt empfohlen, nichts zu sagen. P. übergab drei handgeschriebene Seiten von Hatz, die sich aus Sicht der Ermittler lesen wie eine Anleitung für beschwichtigende Aussagen zur Abgas-Affäre. Diese und weitere Verdachtsmomente reichten der Münchner Justiz, um den früheren Audi-Manager Hatz Ende September 2017 wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft zu nehmen. Hatz hat danach lange geschwiegen, inzwischen sagt er aus, aber die bisherigen Vernehmungen sollen eher zäh verlaufen sein. Anwälte von Hatz weisen die Vorwürfe zurück, ihr Mandant habe von Manipulationen gewusst und dies vertuschen wollen.

Nun aber interessieren sich die Ermittler nicht bloß für Hatz. Sondern auch dafür was sein früherer Chef Stadler wusste.

Wenn man mit Stadler darüber gesprochen hat, hat er alles weit von sich gewiesen. In solchen Momenten hält er gern die Hände auf dem Tisch gefaltet, schaut nach unten, um dann aufzuschauen und, wie im Februar, mit fester Stimme zu sagen: "Ich bin im Rahmen der Aufarbeitung der US-Dieselthematik interviewt worden und habe mir nichts vorzuwerfen." Der Aufsichtsrat sehe das genauso, der habe die Vorgänge auch geprüft. So wurde zumindest bis zum Montagabend Stadler nicht beurlaubt. Die Aufsichtsräte von Volkswagen und Audi wollen die Sachlage weiter prüfen.

Stadler, der an der Fachhochschule Augsburg Betriebswirtschaft studiert hat, betonte zuletzt auch gern: Von Technik, also den Ingredienzien, habe er ja keine ganz tiefe Kenntnis. Er sei nicht vom Fach, kein Ingenieur. Die Botschaft dahinter ist klar: Er selbst konnte die Manipulationen nicht entdecken - und so auch nicht für derlei verantwortlich sein. Warum aber wird Herr Stadler aus Ingolstadt dann verhaftet?

Ein Spitzenjurist, der ganz nah dran ist an der Abgasaffäre, und das nicht auf Seiten der Ermittler, macht sich seinen eigenen Reim auf die Verhaftung. Das sei eine Botschaft der Staatsanwälte. Die wollten ein "Zeichen setzen" und Audi wie dem ganzen VW-Konzern deutlich machen, dass es so nicht weitergehe - und dass Volkswagen und die Tochtermarken endlich reinen Tisch machen und vollständig kooperieren müssten, was auch nach zweieinhalb Jahren noch nicht geschehe.

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