AUB: Ex-Chef Schelsky:"Ich bin ein Justiz- und ein Racheopfer"

Der frühere AUB-Chef Wilhelm Schelsky über Millionenzuwendungen von Siemens, schweigende Mitwisser und seinen Alltag hinter Gittern.

K. Ott und U. Ritzer

Über die jahrelange Millionenfinanzierung der Betriebsräteorganisation AUB durch die Siemens AG wussten nahezu alle früheren Top-Manager des Konzerns Bescheid. Das behauptet Wilhelm Schelsky, wegen Steuerhinterziehung, Betrug und Beihilfe zur Untreue verurteilter Ex-AUB-Chef. Das Interview mit der Süddeutschen Zeitung fand in der Justizvollzugsanstalt Nürnberg statt.

AUB: Ex-Chef Schelsky: Ex-AUB-Chef Schelsky: Seit 22 Monaten in Haft.

Ex-AUB-Chef Schelsky: Seit 22 Monaten in Haft.

(Foto: Foto: Reuters)

SZ: Herr Schelsky, wie verbringen Sie im Gefängnis Ihren Tag?

Wilhelm Schelsky: In einer Einzelzelle, wo ich viel lese, fernsehe, vor allem aber schreibe. Bis vor einer Woche habe ich mich um einen aidskranken Mithäftling gekümmert. Obwohl ich keiner Kirche angehöre, treffe ich mich ab und zu mit dem evangelischen Gefängnispfarrer auf einen Kaffee und ein gutes Gespräch. Diese Möglichkeit hat man hier sonst nicht oft.

SZ: Wie ist das Verhältnis zu den anderen Mitgefangenen?

Schelsky: Am Hofgang nehme ich nicht mehr teil, seit einige Mitgefangene mich wegen der vielen Medienberichte für eine große Nummer halten. Einige Russen boten mir an: Für zwei Millionen holen wir dich hier raus. Die Wachtmeister sind alle sehr anständig, nur die Umstände sind schlimm. Mir gelingt es, mich psychisch einigermaßen stabil zu halten.

SZ: Sie sitzen hier seit 22 Monaten. Wie haben Sie Ihre Verhaftung erlebt?

Schelsky: Ich war vollkommen überrascht. Da kommen morgens um sieben Uhr wildfremde Leute in dein Haus, benehmen sich, als gehörte es ihnen, stellen es auf den Kopf und einer tritt sogar gegen deinen Hund, weil der kläfft. Und du selber weißt nicht, was die eigentlich wollen. Als die mich eingesperrt haben, war ich total unter Schock, völlig starr. Das dauerte mehrere Wochen.

SZ: Nach der Urteilsverkündung wirkten Sie, als würden Sie jeden Moment zusammenbrechen. War dem so?

Schelsky: Das täuschte. Das Urteil hat mich geärgert, aber nicht gebrochen.

SZ: Was hat Sie geärgert?

Schelsky: Dass mich mein Gefühl nicht getäuscht hat. Seit meiner Verhaftung am 14. Februar 2007 schlug mir von der Staatsanwältin eine wahnsinnig aggressive Voreingenommenheit entgegen. Jedes Hinterfragen, jeder Einwand meines Verteidigers Jürgen Lubojanski wurde abgeblockt. Das ging so weiter. Zeugenaussagen und Beweisanträge haben das Gericht nicht interessiert.

SZ: War das Gericht Ihnen gegenüber voreingenommen?

Schelsky: Ich hatte keine Lobby und den mitangeklagten Ex-Siemens-Zentralvorstand Feldmayer wollten die Richter draußen lassen. Schon bevor ich verhaftet wurde, gab es ein genaues Drehbuch, in dem stand, wie diese Sache auszugehen hat. Alle haben sich daran gehalten. Wie kann es sonst sein, dass ein einfacher Steuerprüfer bereits im Dezember 2006 in einer Notiz die komplette spätere Anklage festgehalten hat?

SZ: Wer soll der Drehbuchautor sein?

Schelsky: Ich bin überzeugt, dass der Anstoß von Walter Huber ausging, dem jetzigen Personalchef Siemens-Deutschland. Es gibt da eine Vorgeschichte. 2005 wollte er unbedingt Hauptgeschäftsführer des Verbands der bayerischen Wirtschaft werden. Für ihn war es ein Lebenstraum, eine führende Rolle in Politik oder Wirtschaft in Bayern zu spielen.

SZ: Der Arbeitgeberverband entschied sich gegen Huber.

Schelsky: Und er war wütend und voller Hass auf mich und den damaligen Siemens-Personalchef Goth. Er warf uns vor, dass wir ihn nicht hatten durchsetzen können. Wir trafen uns in einem Café in München. Unter vier Augen drohte mir Huber: "Jetzt werdet ihr sehen, was passiert!"Er wusste alles, dass Zahlungen von Siemens an mich liefen und warum. Er war einer der dienstältesten Referenten bei AUB-Seminaren und hat da Hunderttausende Euro verdient. Und er ist bestens verdrahtet. Huber ist mit vielen wichtigen Leuten in Justiz und Ministerium sehr eng, die man braucht, um so etwas loszutreten. Der Zeitpunkt war günstig. In der Öffentlichkeit ging es um die Pufffreundschaften von VW-Betriebsräten, und die Siemens-Schmiergeldaffäre war im Anfangsstadium.

Lesen Sie im zweiten Teil, welche Verantwortung Wilhelm Schelsky dem Siemens-Konzern an seiner Situation gibt - und was der ehemalige Konzernchef Heinrich von Pierer wusste.

"Ich bin ein Justiz- und ein Racheopfer"

SZ: Das klingt nach kruder Verschwörungstheorie.

AUB: Ex-Chef Schelsky: Ex-Siemens-Vorstand Feldmayer (rechts): "Nur ein Kollateralschaden."

Ex-Siemens-Vorstand Feldmayer (rechts): "Nur ein Kollateralschaden."

(Foto: Foto: ddp)

Schelsky: Huber hat genau das getan, was er mir angedroht hat. Ich kenne ihn sehr gut, wir waren 20 Jahre eng befreundet. Als er einmal krank wurde, fuhr ich nachts nach einem Vortrag von Saarbrücken zu ihm nach Starnberg, um ihn bis zum Frühstück halbwegs wieder auf Vordermann zu bringen. Er ist einer der rachsüchtigsten Menschen, die ich kenne. Im Fußball würde der 90 Minuten die Chance suchen, nachzutreten. Feldmayer war nur ein Kollateralschaden.

SZ: Sind Sie von Siemens enttäuscht?

Schelsky: Ich bin irritiert, dass es bis heute keinen Versuch gab, mit mir auch nur Kontakt aufzunehmen. Ich werde wegen eines Siemens-Auftrages verhaftet, und dann fragt der Auftraggeber nicht einmal bei mir nach, um den Sachverhalt aufzuklären oder gar mir zu helfen.

SZ: Fühlen Sie sich als Bauernopfer?

Schelsky: Eher als Justizopfer und als Racheopfer von Walter Huber. Warum ist er nie richtig vernommen worden? Warum wollte ihn das Gericht nicht als Zeugen laden? Man hat ihn kategorisch rausgehalten, damit nichts auffliegt.

SZ: Sie haben vor Ihrer Verhaftung auf großem Fuß gelebt...

Schelsky: ... aber nicht dank Siemens. Ich habe das Glück, von wohlhabenden Eltern ordentlich geerbt zu haben. Da wurde viel Unsinn verbreitet. Zum Beispiel, dass ich ein Segelschiff habe. Ich werde schon auf einem im Hafen festliegenden Boot seekrank. Auch der angebliche Golftrainer, mit dem ich um die Welt gejettet sein soll, ist ein Treppenwitz. Ich habe in meinem Leben nur einen Minigolfschläger in der Hand gehalten.

SZ: Sie gingen jahrelang in der Siemens-Spitze ein und aus. Wie haben Sie es erlebt, als im Prozess Leute aus dem Konzern taten, als kannten sie Sie nicht?

Schelsky: Ich habe bei den meisten Vorständen Termine bekommen, wenn ich sie brauchte. Die bekam nicht jeder. Enttäuschend ist, dass man sich nicht zum AUB-Auftrag an mich bekannt hat. Für die Ex-Vorstände und Ex-Aufsichtsratschefs Hermann Franz und Karl-Heinz Baumann wäre es ein Leichtes gewesen, vor Gericht zwei klare Sätze zu sagen. Dann hätte Feldmayer nach Hause gehen können, und ich hätte eine Strafe für meine privaten Steuervergehen gekriegt.

SZ: Was hätten Franz und Baumann sagen sollen?

Schelsky: Dass die AUB-Förderung im Siemens-Vorstand mit wenigen Ausnahmen sicher jedem bekannt war.

SZ: Gehörte Heinrich von Pierer zu den Ausnahmen?

Schelsky: Wissen Sie, womit ich der Staatsanwältin die größte Freude gemacht hätte? Wenn ich ausgesagt hätte, dass ich mit Pierer in irgendeinem Freudenhaus böse Absprachen über gemeine Dinge getroffen hätte. Das konnte ich aber nicht liefern, weil es nicht stimmt. Ausnahmen sind die Vorstände, die ich nicht persönlich gekannt habe.

SZ: Wie gut kennen Sie Pierer?

Schelsky: Wir kennen uns aus der Zeit, als er noch kaufmännischer Leiter in Erlangen war und ich Betriebsratsvorsitzender. Nachdem ich das Thema AUB federführend übernommen hatte, haben wir uns mal in Nürnberg bei einem Fußballländerspiel getroffen. Über das Thema AUB haben wir aber nie gesprochen.

SZ: Glauben Sie, dass jemand, der so im Unternehmen verhaftet war wie Pierer, von der AUB-Förderung wissen musste?

Schelsky: Natürlich, nur ich kann es nicht belegen. Als es 2001 um meine Vertragsverlängerung ging, sagte mir der damalige Zentralvorstand Wilhelm, ich solle mich gedulden. Er müsse bei der nächsten Vorstandssitzung erst noch mit den wichtigen Vorständen reden. Und wer war wichtig? Ganz sicher Pierer, Finanzvorstand Neubürger und Aufsichtsratschef Baumann. Wilhelm kam wieder und sagte, die nächsten fünf Jahre laufe alles weiter. Und die Zusage, bei meiner etwaigen Rückkehr zu Siemens zum Direktor befördert zu werden, sei auch klar. Den nötigen Zentralvorstandsbeschluss werde man erst fassen, wenn es so weit ist.

Lesen Sie im dritten Teil, warum Wilhelm Schelsky nicht das Gefühl hat, etwas Unrechtmäßiges getan zu haben - und wie er sich die Zeit nach dem Gefängnis vorstellt.

"Ich bin ein Justiz- und ein Racheopfer"

AUB: Ex-Chef Schelsky: Schelsky (Mitte) mit Anwälten: "Geld macht per se nicht abhängig."

Schelsky (Mitte) mit Anwälten: "Geld macht per se nicht abhängig."

(Foto: Foto: Reuters)

SZ: Wusste der langjährige Personalvorstand Jürgen Radomski Bescheid?

Schelsky: Die Chemie zwischen uns hat nie gestimmt. Einmal hat er mich übers Telefon so angebrüllt, dass ich den Hörer weit weg halten musste. Aber er wusste, was ich in Sachen AUB mache, seit er 1994 Zentralvorstand wurde.

SZ: Hatten Sie nie den Gedanken, dass Sie etwas Unrechtmäßiges tun?

Schelsky: Ich habe das nicht eine Sekunde gedacht. Sie müssen sehen, von wem ich umgeben war. Baumann hat einmal schriftlich bestätigt, dass alles rechtlich geprüft und in Ordnung sei. Klaus Armbrüster, einer der höchsten deutschen Arbeitsrichter, war sechs Jahre mein erster Stellvertreter bei der AUB. Der hat wirklich alles gewusst, was mit Siemens lief. Wieso hat er nie gewarnt: Pass auf, das ist ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot des Paragrafen 119 Betriebsverfassungsgesetz? Oder der Mitbestimmungsexperte Dr. Horst-Udo Niedenhoff. Er war 20 Jahre mein Hauptinput, was Inhalte und die wissenschaftliche Seite betrifft. Er ist der glühendste AUB-Verfechter überhaupt! Er und Armbrüster haben bei mir als Seminarreferenten Hunderttausende Euro oder noch mehr verdient.

SZ: Wenn Sie davon ausgingen, dass alles rechtlich in Ordnung war - wieso lief alles so konspirativ und heimlich ab?

Schelsky: Ausschließlich wegen der IG Metall. Sie sollte die Finanzierungswege nicht kennen, denn sonst wäre alles geplatzt. Ich habe es immer als gesellschaftspolitischen Auftrag empfunden, die Einheitsgewerkschaft nicht zuzulassen und den Arbeitnehmern Pluralität zu verschaffen. AUB-Ausgangspunkt war Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre. Die Gewerkschaften fühlten sich plötzlich als Ersatzparteien. Auf Betriebsversammlungen wurde über den Paragrafen 218 oder Pershing-Raketen diskutiert. Bei Siemens in Erlangen war der Organisationsgrad unter fünf Prozent, aber im Betriebsrat saßen 100 Prozent Verrückte. Erst im Gefängnis habe ich begriffen, dass man die Dinge politisch auch anders sehen könnte, als ich sie gesehen habe. Mir kam aber nie die Idee, dass durch das Geld eine Abhängigkeit zu Siemens bestehen könnte.

SZ: Aber gilt nicht das Sprichwort: Wer zahlt, schafft an?

Schelsky: Ich habe nie irgendeinen Wunsch, geschweige denn eine Anweisung von Siemens bekommen, was ich mit der AUB machen soll. Ich wäre auch nicht darauf eingegangen, und Betriebsräte hätten sich auch von mir nichts sagen lassen. Bei meiner Verhaftung hatten wir über 85 Prozent Nicht-Siemens-Mitglieder. Geld macht per se nicht abhängig. Sonst müsste man Parteispenden verbieten, oder?

SZ: Hat Siemens trotzdem profitiert?

Schelsky: Wir haben es nie geschafft, die IG-Metall-Mehrheit auch nur anzugreifen. Als ich anfing, saß im 20-köpfigen Aufsichtsrat ein AUB'ler. Am Ende auch. Da spielte Siemens für die AUB bereits eine völlig untergeordnete Rolle. Die Hauptklientel waren Handels- und vor allem Mittelstandsfirmen.

SZ: Bekamen Sie außer von Siemens und Aldi-Nord auch von anderen Firmen Geld für die AUB?

Schelsky: Nein.

SZ: Was machen Sie, wenn Sie wieder aus dem Gefängnis kommen?

Schelsky: Momentan treibt die bayerische Finanzverwaltung mit brachialer Gewalt gut zwölf Millionen Euro Steuerforderungen bei mir ein. Das Vermögen meiner Familie ist arrestiert, man treibt uns in den Ruin. Ich kann mich von hier aus nicht wehren. Was da läuft, hat mit Rechtsstaat nichts mehr zu tun. Deswegen hoffe ich auf die Revision beim Bundesgerichtshof. Ich wurde vor allem wegen Verstoßes gegen Paragraf 119 verurteilt und bin überzeugt, dass dies in Karlsruhe nicht halten wird. Wenn ich aus dem Gefängnis komme, werde ich nichts mehr arbeiten. Mein Name ist verbrannt. Meine Notizen aus der Zelle werden dann vielleicht die Grundlage für ein Buch.

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