ATU:Oberpfalz-Poker

Um Deutschlands größte Werkstattkette zu retten, verzichtete die Stadt Weiden auf 121 Millionen Euro an Gewerbesteuern. Andere hatten da schon abgesahnt. Nach dem Motto: Gewinne privatisieren, Kosten sozialisieren.

Von Uwe Ritzer

Die Spannung war unerträglich geworden, da platzte es aus dem Weidener Oberbürgermeister Kurt Seggewiß (SPD) heraus. Ein übles "Machtpoker um Arbeitsplätze und den Bestand eines Unternehmens" seien die Verhandlungen um die Zukunft von Deutschlands größter Auto-Werkstattkette ATU, schimpfte er.

Es war Donnerstag voriger Woche, wenige Stunden später würde das angeschlagene Unternehmen mit Sitz in Weiden in der Oberpfalz mit seinen 10 000 Beschäftigten in die Insolvenz stürzen. Es sei denn, sie einigen sich: Die niederländische Immobilienfirma Lino und die Deutsche Bank als Vermieter vieler ATU-Immobilien, der Finanzinvestor Centerbridge als Eigentümer, und der potenzielle Übernehmer, die französische Mobivia-Gruppe.

Die Sache ging noch einmal gut aus. Die Mieten für ATU-Immobilien wurden gesenkt, eine Kaufbedingung von Mobivia erfüllt. Entsprechend groß ist nun die Begeisterung über die Rettung von ATU. Die Übernahme soll noch 2016 vollzogen werden.

Was im Jubel unterging: Im Lauf der Jahre machten bei ATU einige - teilweise mit Hilfe von Briefkastenfirmen in Steueroasen - einen großen Reibach, während der Allgemeinheit große Zugeständnisse abverlangt wurden. ATU gäbe es längst nicht mehr, hätte die Stadt Weiden nicht zweimal auf Gewerbesteuer verzichtet - nach SZ-Informationen auf insgesamt 121 Millionen Euro. Cornelia Taubmann, Kämmerin in der 42 000-Einwohner-Kommune in der Oberpfalz, will unter Hinweis auf das Steuergeheimnis keine Zahlen nennen. Bekannt ist, dass der Weidener Stadtrat zweimal, 2010 und 2013, in nicht-öffentlichen Sitzungen mit sogenannten Sanierungserlassen ATU gerettet hat. Einmal ging es dem Vernehmen nach um 37, das andere Mal um 84 Millionen Euro. Geld, das die hoch verschuldete Kommune gut hätte gebrauchen können, allerdings wohl auch nie gesehen hätte, wenn der Stadtrat den Steuererlass verweigert hätte.

"Wir haben den Eindruck, dass da einige großen Reibach bei ATU gemacht haben"

Denn rein rechtlich war der Anspruch durch den Verzicht von Gläubigern auf Forderungen an ATU entstanden. Die Verzichtssummen müssen, vereinfacht erklärt, bilanziell als Gewinne gebucht werden, was wiederum die Pflicht zur Gewerbesteuer nach sich zieht. Da die Gewinne aber nur in den Büchern, nicht jedoch real in der Firmenkasse auftauchten, wäre die Durchsetzung der Forderung dem sprichwörtlichen Griff in die Tasche eines Nackten gleichgekommen. Kurzum: Der Kommune blieb kaum etwas anderes übrig, als die Steuer zu erlassen.

Pikant ist der Fall trotzdem, findet auch Kämmerin Taubmann. Denn während die Stadt unter dem beschriebenen Druck und aus purer Angst vor einer Firmenpleite und dem Verlust von 800 Arbeitsplätzen in der ATU-Zentrale auf die vielen Steuermillionen verzichtete, verdienten andere über Jahre hinweg kräftig an der ATU. Die Immobiliengesellschaft Lino und die Deutsche Bank kassierten Unternehmenskreisen zufolge bislang als Vermieter von knapp 300 der 600 ATU-Werkstätten zwölf Euro pro Quadratmeter, das Dreifache des Marktüblichen. Die Reduzierung der Mieten zur Rettung von ATU lassen sie sich nun nach Angaben der IG Metall mit 80 Millionen Euro Sonderzahlung belohnen.

"Auch wir haben den Eindruck, dass da im Lauf der Jahre einige großen Reibach bei ATU gemacht haben", sagt Taubmann. Gewinne, die das Unternehmen laufend schwächten, Investitionen hemmten und die Krise verschärften. So genossen die zeitweiligen ATU-Eigentümer die Vorzüge eines Steuerparadieses, während die chronisch klamme Stadt Weiden auf 121 Millionen Euro Steuern verzichtete. "Wir wunderten uns schon sehr, als plötzlich eine 'Christopherus Holding' mit Sitz auf den Cayman Islands als ATU-Eigentümerin gegenüber der Stadt auftrat", erzählt Kämmerin Taubmann. "Eigentlich müsste man die Modelle, die hinter solchen Konstrukten stehen, genauer entschlüsseln."

Der Schluss liegt nahe, dass bei einer Analyse der Fall ATU als Paradebeispiel dafür dienen kann, wie Gewinne privatisiert und Kosten sozialisiert werden. Und wie Heuschrecken Kasse machen und Firmen dabei fleddern. 2002 verkaufte Firmengründer Peter Unger 80 Prozent von ATU an die britische Beteiligungsgesellschaft Doughty Hanson. Diese reichte ATU für fast doppelt so viel Geld zwei Jahre später an den US-Finanzinvestor KKR weiter. Der bürdete den Kaufpreis von 1,45 Milliarden umgehend ATU als Schuldenlast auf. Davon erholte sich die Werkstattkette nicht mehr. Für Investitionen fehlte Geld, der Umsatz sank, ein Drittel von 15 000 Arbeitsplätzen wurde gestrichen. Schließlich verscherbelte KKR 2013 die ATU mehrheitlich an Centerbridge, ebenfalls ein Finanzinvestor. Aber nun soll alles besser werden. Mobivia, der künftige Eigentümer, befindet sich im Privatbesitz.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: