Atommüll:Bis in alle Ewigkeit

Die Stromkonzerne haben ab sofort eine Sorge weniger: Ein bundeseigener Fonds übernimmt mit den Milliarden der Versorger auch alle Verantwortung für den Atommüll. Doch neuer Ärger ist garantiert.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Am Ende wird es wieder Leute geben, die diesen Tag "historisch" nennen. Nina Scheer etwa, SPD-Abgeordnete und Tochter des 2010 verstorbenen Sozialdemokraten Hermann Scheer. Er hatte schon früh angeprangert, dass der Staat keinen Zugriff auf jene Milliarden habe, mit denen die Stromkonzerne dereinst die Reste des Atomzeitalters würden wegräumen müssen. Ein Fonds müsse her, um das Geld zu sichern. Es war nicht die einzige Frage, in der Scheer seiner Zeit voraus war.

Seit diesem Donnerstag gibt es den Fonds. Am 1. Juli 2017 sollen die Stromkonzerne 17,3 Milliarden Euro dorthin überweisen. Das ist jenes Geld, dass sie als Rückstellungen in ihren Bilanzen gebildet haben, um in ferner Zukunft die Entsorgung ihres nuklearen Mülls begleichen zu können. Wirtschaftsprüfer hatten die Summe im Auftrag des Bundes erhoben, eine Kommission hatte in langen Beratungen eine Konstruktion für den Fonds ersonnen. Danach ist es mit den 17,3 Milliarden Euro noch nicht getan: Zusätzlich können die Konzerne an den Fonds einen 35-prozentigen Risikoaufschlag überweisen, also weitere sechs Milliarden Euro. Sind die bis Ende 2022 auf dem Konto des Fonds eingegangen, dann müssen sich die Unternehmen um ihren Atommüll nicht mehr sorgen: Alle Risiken schultert fortan der Fonds. "Wir wollen, dass der Staat die Mittel sichert, und zwar für alle Zeit", sagt SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil.

Wie lange die Suche nach einem Endlager dauern wird, wie viel sie kosten wird - keiner weiß es

Zwei Jahre lang hatte die Koalition über die Lösung debattiert. Zuvor hatten Atomausstieg und Energiewende die Stromkonzerne in eine Krise gestürzt. Mit ihrer Aufspaltung hatten die beiden größten Atomkraft-Betreiber, RWE und Eon, zudem eine neue Lage geschaffen: Die Atomriesen von einst hätten sich der Verantwortung entziehen können, bevor es ans Zahlen geht. "Es kann nur noch um Schadensbegrenzung gehen", sagte die Grünen-Atompolitikerin Sylvia Kotting-Uhl am Donnerstag im Bundestag. Nämlich darum, die Steuerzahler nicht vollständig zahlen zu lassen.

Die Grünen stimmten mit Union und SPD für die Errichtung des Fonds, nur die Linkspartei war dagegen. "Diese Einladung zum Harakiri lehnen wir ab", sagte Linken-Energiepolitiker Hubertus Zdebel. Sie erlaube den Konzernen, ihre Risiken bei der Allgemeinheit abzuladen. "Da macht die Linke nicht mit", sagte Zdebel.

Nicht alle Risiken werden die Konzerne los - nur die schwer kalkulierbaren. So müssen sie den Abriss ihrer 23 Kernkraftwerke selbst finanzieren. Bei einigen läuft der Abriss schon, andere tun noch Dienst. Erst Ende 2022 werden die letzten Blöcke endgültig abgeschaltet. "Wir gehen davon aus, dass bis 2026, vielleicht auch 2028, die meisten Kernkraftwerke zurückgebaut werden", sagt Michael Fuchs, stellvertretender Chef der Unionsfraktion. Nun gehe es darum, "verantwortungsvoll, zügig und ergebnisorientiert" auf die Suche nach einem Endlager zu gehen - eben jene Aufgabe, die nun der Fonds übernehmen soll.

Es ist der wohl schwierigste Teil der Entsorgung. Der Bund arbeitet derzeit an einer Überarbeitung des zugehörigen Gesetzes, es soll den Weg frei machen für eine neue Suche nach einem Atomendlager. Wie lange diese Suche dauern wird, wie viel sie kosten wird, weiß derzeit niemand.

Damit ist auch unklar, wann der Bau beginnen kann. Bis dahin soll ein dreiköpfiger Vorstand, dessen Mitglieder "über große Erfahrungen in der Anlage und dem Management bedeutender Vermögen" verfügen, die Milliarden der Konzerne mehren - so will es das Gesetz. Auch von der Verzinsung wird am Ende abhängen, ob und wie viel Steuerzahler nachschießen müssen. Überwacht wird der Vorstand von einem Kuratorium, dem Mitglieder der Bundesregierung und des Bundestags angehören.

Doch neue Reibungen sind garantiert, insbesondere dort, wo die Verantwortung von den Unternehmen an den Bund übergeht. Das Gesetz sieht dafür eine neue, bundeseigene Gesellschaft vor, die künftig für Zwischenlagerung des Atommülls organisieren soll. Sie kann auch neue Zwischenlager errichten, etwa für jene mäßig radioaktiven Abfälle, die in das Endlager Schacht Konrad bei Salzgitter geschafft werden sollen; derzeit ist es in Bau.

Einen Teil ihrer Milliarden könnten sich die Konzerne zurückholen - als Dienstleister

Bei den hochradioaktiven Brennelementen gestaltet sich die Sache schwieriger. Sie lagern meist unmittelbar neben den Atomkraftwerken - und sollen dort auch bis auf weiteres bleiben. Wer für diesen Abfall zuständig ist, entscheidet allein die Verpackung: Sobald der Atommüll in die vorgeschriebenen Transport- und Lagerbehälter verpackt sind, übernimmt der Fonds. Auch das Zwischenlager an sich wird an die Bundes-Gesellschaft übertragen, obwohl es noch auf dem Gelände des Kernkraftwerks liegt. Bei Anhörungen hatten zuletzt Gutachter die Frage aufgeworfen, wer denn für Anlagen aufkommen müsse, die dem gesamten Gelände dienen, und seien es nur Zäune und Wachleute.

Auch darf sich der Bund zunächst der Hilfe der Konzerne bedienen, die schließlich über Personal und Gerätschaften in den Zwischenlagern verfügen. Zu welchen Konditionen das geschehen wird, bleibt aber offen. Rein theoretisch könnten sich die Unternehmen so zumindest einen kleinen Teil ihrer Milliarden zurückholen - diesmal als Dienstleister.

Am Donnerstag aber sind alle froh, dass sie das Problem überhaupt lösen konnten. "Keine Technologie hat unser Land so gespalten wie die Kernenergie", sagte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Endlich gebe es eine "Grundlage für den Rechtsfrieden".

Nur eines fehlt vielen Abgeordneten noch für den Rechtsfrieden: die Rücknahme aller Klagen. Zwar hatten die Konzerne kürzlich 20 von 22 Klagen zurückgezogen. Die beiden Klagen mit den größten Forderungen aber - ein Verfahren von Vattenfall vor einem US-Schiedsgericht und eine Klage gegen die Brennelementesteuer - die erhielten sie aufrecht.

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