Atomkraftwerke:"Ein Stück Propaganda"

Die Grünen im Europaparlament attackieren die Kernkraft-Pläne der Europäischen Kommission. Der Neubau von Kernkraftwerken sei alles andere als wirtschaftlich sinnvoll.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Verträge lassen sich nicht einfach ignorieren. Und so muss die Europäische Kommission auch fast 60 Jahre nach Unterzeichnung des Euratom-Vertrags noch immer danach handeln. In Artikel 40 des 1957 vereinbarten Dokuments zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft steht, dass die Kommission in regelmäßigen Abständen "Ziele für die Erzeugung von Kernenergie und der im Hinblick hierauf erforderlichen Investitionen aller Art" veröffentlichen muss. Die Brüsseler Behörde hat dies zuletzt 2008 getan. Zeit also für die nächste Analyse, die erste seit der Atomkatastrophe von Fukushima. Wann die Kommission die Ergebnisse präsentieren wird, ist noch unklar. Der Entwurf provoziert jedenfalls schon jetzt Streit. Im Europäischen Parlament haben Abgeordnete der Grünen ihn einem Realitätscheck unterzogen. Das Ergebnis formuliert Rebecca Harms so: "Das ist ein Stück Propaganda." Aus Sicht der Fraktionsvorsitzenden der europäischen Grünen sind Neubauten von Kernkraftwerken alles andere als wirtschaftlich. Es lohne sich einfach nicht. Außerdem setzte die Kommission die Kosten für Laufzeitverlängerungen von AKW viel zu niedrig an. Kurzum: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sollte diesen Bericht am besten zurückziehen.

Im Entwurf der Behörde heißt es: "Als zuverlässige kohlenstoffarme Technologie und großer Faktor zur Versorgungssicherheit ist die Kernenergie ein wichtiger Bestandteil des EU-Energiemix im Zeitraum bis 2050." Angesichts des Alters der im Betrieb stehenden Kraftwerke seien aber hohe Investitionen nötig. Diese würden sich laut Kommission bis 2050 im Bereich zwischen 664 und 770 Milliarden Euro bewegen. In der EU sind zurzeit 131 Atomreaktoren in Betrieb, im Schnitt laufen sie schon fast 30 Jahre. Zehn Staaten bereiten den Bau neuer Anlagen vor. In Frankreich, Finnland und der Slowakei werden bereits vier Reaktoren errichtet.

Dem Kommissionspapier zufolge sind die EU-Staaten bislang nicht ausreichend auf die Stilllegung ihrer Atomkraftwerke und die Entsorgung radioaktiver Abfälle vorbereitet. Nach Berechnungen der Behörde haben sie knapp 120 Milliarden Euro weniger an Rückstellungen gebildet als notwendig. Diese Deckungslücke müsse ausgeglichen werden, um finanzielle Risiken für die Steuerzahler zu vermeiden. Doch den Grünen fehlt nicht nur daran der Glaube.

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