Atomkraft - die Zeit läuft:Der große Poker

Es geht um Geld und Einfluss am Strommarkt: Trickreich bringen sich die Energiekonzerne in Stellung, um ihren Atomkraftwerken das Überleben zu sichern

Michael Bauchmüller und Markus Balser

Noch ist Plan B Geheimsache. Während die deutschen Energiekonzerne ihre Atomkraftwerke öffentlich weiter für unverzichtbar erklären und von einer raschen Laufzeitverlängerung ausgehen, basteln die Zentralen der Betreiber längst an einem Alternativkonzept. Geplant ist ein nie dagewesenes Tauschgeschäft. Es geht um Strommengen - zu erzeugen in deutschen Kernkraftwerken. Teil eins der Rochade ging schon im Mai über die Bühne. Damals wanderte ein Stromkontingent vom stillgelegten Eon-Kernkraftwerk Stade an den Konkurrenzreaktor Biblis A von RWE. Das Kraftwerk, nach geltendem Ausstiegsbeschluss noch in diesem Jahr abzuschalten, erhielt so ein weiteres Jahr Gnadenfrist.

Fehlendes Oel belebt Atomstreit

Ein Mann deutet auf den Notausknopf des Atomkraftwerks Obrigheim. Der Meiler wurde im Mai 2005 abgeschaltet. Sein  Rückbau soll im Jahr 2020 beendet sein. Der von der rot-grünen Bundesregierung beschlossene Atomausstieg sieht als nächste Stilllegung die Außerbetriebnahme des in der Nähe von Obrigheim gelegenen Atomkraftwerks Neckerwestheim 1 vor. Der Betreiber EnBW versucht den Abschaltungstermin derzeit mit einer verringerten Stromerzeugung herauszuzögern. Neckarwestheim 1 könnte daher noch bis April 2011 am Netz bleiben.

(Foto: ddp)

Der Poker hat begonnen. Denn im Atomkonsens hatte die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 Obergrenzen für jedes einzelne Kraftwerk festgelegt. Ist die Strommenge produziert, erlischt die Betriebsgenehmigung. Es sei denn, es lassen sich noch irgendwo ungenutzte Strommengen abgeschalteter Reaktoren auftreiben. In den Chefetagen der Energiekonzerne hat das große Rechnen begonnen. Denn angesichts der Atom-Streitereien innerhalb der schwarz-gelben Koalition wollen sich die vier Betreiberfirmen der deutschen AKWs absichern - für den Fall des Scheiterns.

Schon bahnt sich Teil zwei des Deals an. Der RWE-Konzern hat nach Angaben aus Branchenkreisen vorige Woche Strommengen des ebenfalls stillgelegten Reaktors Mülheim-Kärlich an Block B des hessischen Kraftwerks übertragen. Dort müssen sie nicht bleiben. Ganz legal ließe sich das Kontingent zum klammen Eon-Reaktor Isar 1 bei Landshut bugsieren. Andernfalls könnte Mitte 2011 dort Schluss sein - jedenfalls dann, wenn die Bundesregierung bis dahin keine Einigung über die Atomkraft erzielt.

Das Terrain ist vermint. Ein SZ-Interview mit Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) reichte am Wochenende, um den Streit wieder hochkochen zu lassen. Hatte Röttgen der Kernkraft noch die Zukunft abgesprochen, eine Chance allenfalls sehr moderaten Verlängerungen beigemessen, klingt Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) ganz anders. Nicht vorab festgelegte Zusatzjahre, sondern allein die Sicherheit der Anlagen solle darüber entscheiden, wann ein Kernkraftwerk abgeschaltet wird. Es ist die Maximalposition im Atomstreit, und sie macht eine rasche Einigung nicht wahrscheinlicher.

Dabei soll alles ganz schnell gehen. Noch Ende des Monats sollen Experten Szenarien für die deutsche Energiezukunft vorlegen. Sie sollen zeigen, wie sich eine Verlängerung um 4, 12, 20 oder 28 Jahre auswirken würde - auf Energiepreise, Klimaziele und den Ausbau erneuerbarer Energien. Anfang September sollen die Fraktionen von Union und FDP darüber beraten, Ende des Monats soll ein Grundsatzbeschluss des Kabinetts stehen. Doch dann geht der Poker erst richtig los.

Denn bislang schwimmt die Koalition in einem Meer offener Fragen. Ungeklärt ist zum Beispiel, ob die Länder eine Verlängerung der Laufzeiten zu Fall bringen können oder nicht - womit das ganze Vorhaben im Ungewissen wäre, denn eine Mehrheit im Bundesrat haben Union und FDP nicht mehr. Offen ist, wie viel die Unternehmen nachträglich in die Sicherheit ihrer Reaktoren investieren müssen. Jede neue Auflage hat das Zeug, vor allem alte Kernkraftwerke unwirtschaftlich zu machen. "Das wird ein Kleinkrieg", sagt Lothar Hahn, langjähriger Chef der Gesellschaft für Reaktorsicherheit. "Da ist kein Vertrauen mehr zwischen den Akteuren." Allein die Vorgabe, die Reaktoren wirksam vor einem gezielten Terrorangriff zu schützen, könnte bis zu sieben Reaktoren für immer vom Netz trennen - die Nachrüstung wäre kaum wirtschaftlich.

Ganz ähnlich sieht es mit der Abschöpfung zusätzlicher Gewinne aus. Weil die Betreiber mit keinem Kraftwerk so gut verdienen wie mit ihren Atomanlagen, will der Bund einen Teil der zusätzlichen Gewinne abschöpfen, am liebsten über eine Brennelemente-Steuer. Wird sich die Regierung gegen den angekündigten juristischen Widerstand der Branche durchsetzen? Und wie viel Gewinn bleibt dann den Betreibern?

Die Vorstands-Chefs der vier Atomkonzerne sind schon jetzt bedient. Ohnehin vergrätzt von den Regierungsplänen für die Steuer, provozieren die schwierigen Laufzeit-Gespräche neuen Ärger. Es geht um viel für die Konzerne: um Geld, aber auch um Einfluss am Strommarkt. Jedes Jahr mehr brächte den vier Betreibern zusammen Zusatzgewinne von 6,4 Milliarden Euro. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung würde Eon mit 1,9 Milliarden Euro am meisten profitieren. RWE käme auf 1,7 und EnBW auf 1,6 Milliarden Euro. Für Vattenfall, Betreiber der Pannenmeiler Krümmel und Brunsbüttel, die seit Jahren stillstehen, wären es noch 463 Millionen Euro.

Die Kernkraft entfaltet längst nicht mehr den Reiz früherer Zeiten, weder in den Konzernzentralen noch innerhalb der Regierungsparteien Union und FDP.

"Die Zeit drängt", sagt ein Energiemanager. "Was wir jetzt brauchen, ist endgültige Klarheit." Das kann dauern.

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