Atomkonzerne:Warum die Aktienkurse von Eon und RWE abstürzen

Demonstration gegen Atomtransport

Wird bald ein Rettungsschirm für die Altlasten der Atomenergie benötigt? Im Bild: AKW Grohnde bei Hameln.

(Foto: Emily Wabitsch/dpa)
  • Experten prüfen bei den vier deutschen Atomkonzernen, inwieweit deren Rückstellungen für die Atomentsorgung ausreichen.
  • Das Problem: Die Rückstellungen existieren bislang größtenteils nur auf dem Papier.
  • Angesichts dessen verlieren die Aktien der Unternehmen teils massiv an Wert.

Analyse von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Wenn es um lange Zeiträume geht, dann vollbringen Zins und Zinseszins wahre Wunder. Dann können etwa 100 Euro, gut angelegt, plötzlich das Vierfache wert sein. Hängt ganz davon ab, wie hoch die Zinsen sind. Es kann nämlich auch ganz anders laufen.

Genau diese Sorge plagt dieser Tage die vier deutschen Atomkonzerne. Seit dem Sommer durchstöbern Wirtschaftsprüfer ihre Bilanzen. Im Auftrag der Bundesregierung soll dieser "Stresstest" klären, ob ihre Vorsorge für Rückbau und Entsorgung der Atomkraftwerke ausreicht. Und das hängt ganz vom Zinssatz ab. Es droht ein milliardenschweres Loch.

Denn bislang existieren die Rückstellungen zum größten Teil nur auf dem Papier. Sie stehen als Beteiligungen in den Büchern der Konzerne, insgesamt 38 Milliarden Euro. Mit den Jahren sollen sie auf ein Vielfaches anwachsen, um dereinst Rückbau und Entsorgung der nuklearen Altlast zu stemmen. Mancher Euro wird erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nötig werden, wenn die Castoren unter der Erde verschwinden. Solange aber trägt dieser Euro Zinsen. Nur: Wie viele? Genau dieser Zins wird nun zu einem Streitpunkt, der Manger auf die Barrikaden treibt und Börsenkurse in den Keller.

Denn bislang ist der Zins die große Unbekannte in der Zukunftsformel. RWE veranschlagt 4,6 Prozent, Eon 4,7 Prozent, EnBW 4,8 Prozent. So viel sollen die Beteiligungen und Wertpapiere bringen, die bislang die Entsorgung finanzieren sollen; Wirtschaftsprüfer haben das stets testiert. Grob überschlagen, funktioniert das so: Um zum Beispiel am 16. September 2045 100 Milliarden Euro zusammenzuhaben, müssten die Konzerne nach diesem Kalkül bei einem Zinssatz von 4,7 Prozent heute nur gut 25 Milliarden Euro zurücklegen. Geht man zusätzlich davon aus, dass die Inflation einen Teil des Geldes auffrisst, müssten es um die 45 Milliarden Euro sein. Nur: Keine Bank Europas zahlt derzeit solch hohe Zinsen. Ob die Konzerne damit dereinst die gewünschten Beträge aufbringen, ist deshalb fraglich - es droht eine Milliardenlücke. Die Rückstellungen müssten jetzt schon erheblich wachsen, damit den Konzernen später nicht das Geld ausgeht.

Die Befürchtung reicht für einen drastischen Kurssturz

Allein die Befürchtung ließ am Dienstag die Börsenkurse von Eon und RWE regelrecht abstürzen. Die Papiere der größten deutschen Atomkraftbetreiber verloren zeitweise mehr als zehn Prozent an Wert. Denn die Prüfer könnten nach üblichen Gepflogenheiten viel konservativer kalkulieren als die Konzerne. Sie könnten etwa die Zinsen für 30-jährige Anleihen zugrunde legen, wie sie EZB und Bundesbank täglich in ihren "Zinsstrukturkurven" publik machen. Das wären derzeit nicht mal 1,5 Prozent. Rechnet man die Inflation ab, könnte die Realrendite sogar auf Null sinken. Die Konzerne aber kalkulieren real noch immer mit mehr als zwei Prozent Rendite.

Die beauftragten Wirtschaftsprüfer von Warth & Klein Grant Thornton lassen sich derzeit nicht in die Karten schauen, nicht einmal die Bundesregierung kennt den Entwurf der Berechnungen. Aber schon die Vermutungen über die denkbaren Zinssätze reichen, um Chefetagen in Angst und Schrecken zu versetzen. Den Kurssturz am Dienstag etwa verursachten Meldungen, wonach auf die Versorger 30 Milliarden Euro Mehrbelastungen zukommen, wenn der Zinssatz sogar unter Null sinkt. Bei solchen "negativen Zinssätzen" müssten die Unternehmen schon jetzt für jeden Euro, der dereinst Rückbau und Entsorgung dienen soll, mehr als einen Euro zurückstellen. Allerdings gibt es nach SZ-Informationen derzeit keinen Hinweis darauf, dass die Wirtschaftsprüfer auf lange Sicht solche negativen Zinssätze zugrunde legen. Auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach am Dienstag von "unverantwortlichen Spekulationen" und "Zahlenspielereien", was das angebliche 30-Milliarden-Euro-Loch angeht.

Fehlt jedoch am Ende tatsächlich Geld, müssten die Steuerzahler einspringen. Ein Risiko, das die Bundesregierung gerne ausschließen will. Sie liebäugelt mit einem eigenen Fonds, der zumindest die langfristigen Verpflichtungen der Konzerne verwalten würde. Wie das genau gehen kann, soll eine Expertenkommission klären, die im Herbst ihre Arbeit aufnehmen soll. Angesichts der neuen Zins-Zweifel könnte ein Fonds nun wahrscheinlicher werden - wobei zwischen Politik und Unternehmen umstritten ist, ob sich die Konzerne damit ihrer teuren Altlast entledigen können oder auch in ferner Zukunft noch für etwaige Mehrkosten geradestehen müssen.

Ohnehin wollen die Energiekonzerne von Zweifeln an ihren Bilanzen nichts wissen. "Unsere Rückstellungen sind sachgerecht, richtig und angemessen bilanziert", sagt ein Eon-Sprecher. Das hätten die eigenen Wirtschaftsprüfer ja schließlich über Jahre testiert.

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