Atomkatastrophe in Japan: Die Kosten:Wer soll das alles zahlen?

Die Kernkraft ist sicher. Energiekonzerne predigen das seit Jahren. Dumm nur: Versicherer sehen das anders: Für Schäden aus radioaktiver Strahlung will niemand aufkommen. Wer haftet jetzt in Japan? Und wie wäre das in Deutschland? Es geht um ungeheure Summen.

Verena Wolff

Ein Land liegt in Trümmern - im Nordosten Japans geht vielerorts gar nichts mehr. Das schwerste Erdbeben seit Beginn der Aufzeichnungen zerstörte Häuser, Brücken und Stromnetze, Raffinerien brannten, Unternehmen müssen die Produktion auf unbestimmte Zeit einstellen. Die Flutwelle folgte. Als wäre das alles noch nicht schlimm genug, droht ein atomarer Super-GAU im Kernkraftwerk Fukushima-1.

Die Bilanz ist dramatisch. Mehr als zehntausend Tote werden befürchtet, Hunderttausende sind obdachlos, ganze Landstriche verwüstet. Versicherer und Rückversicherer können die Schäden noch lange nicht beziffern. Viele Milliarden wird es wohl in den kommenden Monaten und Jahren kosten, alles wieder aufzubauen.

Angesichts der Schwere der Naturkatastrophen und der sich fortwährend verschlimmernden Lage sei es "viel zu früh", die Schäden abzuschätzen, die dem Unternehmen und der japanischen Wirtschaft entstanden sind, sagte ein Sprecher. "Die Effekte werden gewaltig sein", erwartet Carsten Zielke, Versicherungsanalyst der Société Générale.

Alleine an Gebäuden dürfte das Beben versicherte Schäden von bis zu 35 Milliarden US-Dollar (25 Milliarden Euro) angerichtet haben, wie die Experten des Risikoanalyse-Unternehmens AIR Worldwide errechnet haben. Die Folgen des Tsunamis, die Schäden an Straßen und die Produktionsausfälle in der Industrie kommen noch hinzu. Die Credit Suisse befürchtet einen volkswirtschaftlichen Schaden von umgerechnet bis zu gut 130 Milliarden Euro.

"Bei Erdbebendeckungen im japanischen Privatkundengeschäft wird nur ein sehr kleiner Teil des Risikos ins Ausland transferiert." Wohngebäude seien überwiegend von japanischen Versicherern und dem Staat in einem Pool versichert, der nicht auf ausländische Rückversicherer zurückgreife. Weltweit wichtige Erstversicherer wie die deutsche Allianz und die Schweizer Zurich sind laut Moody's von den Folgen des Bebens voraussichtlich weniger betroffen. In der Schaden- und Unfallversicherung beherrschten drei japanische Konzerne nahezu 90 Prozent des Marktes. Europäische Versicherer verfügen nur über kleine Marktanteile.

Bei etwa 80 Prozent der versicherten Schäden handle es sich voraussichtlich um Sachschäden. Die private Unfallversicherung sei weniger betroffen. Japan hat zudem eine hohe Versicherungsdichte - weil dort häufig die Erde bebt, haben sich die Japaner gegen solche Schäden umfangreich abgesichert. Und: "Die Baustandards in Japan sind sehr hoch", sagte Sibylle Steimen, Seismologin der Allianz-Rückversicherung. Die Normen seien so ausgelegt, dass die Häuser im Falle eines Bebens stehenbleiben. Vor allem Hochhäuser bauten Energie ab, indem sie schwingen und elastisch reagieren. "Die großen Gebäude sind für sehr starke Erdbeben ausgelegt."

Bei den Kernkraftwerken allerdings ist die Situation eine andere: "Bei der Versicherung von Nuklearanlagen in Japan sind Schäden durch Erdbeben, Tsunamis und durch Erdbeben ausgelöste Brände ausgeschlossen", erklärt Swiss Re. Dies gelte sowohl für Schäden an der Anlage als auch für die Haftung gegenüber den geschädigten Menschen. Andererseits decke auch die Gebäudeversicherung Schäden durch atomare Strahlung nicht ab. Die Folgen von Atomunfällen gelten in der Branche als kaum versicherbar. Die Schäden sind kaum zu kalkulieren - die Prämien für eine solche Versicherung würden unermessliche Höhen erreichen. Da versagt der Markt.

Die Munich Re erwartet, dass die "schweren Unfälle in den japanischen Atomkraftwerken die private Versicherungswirtschaft nicht signifikant betreffen werden". In Japan sei vor allem der Staat für Schäden in Reaktoren und für Haftpflichtschäden in der Umgebung zuständig, erklärten Experten. Für zusätzliche Deckung hätten die Kraftwerksbetreiber Pools gebildet. Allerdings würden Leistungen bei Erdbebenschäden darin ausgeschlossen.

Der Financial Times Deutschland zufolge hat der japanische Kraftwerksbetreiber Tepco seit September keine Sachversicherung für seine Kraftwerke mehr gekauft, sondern zahlt Schäden an seinen Werken selbst. Dabei beruft sich die Zeitung auf Angaben aus Rückversicherungskreisen. Den größten Teil des Schadens dürfte dem Bericht zufolge auf die betroffenen Unternehmen und den japanischen Staat entfallen.

In Deutschland haften die AKW-Betreiber unbegrenzt und mit ihrem gesamten Vermögen für einen Atomunfall. Das eigene Kapital der großen Energiekonzerne liegt in Deutschland zwischen fünf und 40 Milliarden Euro. Eine Deckungsvorsorge (etwa über eine Haftpflichtversicherung) müssen die AKW-Betreiber laut Gesetz indes nur über 2,5 Milliarden Euro nachweisen. Weitere 300 Millionen Euro Schadenersatz garantieren die Vertragsstaaten des Pariser Atomhaftungsübereinkommens.

Doch auch das wäre im Fall des Falles nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn ein Super-GAU in einem deutschen Atomkraftwerk könnte Schäden in vielfacher Höhe verursachen. Eine Studie des Prognos-Instituts kam 1992 im Auftrag für das damals von der FDP geführte Bundeswirtschaftsministerium zu einer möglichen Schadenssumme von 2500 bis 5500 Milliarden Euro. Inflationsbereinigt würde der Wert heute noch ein Viertel darüber liegen. Die Differenz zwischen der Summe, die bei dem betroffenen Unternehmen zu holen ist, und den tatsächlichen Schäden, muss der Steuerzahler tragen.

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