Atomausstieg:Vattenfall fordert Milliarden Euro Schadenersatz

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Die Grünen nennen es eine "Unverschämtheit": Vattenfall fordert vom Bund 4,7 Milliarden Euro Entschädigung für die Stilllegung seiner Atomkraftwerke. Der Konzern ist nicht der einzige Kläger.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Der beschleunigte Atomausstieg in Deutschland könnte hiesige Steuerzahler teuer kommen. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall fordert von Deutschland 4,7 Milliarden Euro als Entschädigung für die Stilllegung seiner Atomkraftwerke. Das bestätigte am Mittwoch ein Sprecher von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Der Konzern selbst wollte seine eigene Forderung nicht beziffern. "Zur Höhe äußern wir uns nicht", sagte ein Sprecher.

Dass Vattenfall fast fünf Milliarden Euro vom Bund fordert, gilt als Überraschung. Den Umfang der Klage hatten Vattenfall aber auch die beklagte Bundesregierung streng geheim gehalten. Experten waren von höchstens drei bis vier Milliarden Euro ausgegangen. Vattenfall hatte in der Vergangenheit betont, 700 Millionen Euro in die Kernkraftwerke investiert zu haben - im Vertrauen darauf, dass die Anlagen weiterlaufen könnten.

Nach früheren Unternehmensangaben entstand Vattenfall durch die Stilllegung der beiden norddeutschen Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel ein Schaden von rund einer Million Euro am Tag. Ob dem Konzern überhaupt Schadenersatz zusteht, ist höchst umstritten. Denn die beiden betroffenen Atomkraftwerke standen zur fraglichen Zeit 2011 bereits still. Brunsbüttel galt als eines der störanfälligsten in Deutschland. Es ist seit Juli 2007 heruntergefahren. Unklar war, ob es je wieder Strom hätte produzieren können.

"Vattenfall ist unverschämt"

Auch der Pannenmeiler Krümmel war nach diversen Problemen abgeschaltet. "Vattenfall ist unverschämt", sagt Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Die Konzernspitze habe jahrelang auf ein falsches Geschäftsmodell gesetzt und verlange nun von den Steuerzahlern, dafür zu zahlen.

Die damalige Bundesregierung hatte den Betreibern der ehemals 17 deutschen Atomkraftwerke in ihrem Koalitionsvertrag eine Laufzeitverlängerung zugesagt. Diese wurde mit der Novelle des Atomgesetzes am 28. Oktober 2010 zunächst auch rechtlich gültig. Doch nach der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 zog die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung wieder zurück. Acht ältere Atomkraftwerke, auch Krümmel und Brunsbüttel, mussten sofort vom Netz. Vattenfall rief daraufhin im Sommer 2012 das internationale Schiedsgericht ICSID in den USA an.

Der Streit belebt die Debatte um Schiedsgerichte neu

Der Konzern ist mit seiner Klage nicht allein. Die Konkurrenten Eon und RWE hatten in der gleichen Sache zusammen zehn Milliarden Euro vor deutschen Gerichten gefordert. Da Vattenfalls Zentrale in Schweden sitzt, stand der Firma auch der Klageweg über Washington offen. Das ICSID ist eines der wichtigsten Schiedsgerichte weltweit. Es gehört zur Weltbank. Nach der Energiecharta genießen Unternehmen Rechtsschutz gegen "völkerrechtswidrige Maßnahmen des Gastgeberlandes".

Der Streit belebt die Debatte um Schiedsgerichte neu, die durch Freihandelsabkommen gestärkt werden könnten. "Das ist ein Paradebeispiel für ein schlechtes Schiedsverfahren", sagte ein Ministeriums-Sprecher. Dagegen sieht sich Linken-Fraktionsvize Klaus Ernst in seiner Kritik am geplanten Freihandelsabkommen mit den USA bestätigt. Die Klage zeige, dass derart weitreichender Investorenschutz nicht zu akzeptieren sei.

© SZ vom 16.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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