Atom-Rückstellungen:Die letzte Runde

Demonstration vor Kernkraftwerk Brokdorf

Demonstranten in Brokdorf: Der Ausstieg aus der Atomkraft kostet Deutschlands große Energieunternehmen Milliarden.

(Foto: Carsten Rehder/dpa)

Die vier großen Stromkonzerne versuchen sich gegen die Atom-Rückstellungen zu wehren. Eine echte Chance haben sie nicht.

Von Michael Bauchmüller und Varinia Bernau, Berlin/Düsseldorf

Fünf Mal waren die Vorstände der deutschen Stromkonzerne bei der Atomkommission. Vor dem Plenum gaben sie eine Erklärung ab, in der sie die Verantwortung des Staates unterstrichen und auf ihre miserable Lage hinwiesen. Geholfen hat es nicht: 23,3 Milliarden Euro sollen die Unternehmen nun in einen Fonds überweisen; im Gegenzug müssen sich Eon, RWE, Vattenfall und EnBW über den Verbleib ihres Atommülls keine Sorgen mehr machen, nur den Rückbau der Atomkraftwerke müssen sie noch selbst bewerkstelligen. 23,3 Milliarden Euro? Das ist den Konzernen zu viel. Sie hätten "angeboten, bis an die äußerste Grenze ihrer Leistungsfähigkeit zu gehen", heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme. "Diese Grenze wurde mit dem Kommissionsvorschlag (...) überschritten."

Gut 40 Milliarden Euro haben die Konzerne an Rückstellungen gebildet - für den Abriss der Reaktoren, die aufwendige Verpackung des Atommülls, die Endlagerung. Bis 2022, so sieht es der Vorschlag vor, sollen die Konzerne davon nun 17,2 Milliarden Euro in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überweisen. Das ist der Teil der Rückstellungen, die für Zwischen- und Endlagerung des Atommülls vorgesehen sind. Darum soll sich künftig der Fonds kümmern. Bis ein Endlager gesucht, gefunden, gebaut und mit Castoren bestückt ist, dürfte das Jahrhundert zu Ende sein. Ob das Geld ausreicht, hängt deshalb in hohem Maße davon ab, wie sich die Milliarden zwischenzeitlich verzinsen lassen. Weil dieser Zins schwankt und derzeit eher niedrig ist, sollen die Konzerne einen Risikoaufschlag einzahlen: 6,1 Milliarden Euro. Macht zusammen die geforderten 23,3 Milliarden.

Die Last trifft die Konzerne unterschiedlich, je nach Zahl ihrer Atomkraftwerke. So soll Eon nach SZ-Informationen zehn Milliarden Euro in den Fonds geben, RWE 6,2 Milliarden, Risikoaufschlag inklusive. Eingezahlt werden muss in bar. Die Unternehmen müssen entweder Beteiligungen verkaufen oder sich verschulden. Beides ist schwierig: Ihr Tafelsilber geben sie ungern weg, und für alte Kraftwerke finden sich kaum Käufer. Am Kapitalmarkt an frisches Geld zu kommen, ist nicht leichter: Die Ratingagenturen haben bereits angekündigt, dass sie die Bewertung von Eon und RWE auf den Prüfstand stellen. Die Konzerne fürchten, dass sie nun nicht zuletzt wegen des geforderten Risikoaufschlags herabgestuft werden - und es für sie dann noch schwerer wird, sich zu vernünftigen Konditionen Geld zu leihen.

Durch Zins und Zinseszins könnten Mehrkosten von etwa 7,7 Milliarden Euro entstehen

Mehr noch: Auf die Unternehmen kommen zusätzlich zum Risikoaufschlag Zinszahlungen in Milliardenhöhe zu. Denn die insgesamt 23,3 Milliarden Euro für den Fonds leiten sich aus Kostenschätzungen ab, die zu Preisen vor zwei Jahren vorgenommen wurden. Die Summe bezieht sich also auf das Jahr 2014. Diese müssten "entsprechend verzinst werden", heißt es im Kommissionsbericht. Als Zinssatz soll jene Verzinsung dienen, von der die Unternehmen auch bislang bei ihren Rückstellungen ausgingen: 4,58 Prozent. Schon wenn die Unternehmen sofort ihre Mittel einzahlen wollten, müssten sie allein für das Jahr 2015 mehr als eine Milliarde Euro Zinsen draufzahlen. Für die Einzahlung des Risikozuschlags sollen sie bis 2022 Zeit bekommen, aber bis dahin wächst diese Summe mit Zins und Zinseszins auf 8,7 Milliarden Euro an. Einziger Trost: Gibt es in der gleichen Zeit, wie in der Kommission angenommen, jährlich eine Geldentwertung um 1,6 Prozent, dann sind es real "nur" 7,7 Milliarden Euro.

Einerseits dürften die Unternehmen somit ein Interesse haben, den Fonds möglichst schnell komplett zu füllen. Andererseits stecken sie gerade jetzt in einer miesen wirtschaftlichen Lage: Der Großhandelspreis an der Strombörse ist so stark gesunken, dass viele der konventionellen Kraftwerke, auf die die großen Energieversorger vor allem setzen, kaum noch Gewinne abwerfen. Eon hat erst kürzlich mit mehr als sieben Milliarden Euro den größten Verlust in der Unternehmensgeschichte gemeldet, RWE verbuchte im vergangenen Jahr einen Verlust von 170 Millionen Euro. Man habe vor der Kommission "die Hosen runtergelassen", beschreibt ein Unternehmensvertreter die Bereitschaft der Energieversorger, Details zu ihrer wirtschaftlichen Lage vor der Kommission offenzulegen. Vom Bekenntnis der Kommission, auch die wirtschaftliche Lage der Unternehmen im Blick zu behalten, könne keine Rede sein, heißt es bei einem anderen. Bis zuletzt hatten die Konzerne versucht zu intervenieren, doch die drei Vorsitzenden ließen sich nicht erweichen. "Alle drei hatten genügend Erfahrungen mit Lobbyismus gesammelt, in unterschiedlichen Zusammenhängen", sagt der Grüne Jürgen Trittin, einer der drei Kommissionschefs. Neben ihm saßen der einstige SPD-Chef Matthias Platzeck und der CDU-Politiker Ole von Beust der Kommission vor.

Dem Votum der Kommission schlossen sich selbst jene Mitglieder an, die üblicherweise der Energiewirtschaft nahestehen. Noch am Mittwoch verschickten die drei beteiligten Fraktionsspitzen von CDU, CSU und SPD einen gemeinsamen Brief an ihre Mit-Parlamentarier. "Hiermit lässt sich eine sichere und verlässliche Finanzierung des Kernenergieausstiegs gewährleisten - auf lange Sicht", heißt es darin. Die Empfehlungen müssten nun "möglichst zügig" umgesetzt werden.

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