Athen nach dem EU-Gipfel:"Der Premier weiß, was er tut"

Eurozone Leaders And European Finance Ministers Hold Emergency Greek Summit

Alexis Tsipras in Brüssel.

(Foto: Bloomberg)

Das nächste Ultimatum, diesmal bis Sonntag: Die Griechen stöhnen über die permanente Unsicherheit - und sind weiterhin gespalten.

Von Matthias Kolb, Athen

Georgia ist richtig sauer. Sie nimmt ihre Sonnenbrille ab, holt tief Luft und sagt: "Wenn es nach mir geht, dann sollten sie uns endlich aus der Euro-Zone rausschmeißen." Die 19-Jährige wartet vor der Nationalbibliothek im Zentrum von Athen auf den Bus und verzweifelt an ihrer Regierung. "Es hat mich überhaupt nicht verwundert, dass Tsipras und sein Finanzminister Tsakalotos in Brüssel keine schriftlichen Vorschläge präsentiert haben", sagt sie.

Georgia ist überzeugt, dass Premierminister Alexis Tsipras einen Plan habe: Er wolle die Drachme wieder einführen und die Schuld dafür den Europäern geben. Das Referendum habe dazugehört und leider habe die Mehrheit der Griechen dies nicht durchschaut und mit "Nein" gestimmt. Sie habe dem Syriza-Chef nie vertraut, sagt sie wütend: "Ich hasse Tsipras." Für sich sieht Georgia keine Zukunft mehr in Athen: Sie wird von September an in London Biomedizin studieren.

Die Unsicherheit wächst - die Anspannung bleibt

Athen am Morgen nach dem EU-Gipfel, der anstelle von Lösungen neue Fristen und Ultimaten gebracht hat: Die Unsicherheit wächst und die Anspannung bleibt. Die Meinungen über die Kompetenz und die richtige - oder fehlende - Strategie der Tsipras-Regierung gehen auseinander. An einer Bushaltestelle wartet eine Rentnerin, die noch Vertrauen hat: "Der Premier weiß, was er tut."

Sie habe aus Überzeugung mit "Ochi" (Nein) gestimmt und glaube fest daran, dass es bis zum Sonntag eine Einigung geben werde. Die Aufregung verstehe sie nur zum Teil: "Ich bin 70 und habe während der Militärdiktatur schlimmere Zeiten als diese erlebt. Wenn wir zusammenhalten als Volk, dann überstehen wir alles." Ähnlich sehen es die Verkäufer am Obststand, die ebenfalls Tsipras unterstützen: Damit es der Jugend wieder besser gehen könne, müssten die Schulden umstrukturiert werden - oder am besten teilweise gestrichen werden.

Gegenüber der Bushaltestelle warten vor den Geldautomaten der Piräus-Bank 30 bis 40 Leute. Am Kiosk nebenan bewerten die Titelseiten die Lage. Die populäre Ta Nea schreibt von "Kaffee für eine Einigung. Nächster Gipfel am Sonntag" und zeigt ein Foto von Tsipras und Merkel, die eine Kanne hält. "Einigung oder Grexit" titelt das Massenblatt Ethnos, das das gleiche Foto verwendet.

Kompromisse erwartet

Die liberal-konservative Zeitung Kathimerini titelt "Am Sonntag: Euro oder Drachme" und spricht von einer "deutlichen und einstimmigen Botschaft von unseren Partnern". Anders sieht es die genossenschaftlich organisierte Efimerida-Zeitung: "Die Regierung wird nicht ohne Auflagen aufgeben." Dass Finanzminister Euklid Tsakalotos sich Notizen auf dem Schreibpapier eines Hotels gemacht hat (Hintergründe hier), die jeder lesen konnte, wird in Griechenlands Medien längst nicht so ausführlich diskutiert wie im Ausland.

Die Beamtin Dora studiert die Titelseiten genau. Sie hat beim Referendum mit "Ja" gestimmt und klagt über Unsicherheit. "Ich kann schwer beurteilen, ob Tsipras es ernst meint. Mein Gefühl sagt mir, dass er am Ende Kompromisse schließen wird", sagt sie. Momentan gehe es ihr und ihrem Mann, einem Buchhalter, noch gut. Glücklicherweise hätten auch ihre Kinder passable Jobs.

Die Familie habe ein Leben lang gespart, weshalb es Dora als "Erniedrigung" empfindet, nun täglich um 60 Euro an den Automaten "betteln" zu müssen. Die meisten Sorgen mache sie sich jedoch um ihre 80 Jahre alte Mutter, die in einem kleinen Dorf lebe. Es werde immer schwieriger, sie zu unterstützen, sagt Dora und seufzt. Dass auf eine Woche des Bangens und Zitterns noch mehr Tage der Unklarheit folgen, belastet viele Griechen.

Der 21-jährige Nik, der vor der Nationalbibliothek wartet, hatte erwartet, dass Syriza neue Vorschläge in Brüssel präsentieren werde. Doch die Zeit nach dem Referendum sei natürlich kurz gewesen. Der Jura-Student hat sich bei der Volksabstimmung enthalten, weil er beide Optionen als schlecht empfunden hat. Der Druck werde nun weiter wachsen, doch bis zum Sonntag bleibe noch Zeit. "Ich hoffe auf ein gutes Ende", sagt Nik.

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